Während Jahrhunderten verkündeten europäische Missionare das Evangelium in Afrika. Heute reisen Prediger-Stars aus Afrika in die alte Welt zurück, um Europas Ungläubige zu bekehren.
Wenn Dag Heward-Mills in Ghana, Mali, Burkina Faso oder Liberia zu einem Gottesdienst ruft, dann wird auf den Strassen Westafrikas viel Staub aufgewirbelt. Auf Heward-Mills «Healing Jesus Crusades» sind 37 Sattelschlepper voller Material unterwegs. Für ihn, seine Hilfsprediger, Sängerinnen und die Band werden Stadion-reife Bühnen aufgebaut.
Zugleich reist mit dem Kreuzzug ein ganzes Korps von Krankenschwestern und Ärzten mit, die am Vortag des Spektakels kostenlose Behandlungen anbieten. Während tagsüber mit Medikamenten und Verbänden geheilt wird – Heward-Mills hat selbst Medizin in England studiert –, überlässt man das Heilen abends auf der Bühne ganz Gott. Dann werden die Krüppel und Elenden mit viel Tamtam auf die Grossbühne geholt, Krücken abgelegt und im Rausch des Festes vorgeführt, wie der heilige Geist die Versehrten wieder zum Humpeln, Gehen oder Stehen bringt. Halleluja!
Heward-Mills mag es gerne bombastisch. Seine Lighthouse Chapel International (LCI), eine der grössten pfingstlich-charismatischen Mission Afrikas, hat geschafft, was sonst nur «Starbucks» kann: 1987 öffnete Dag Heward-Mills in Ghana seine erste Kirche, heute hat sie über 1500 Ableger in 66 Ländern – auch in der Schweiz.
Die Webseite lighthousechapel.org erinnert vom Umfang und der Funktionalität her an einen globalen Grosskonzern. Hier kann man Heward-Mills’ Bücher in 27 Sprachen bestellen, Podcasts und RSS-Feeds abonnieren, sich über Twitter und Facebook mit dem Prediger vernetzen, von der LCI produzierte Musik anhören, über den eigenen Videokanal «Healing Jesus TV» life in Predigten reinschauen und über Paypal Geld spenden.
Basler Wurzeln
Heward-Mills Mission hat Basler Wurzeln. Seine Mutter war Baslerin und als Hippie nach London gereist, wo sie einen Ghanaer heiratete. Sie hatte zwar etwa soviel mit dem Christentum am Hut, wie Bob Dylan mit dem Vatikan. Trotzdem bezieht sich Heward-Mills heute explizit auf seine Herkunft mütterlicherseits. Denn Basel, das ist die Herkunft der Pioniere der «Basler Mission», die das Christentum im 19. Jahrhundert nach Ghana brachten.
Ähnlich wie die europäischen Missionare vor 200 Jahren das gottlose Afrika retten wollten, ist Heward-Mills angetreten, um Europa ins Reich Gottes zurückzuführen. «Gott hat mich auserkoren, das weiterzuführen, was die Basler Mission viele Jahre zuvor in Ghana getan hat», erklärt Heward-Mills seine eigene Mission im Dokumentarfilm «Kreuzzug» der Filmemacher Andrea Müller und Adrian Zschokke.
Trailer zum Film «Kreuzzug» von Andrea Müller und Adrian Zschokke:
Heward-Mills und seine LCI sind kein Einzelfall. 600 Millionen Menschen bekennen sich heute zum Neoprotestantismus – darunter Pfingstbewegungen, Charismatiker und Evangelikale. Sie verbindet der Wunsch nach einem sehr direkten, persönlichen Erlebnis von Gott, eine äusserst wortgetreue Auslegung der Bibel, der Glaube an Wunderheilungen und das Zungenreden, ein unverständliches Brabbeln in einem Trance-ähnlichen Zustand.
