Acht Jahre Markus Somm – was für Zürich übrig bleibt

Eine Ära ist zu Ende. Was bleibt von der «Basler Zeitung» nach Christoph Blochers Somm-BaZ für den Verlag Tamedia übrig?

Chefredaktor Markus Somm und SVP-Doyen Christoph Blocher an der Medienkonferenz zum BaZ-Verkauf an den Zürcher Verlag Tamedia im Hotel Euler in Basel am Mittwoch, 18. April 2018.

In der allerersten Aussage des allerersten Interviews als Chefredaktor der «Basler Zeitung» hat Markus Somm die Tragik seiner knapp acht Jahre währenden Amtszeit vorweggenommen.

«Gefällt es Ihnen noch in Basel?», will Ringier-Journalist Hannes Britschgi von Somm angesichts des heftigen Widerstands in der Stadt gegen seine Ernennung wissen.

Somm: «Immer besser sogar. Meine Zeitung wurde zum Stadtgespräch. Wir erreichten landesweite Aufmerksamkeit.»

Seine Zeitung – Stadtgespräch – landesweite Aufmerksamkeit: Darum ging es Markus Somm. Und darüber ging es mit der BaZ unter Markus Somm nie hinaus.

Ein Trümmerblatt

Acht Jahre später, das Dreiblatt ist dasselbe geblieben, das Spiel längst verloren. Markus Somm tritt ab, einmal mehr ist seine BaZ Stadtgespräch, wiederum beschäftigt man sich landesweit mit den Vorgängen um die Zeitung. Somm veräussert sie mit den Miteigentümern, SVP-Financier Christoph Blocher und Verlagsmensch Rolf Bollmann, an den Zürcher Mediengiganten Tamedia. Das Trio hinterlässt ein Trümmerblatt, ökonomisch, journalistisch, ideell.

Politischen Einfluss – der Antrieb Blochers, die BaZ überhaupt zu kaufen – hat die «Basler Zeitung» heute noch weniger als zu jenem Zeitpunkt, als Somm sie übernahm und mit dem Abwracken begann. Die alte BaZ wollte mit allen Mächtigen, egal ob aus Wirtschaft oder Politik, Freund sein. Die neue BaZ unter Somm hatte hingegen kaum Beisshemmungen, doch liessen sich bald höchstens noch schreckhafte Landpolitiker von den vielen Kampagnen beeindrucken.

In der Stadt gilt: Wer in der «Basler Zeitung» unter die Räder kommt, hinter dem schliessen sich die Reihen – egal, was man sich hat zuschulden kommen lassen.

Widerstand befeuerte Somm, Empörung sorgte bei ihm für Amüsement. 

Dass das so gekommen ist, liegt zu grossen Teilen an Somm und jenem Journalismus, den er bei der «Basler Zeitung» praktizieren liess. Einer seiner Lieblingssätze auf der Redaktion lautete: «Ich habe es gerne, wenn Unruhe herrscht.» Damit meinte er sowohl Aussen- wie Innenwelt. Widerstand befeuerte ihn, Empörung sorgte bei ihm für Amüsement. 

Als sich Redaktoren einmal über den Kolumnisten David Klein beschwerten und nach einer seiner Polemiken dessen Absetzung forderten, verteidigte Somm den Basler Musiker durch alle Böden. Heute schreibt Klein häufiger denn je in der BaZ.

Die ersten Jahre nach der Übernahme durch Blocher und Somm profitierte die «Basler Zeitung» zumindest unter Medienschaffenden noch von einer Begriffsverwirrung: Aggressiv galt als interessant, übergriffig als aufrüttelnd, in Artikel gegossene SVP-Doktrin als bürgerlich. In der Medienhauptstadt Zürich wurde diese von Somm selber kultivierte Lesart seines Blatts sorglos übernommen, freilich ohne, dass man sich dort je die Mühe gemacht hätte, die BaZ jeden Tag, Bund für Bund zu lesen.

Erfolgreich war die «Basler Zeitung» vor allem in der unbeabsichtigten Selbstzerstörung.

Exemplarisch dafür die Begleitung der Somm-BaZ durch die NZZ: «Ein bisschen Ungemütlichkeit schadet Basel nicht», dass Somm die Basler «irritiert», sei «gut für die Stadt» (2010). «Wie die ‹Basler Zeitung› die Stadt belebt» war im Jahr 2015 grosses Thema. Und vor einem Monat noch einmal dasselbe: «Eine provokative BaZ tut Basel gut

Immerhin hat sie viel weniger Schaden angerichtet, als von manchen Kreisen befürchtet wurde. Erfolgreich war sie vor allem in der unbeabsichtigten Selbstzerstörung: Von dem grossen, unabhängigen Verlag von damals ist heute nichts mehr übrig.