Seit den 1970er-Jahren hat die Bewegung vor allem in Lateinamerika, Asien und Afrika Zulauf gefunden. Ihre Gründer haben oft von den Star-Evangelikalen in den USA gelernt, wie man Menschen für seine Mission begeistert. Heute sind sie wesentlich erfolgreicher als ihre einstigen Vorbilder.
Die Basler Mission wird 200 Jahre alt. Was tun Missionare heute noch? Wie ist das koloniale Erbe ihrer Missionen zu bewerten? Und wie reagieren die Missionierten? Lesen Sie die Berichte und Analysen in unserem Wochenthema.
Lesen Sie ausserdem:
«Es gibt keine heile Welt, Herrgott nochmal» – ein Streitgespräch mit dem Entwicklungshilfeprofi Al Imfeld und der Mission-21-Direktorin Claudia Bandixen.
«Es wird Zeit, dass wir die Schweiz retten» – Besuch im Basler Ableger der Lighthouse Chapel International.
In Subsahara-Afrika wurden in den vergangenen Jahren Hunderte von neuen charismatisch-pfingstlichen Missionen gegründet. Vor allem in den Slums treffen sie heute auf fruchtbaren Boden. Menschen, die ums Überleben kämpfen und nicht mit der Unterstützung des Staates rechnen können, finden in der Bibel Trost, fühlen sich von Geschichten zur Barmherzigkeit Jesus gegenüber den Armen und der Gleichheit aller Menschen vor Gott angesprochen. Diesem Protestantismus wird praktisch alles zugetraut: Familienglück, Heilung, persönliche Erfüllung und vor allem Reichtum.
«Die afrikanischen Pfingstbewegungen zeichnen sich durch einen ausgeprägten Wohlstandsdiskurs aus», sagt Andreas Heuser, Theologe und Professor für aussereuropäisches Christentum an der Universität Basel. «In den meisten Fällen handelt es sich um ein sehr materielles Christentum.»
Anders als im Norden, wo der calvinistische Geist und die Bescheidenheit meist stark im Protestantismus verankert sind, sind Designer-Kleidung, Edelkarrossen und luxuriöse Anwesen in Afrika ein Zeichen von Gottes Gnaden. Dieser Reichtumsglaube macht die Pfingstkirchen anfällig für Missbräuche.
Predigen als «big business»
Der für Afrika zuständige «Forbes»-Reporter Mfonobong Nsehe schrieb: «Predigen ist in Afrika zum big business geworden. Es ist mittlerweile fast so profitabel wie das Ölgeschäft.» Damit bezog er sich auf Prediger wie David Oyedepo, den Gründer der Winners Chapel in Nigeria, mit Missionen in 34 Ländern und hunderttausenden von Anhängern.
Der Hauptsitz der Winners Chapel in Lagos ist eine der grössten Kirchen der Welt. Ein hexagonales Auditorium mit rotem Blechdach und 50’000 Sitzplätzen. Dort ohrfeigt der Priester vor versammelter Gemeinde auch schon mal eine Frau, die sich auf Knien als «eine Hexe Gottes» ausgibt.
Gereist wird in exklusiven Jeeps, flankiert von einem Tross an Begleitpersonal.
2001 wurde Oyedepo vom Wirtschaftsmagazin «Forbes» zum reichsten Prediger Afrikas erkoren und sein Vermögen auf rund 150 Millionen Dollar geschätzt. Laut Blogger Nsehe besitzt Oyedepo vier Privatjets und Zweithäuser in London und den USA. Gereist wird in exklusiven Jeeps, flankiert von einem Tross an Begleitpersonal.
In England wurde wegen unrechtmässiger Spendensammlung gegen Oyedepo ermittelt. In seinen Gottesdiensten werden die Gläubigen aggressiv zum Spenden als Zeichen des tiefen Glaubens aufgefordert. Dafür wurden den Gläubigen in London gleich Formulare für Kreditkarten-Zahlungen gereicht – Versehen mit dem Vers: «Gott liebt den grosszügigen Geber.»
Beschränkter Erfolg in Europa
So erfolgreich die pfingstlich-charismatischen Missionen in Afrika heute sind, so marginal blieb bislang ihr Einfluss in Europa. Der «Spill-over», also das Überschwappen der Bewegung von afrikanischen Predigern in Europa auf die Europäer selbst, wollte bislang nicht recht fruchten.
«Die Ausstrahlung dieser Gemeinschaften auf ihre Gastmilieus in Europa ist meist sehr beschränkt», sagt Andreas Heuser. Die afrikanischen Kirchen fänden in Europa vor allem bei Migranten neue Anhänger.
Zwar wurden laut einer Studie des Kirchenberaters Peter Brierley alleine in London während acht Jahren 450 neue Pfingstkirchen eröffnet, die von einer Viertelmillion Menschen besucht würden. Doch eine Vermischung mit gebürtigen Engländern findet dort meist nicht statt.
«Die meisten Europäer fühlen sich durch die Predigt eines simplen, dualistischen Weltbilds von Gut und Böse, Gott im Himmel hier und Teufel in der Hölle dort, nicht angesprochen», ist Heuser überzeugt. Aufklärung und Säkularisierung haben nachhaltige Spuren im hiesigen Kirchenverständnis hinterlassen. Hinzu kommt: Viele Menschen in Europa sind bereits reich; sie müssen nicht mehr dafür beten.
20’000 Anhänger allein in Kiew
Eine Ausnahme ist Sunday Adelaja und seine Embassy of God in der Ukraine; die grösste charismatische Gemeinde Europas, mit über 20’000 Anhängern alleine in Kiew – die meisten davon Ukrainer. Sie wird von einem Immigranten aus Nigeria geführt.
Adelaja hat es geschafft, ein Sozialhilfesystem aufzubauen, das der Staat bis heute nicht zustande bringt.
Die Embassy of God unterhält rund 500 Freiwilligenorganisationen, die Rehabilitationszentren für Drogenabhängige, Gassenküchen und Arbeitsprogramme für Obdachlose betreiben. Seine Missionare, genauso wie die Ärzte der LCI in Westafrika, verbessern die Lebenssituation vieler armer Anhänger tatsächlich.
BBC-Report über die Embassy of God:
Die etablierten protestantischen Kirchen werfen Adelaja zwar Personenkult, Überhöhung seiner Verdienste und Vergöttlichung von Wachstum und Geld vor. Und die orthodoxe Kirche lehnt ihn ab.
Doch Adelaja kümmert das wenig. Der Erfolg scheint ihm Recht zu geben. Nach eigenen Angaben unterhält er heute Kirchen in über 40 Ländern. Genauso wie bei seinen Brüdern und Schwestern in Afrika reicht seine eigene Mission schon lange über staatliche Grenzen hinaus. Schliesslich hat er sich nichts Geringeres zum Ziel gesetzt als die Re-Christianisierung eines gesamten Kontinents.
Nach der Gründung der Basler Mission von 1815 wurden in Basel ab 1816 junge Missionare ausgebildet. Sie wurden in Theologie, Latein und Altgriechisch geschult, übten das Verfassen von Tagebüchern und sollten «Verbreiter einer wohltätigen Zivilisation» werden.
Über ausländische, vor allem englische Missionsgesellschaften, wurden sie ins Ausland geschickt. 1821 sandte die Mission die ersten Missionare in den Kaukasus; später auch nach Ghana, Indien und China.
Aus der Basler Mission ging 2001 gemeinsam mit der Evangelischen Mission im Kwango (EMIK) und der Herrnhuter Mission (HM) die «Mission 21» mit Sitz an der Missionsstrasse 21 in Basel hervor.
Sie betreibt heute in Afrika, Asien und Lateinamerika gemeinsam mit 70 Partnerorganisationen rund 100 Projekte für Bildungs- und Friedensarbeit, Gesundheits- und Frauenförderung sowie gegen Armut. «Mission 21» feiert mit einer Jubiläumskampagne das 200-jährige Bestehen der Basler Mission. Am 30. Oktober beginnt das Jubiläum mit einem Herbstbazar in der Mission 21.