Eine Situation, die allem widerspricht, was Somm versprochen hatte. Nicht weniger als eine «Renaissance» der «Basler Zeitung» schwebe ihm vor, schrieb er in seinem ersten Leitartikel, in dem er die neue Ausrichtung seiner BaZ beschrieb. Freiwillig hat er den Text nicht geschrieben. Drei Tage nach den Enthüllungen der «NZZ am Sonntag» wusste die ganze Stadt: Die BaZ geschäftet mit Christoph Blochers Firma Robinvest. Konnte man dem Blatt noch trauen, zumal mit Somm auch Blochers Biograf auf dem Chefsessel sass?

Welke Feigenblätter

Somms Antwort vom 17. November 2010 erschien unter dem Titel «Eine Basler Zeitung für alle Basler». Ein grosses Versprechen. Nicht sein einziges. Somm gelobte weiter, die BaZ werde kein «Parteiblatt, weder für Basel noch für die ganze Schweiz». Sein «Renaissance»-Versprechen:

«Jene beiden einst in der ganzen Schweiz geachteten Zeitungen aus Basel sollen wiedererstehen in einem einzigen Blatt: Die eher konservativen ‹Basler Nachrichten› auf der einen Seite und die linksliberale ‹National-Zeitung› auf der anderen.»

Doch Papier ist geduldig. Eine Eigenschaft, die es von Zeitungsleserinnen und -lesern unterscheidet: kritische Menschen, die grundsätzlich leidenschaftlich über ihre eigene Zeitung schimpfen. Doch richtig wütend werden sie bei leeren Versprechen.

Die linksliberale Stimme verstummte bald. Kritische Journalisten verliessen das Blatt bei der ersten Gelegenheit oder wurden entlassen und durch linientreue Redaktoren ersetzt. Es verblieben vermeintlich linke Kolumnisten, ein paar ältere Männer mit schwindender gesellschaftlicher Bedeutung, aber ungezügeltem Sendungsbewusstsein. Welke Feigenblätter.

Den Ton gaben sowieso andere an.

Die Leser realisierten den Schwindel. Eine erste Welle langjähriger Abonnentinnen und Abonnenten – einige Tausend – kündigte aus Protest. Doch weder der diffuse und gern zitierte «Anti-BaZ-Reflex» noch die «Medienkrise», unter der die meisten Schweizer Print-Titel leiden, können das Ausmass des Fiaskos erklären, das die BaZ unter der neuen Führung in den Folgejahren erlebte.

Grandios gescheitert

In Zahlen: 2010 hatte der BaZ-Verlag über 1000 Mitarbeitende, die Zeitung eine Auflage von 83’000 Exemplaren. Sie erreichte 175’000 Leserinnen und Leser. Acht Jahre später sind es noch rund 150 Mitarbeiter, 46’353 gedruckte Exemplare und 102’000 Leserinnen und Leser. Im Schweizer Mediengeschäft zeigt keine andere Kurve auch nur annähernd ähnlich steil nach unten. Zum Vergleich: Der Zürcher «Tages-Anzeiger» hatte Ende 2010 477’000 Leser – heute sind es immer noch 380’000.

Somm und Blocher sind mit ihrem Plan grandios gescheitert. Man kann nicht einerseits eine «Basler Zeitung für alle Basler» ankündigen und gleichzeitig jegliches Fingerspitzengefühl für das, was diese Stadt und ihre Bewohner ausmacht, mutwillig vermissen lassen.

Alles, was Markus Somm acht Jahre programmatisch durchzog, gab er exemplarisch bereits in seinem allerersten BaZ-Artikel vom 31. August 2010 vor. Somm schrieb nicht etwa über eine Basler Persönlichkeit oder immerhin einen Schweizer. Nein, sein erster Text war Thilo Sarrazin gewidmet. Der Deutsche verkörpere wie kein anderer die Kunst, Debatten anzustossen, «über welche die Eliten nicht reden wollen», schrieb der Industriellenerbe Somm. 

Man stosse sich an «Sprachregelungen», am «Stil», um «vom Inhalt abzulenken», einem Inhalt notabene, der «der Bevölkerung zu schaffen macht». Somm beschwört «Redeverbote», dabei sei das «freie Wort für jeden – ganz gleich, wie höflich oder unanständig es vorgetragen wird» – der beste Schutz für die Demokratie.

Verachtung für Politiker und Institutionen

Die übergeordnete Sommsche Dialektik: Da die braven Mainstream-Journalisten, die mit «der Elite» kuscheln, hier die mutigen Kritiker der Macht. Hier links, da rechts. Hier unfrei, da frei. Mit «Elite» ist bei Somm – wie bei Übervater Blocher – immer nur die politische Elite gemeint: «Wirtschaftsfreundlich aus Überzeugung» habe die neue BaZ zu sein und «staatsskeptisch aus Prinzip», formulierte er es explizit.

Daraus ergaben sich folgende weiteren Gedankengänge: Da sich angeblich niemand ausser der «Weltwoche» traute, imaginäre Rede- und Denkverbote lautstark zu missachten und die neoliberale Ecke rechtsaussen zu besetzen, erschien diese Nische auch als Marktlücke in der stockbürgerlichen Schweiz. Wahrscheinlich glaubte das sogar Somm.

Genau darin bestand die grösste Fehlkalkulation des Aargauer Chefredaktors: Er hat zwar Bewunderung für Unternehmer, wie er selbst gerne betont, doch er zeigte für Institutionen weder Interesse noch Verständnis. Was sich in einem Journalismus niederschlug – von Somm selbst, aber auch von Mitgliedern der Redaktion – der oft von Verachtung für Politiker und Institutionen getränkt war. «Aus Prinzip».

Mit dem hintersinnigen Humor, der Basler Abneigung gegen Grobheiten kam Somm nicht zurecht.

Mit dieser Grundhaltung gab und gibt es in Basel-Stadt nicht einmal einen Trostpreis zu gewinnen. Man kritisiert hier gerne und bisweilen auch laut. Aber sachlich. Und diese Stadt kann quer durch alle politischen Lager mit ihren Institutionen leben – ist nicht selten auch stolz auf sie.

Mit dem hintersinnigen Humor, der Basler Abneigung gegen Grobheiten kam Somm nicht zurecht. Intern fragte er auch mal: «Findest du das nicht unerträglich, wie die Basler die Direktheit scheuen?» Er sah im Widerwillen, wüste politische Gefechte auszutragen ein klares Indiz für Übersättigung und pathologische Harmoniesucht. Er verstand nicht, dass die Auseinandersetzungen durchaus ausgetragen werden, aber subtiler, auch komplizierter, als er sich das gewohnt war. 

Darum wurde jeder Redaktor belohnt, der draufschlug. Krasse Fehlleistungen von Redaktoren blieben bis in einem Fall ungesühnt. So übertönte der Lärm bald nach Somms Antritt die feinstofflich orientierten, talentierten Schreiber. Die gab es auch unter dem neuen Chef – zunächst mit allen Freiheiten ausgestattet und dann, wenn sie ihn und sein Blatt wieder verliessen, mit Schimpf und Schande eingedeckt.

Basel und seine Bewohner blieben Somm fremd. Er interessierte sich schlicht zu wenig für sie.

Pendler Somm lief von Anfang an auf und kam in Basel nie richtig an. Zwar ass er regelmässig in der «Kunsthalle» sein Zmittag, hatte jahrelang ein Zimmer im Hotel Krafft, doch Basel und seine Bewohner blieben ihm fremd. Er interessierte sich schlicht zu wenig für sie, sein Hotelzimmer hat er seit Jahren nicht mehr. Abends fährt Somm nach Hause, in die Region Zürich.

Anfangs führte er noch regelmässig Interviews mit Basler Wirtschaftsgrössen und sinnierte hie und da in Kommentaren über Lokalpolitik (in seinem fünften BaZ-Kommentar wandte er sich nach der EU, deutschen Politikern und Bundesbern endlich – immerhin – dem Baselbiet zu).

Mit dem fortschreitenden Niedergang der BaZ wandelte sich die anfängliche Distanz in offene Ablehnung. Als Somm 2016 über Basel schrieb, die Stadt benehme sich «zweitklassig», ja, es herrsche «der indiskrete Charme des Untergangs – eine Mischung von Biedermeier und Vernachlässigung prägt die ganze Stadt» –, da reichte es noch für den einen oder anderen gedämpft entrüsteten Facebook-Eintrag. Oder gar mildes Mitleid.

Die BaZ hat sich derart ins Abseits geschrieben, dass sie heute nicht einmal mit echten Skandalen Wirkung erzielen kann.

Kommentare über Basel wurden seltener – seit vergangenem Juli hat Markus Somm nicht mehr über Basel-Stadt geschrieben. Sein letzter Basler Wochenkommentar richtete sich – einmal mehr – gegen SP-Regierungsrat Hans-Peter Wessels. 

«Wer eine monatelange Kampagne der BaZ gegen sich überlebt, wie etwa der unzerstörbare Hans-Peter Wessels, ­verdient jeden Respekt», schrieb Somm da. Pure Verzweiflung: Die BaZ hat sich über die Jahre selbst derart ins Abseits geschrieben, dass sie heute nicht einmal mit echten Skandalen und – im Ansatz – guten Geschichten Wirkung erzielen kann. Der öffentliche Respekt vor der ehemals geachteten Zeitung: auf dem Tiefpunkt.

Es ist wiederum das Resultat einer andauernden, aber fatalen Verwechslung von Somm und Konsorten, zuletzt ausgedrückt in Somms Nabelschau «Gefährlich schreiben» vom 18. November 2017: Die «allgemeine Unbeliebtheit» der «Basler Zeitung» bei den Regierenden in Basel («und in Bern und Berlin sowieso») setzt er gleich mit dem Beweis für «guten Journalismus».

Mit Unbeliebten will sich niemand abgeben

Selbstverständlich muss ein ernst zu nehmendes Medium von Mächtigen je nach Sachverhalt gefürchtet werden. Doch wäre die BaZ nur bei der Basler Regierung unbeliebt, hätte sie kein Problem mit mangelndem Einfluss – und keinen Leserschwund zu beklagen. Respekt, das wäre das richtige Rezept für einen möglichen Erfolg gewesen. Aber mit Unbeliebten will sich niemand abgeben.

Mit einem Chefredaktor, der Wert auf die Wahrnehmung bei Regierenden in «Bern und Berlin» legt, ist auch ein zweites Problem des ehemaligen Chefs Somm beschrieben. Nicht bloss das der Selbstüberschätzung, auch jenes der persönlichen Vorlieben: Viel lieber als über Basler Themen schrieb Somm über respektive gegen die EU, Angela Merkel, den Euro oder den Bundesrat an. Auch keines seiner nationalen oder internationalen Angriffsziele scheint unter den BaZ-Attacken gelitten zu haben.

Nun ist die BaZ von Blocher und Somm Geschichte. Die einen Kommentatoren wollen ihre Leser glauben machen, es herrsche Jubel über den Verkauf der Zeitung. Dauer-BaZ-Verteidiger wie die Zürcher NZZ sind hingegen sicher: «Die Basler werden sich wundern, wie sehr sie diese Stimme vermissen.»

Wartet jemand auf eine «Basler Zeitung» des Zürcher Quasi-Monopolisten Tamedia? 

Beide Behauptungen greifen zu kurz – die Öffentlichkeit denkt differenzierter. Dass der SVP-Übervater und sein Biograf nichts mehr mit der «Basler Zeitung» zu tun haben: Darüber freut sich eine grosse Mehrheit – die SVP kam 2016 im Grossen Rat trotz BaZ-Support nicht über 15 Prozent – zu Recht. Denn damit dürfte auch die Zeit des übergriffigen Vorschlaghammer-Kampagnen-Journalismus und die regelmässigen Kommentare aus dem kleingeistig-rechtspopulistischen Giftschrank bei der BaZ vorbei sein.

Solche Stimmen, und denen räumte die BaZ viel Platz ein, werden in Basel-Stadt von kaum jemandem vermisst werden. Die meisten hören ihnen schon lange nicht mehr zu. Das Gros der anderen wird sie schon bald vergessen haben.

Aber wartet jemand auf eine «Basler Zeitung» von Tamedia? Einer weiteren Zeitung des Zürcher Quasi-Monopolisten Tamedia – die Weko wird den Deal noch überprüfen müssen – mit dem immergleichen Mantelteil aus Zürich mit Inland, Ausland, Wirtschaft und Sport, lokal garniert mit einigen Seiten einer Basler Regionalredaktion? 

Was das verlorene Spiel Blochers mit der BaZ zeigt

Der Grossverlag dürfte den hohen Kaufpreis, der laut Gerüchten im Bereich von 60 Millionen Franken liegt, plus einiger einträglicher Gratisanzeiger obendrauf, nur deshalb bezahlt haben, weil man auf keinen Fall die Werbeabdeckung in der Nordwestschweiz verlieren wollte. Wäre die BaZ nach Blocher an AZ-Medien-Verleger Peter Wanner oder einen anderen Konkurrenten gegangen, dann wäre die Nordwestschweiz für den Werbe-Giganten beim Newsnet zum schwarzen Fleck geworden. Um das zu verhindern, geht man auch bei Tamedia in den roten Bereich, wo es wehtut.

Markus Somm hat man einen Exit ermöglicht, mit dem er immerhin halbwegs sein Gesicht wahren kann. Während seine Journalisten um ihren Job zittern, rettet er sich als zukünftiger Autor zum neuen Eigentümer.

Letztlich hat die BaZ-Episode immerhin eines gezeigt: So einfach, wie sich das manche Herren vorstellen, lässt sich kein bezahlendes Publikum unliebsame Inhalte aufdrängen. Das funktioniert – Blocher hat es inzwischen selbst bemerkt – höchstens mit Gratiszeitungen.

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