Als Frau am Gryffemähli – eine Grenzerfahrung

Alle Jahre wieder speisen rund 450 Herren anlässlich des Vogel Gryff unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Diesmal mit einer überraschenden Meisterrede – und einer hohen Frauenquote.

Begrüssung am Eingang: Die drei Ehrenzeichen.

Alle Jahre wieder speisen rund 450 Herren anlässlich des Vogel Gryff unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Diesmal mit einer überraschenden Meisterrede – und einer hohen Frauenquote.

Im Voraus ein Geständnis: Ich habe nie zuvor vom Gryffemähli gehört. Ausserdem erfülle ich keine der Voraussetzungen, die ein Mitglied der drei Ehrengesellschaften zum Greifen, Rebhaus oder Hären erfüllen müsste: männlich, Basler Bürger mit Wohnsitz im Kleinbasel und «wohlbeleumundet».

Noch schlimmer, ich verstosse als Frau, Bernerin und kürzlich nach Grossbasel Gezogene sogar vehement dagegen. Genau deshalb wollte ich hin.

Spiel des Vogel-Gryff.

Spiel des Vogel-Gryff.

Kaum an meinem Tisch, werde ich angesprochen. «Sind Sie das erste Mal am Gryffemähli?» Ein älterer Herr mit grauem Haar und schwarzem Anzug – so sehen hier alle aus – schaut mich leicht belustigt an. Er erklärt mir den «Bhaltis»-Bon, der an meiner Bankettkarte hängt. Den könne man beim Ausgang gegen einen «Bhaltis» eintauschen. Der «Bhaltis» sei ein Besänftigungsfutter für den «Drachen», der verärgert auf einen warte, wenn man beschwipst nach Hause komme. Der Mann macht mit seiner Faust eine Schraubenbewegung an der Nase. Dann weiss ich ja Bescheid.

Hohe Frauenquote

Der Marsch der Drei E-Clique «zum Mitstampfe» leitet in den bevorstehenden Nachmittag ein, eine Suppe mit Wurzelgemüse wird aufgetischt, worin ein Baselstab aus Blätterteig schwimmt.

Dann begrüsst uns René Thoma, Meister der Ehrengesellschaft zur Hären, und stellt die Ehrengäste vor. Darunter: Hans-Rudolf Herren, ein Insektenforscher, Landwirtschafts- und Entwicklungsexperte und Träger des alternativen Nobelpreises. Ebenfalls dabei ist der Nationalratspräsident von 2014, Rudolf Lustenberger, und für Unterhaltung soll der Komiker Emil Steinberger sorgen. Emil durfte sogar seine Frau mitbringen, und auch sonst sind zwei Frauen als Ehrengäste geladen.

Der Meister René Thoma habe sich sehr dafür eingesetzt, dass dieses Jahr auch Frauen unter den Ehrengästen sind, sagt mir später ein Mitglied der Ehrengesellschaft zum Rebhaus. Ich fühle mich schon etwas mehr willkommen und gehe zur Toilette. Die gehört heute nur mir, denke ich, als ich das leere Damenklo betrete. Doch kaum habe ich die Tür geschlossen, höre ich zwei Männerstimmen. «Da muss man heute nicht anstehen, sind ja keine Frauen da», sagt der eine lachend. Als sie mich beim Händewaschen erblicken, sagen sie nichts mehr.

Aussergewöhnliche Meister-Rede

Nach den gebratenen Jakobsmuscheln mit Sauce hollandaise auf Reis und Kefen kommt das Vogelgryff-Spiel, der Auftritt der drei Ehrenzeichen. Ueli sammelt Geld, Vogel Gryff, Wild Maa und Leu tanzen für die drei Meister.

Die Menge johlt, als der Wild Maa seinen Tannenbaum (pardon: sein «Dännli») auf den Tisch knallt. Die Stimmung scheint nun ausgelassener zu werden, und ein Mitglied verkündet mir stolz, er sei schon seit 40 Jahren dabei. «So eppis händ Sie no nie gse, gälle Sie?» Nein, habe ich nicht.

Bühne im San Franciso Saal am Gryffemähli.

Bühne im San Franciso Saal am Gryffemähli. (Bild: Samanta Siegfried)

Als sich alle wieder beruhigt und die Elsässer Senfbrootis mit Kartoffelgratin und Bohnebündeli verspeist haben, setzt der Meister René Thoma zur lang ersehnten Rede an, die heute unter dem Motto «Visionen» stehen soll. Und die erstaunt nicht nur mich.

Ehrlich gesagt, hatte ich mit derben Witzen und Spott gegen alles Andersartige gerechnet. Doch das Gegenteil passiert. Der Meister ermutigt in seiner Rede dazu, die eigenen Gedanken zu denken und sich nicht von den Mächtigen aus Politik und Wirtschaft lähmen zu lassen.

Wenn wir denken, wir könnten nichts ausrichten gegen das Elend in der Welt, so sei das ein Irrtum. «Mä ka nit schimpfe und sälber nit aktiv wärde», so Thoma. Dann zitiert er gar noch den Künstler Joseph Beuys: «Die Zukunft, die wir wollen, muss erfunden werden.»

Ausserdem sei es falsch, anderen Kulturen unsere Weltsicht aufdrücken zu wollen. Es sei an der Zeit, den Ängsten der Menschen positive Zukunftsentwürfe entgegenzuhalten. Es sei Zeit für Menschen mit Visionen. Am Ende erntet der Meister eine, wenn auch zögerliche, Standing Ovation.

Zwei unterschiedliche Ehrengäste

Thematisch geht es mit der Rede des ersten Ehrengastes Hans-Rudolf Herren ähnlich weiter. Nur ist er ein weniger begabter Redner und wirft dem Publikum Begriffe wie Klimawandel, hohe Temperaturen und Schmelzen der Gletscher an den weinseligen Kopf. «Was wird aus unseren Kindern?», fragt der Gewinner des alternativen Nobelpreises in die zunehmend abgelenkte Runde. Mein Tischnachbar regt sich auf. Herren erntet nur einen halbherzigen Applaus.

Der Ueli auf der Bühne, nachdem er Geld gesammelt hat.

Der Ueli auf der Bühne, nachdem er Geld gesammelt hat.

Der zweite Ehrengast Rudolf Lustenberger trifft wieder eher den Geschmack des traditionsbewussten Kleinbaslers. Er komme ja selbst aus einer traditionsreichen Kultur, dem Entlebuch. Auch ist er der Einzige an diesem Abend, der die rot-grüne Regierung auf die Schippe nimmt. «Bei euch sind jetzt die meisten rot oder grün, auf jeden Fall sicher links. Und dieser Zustand ist in Gottes Namen halt auch nicht viel besser als der im Mittelalter.» Das gefällt.

Ich lasse mir die folgende Darbietung der Drei E-Clique und weitere Gruss- und Dankesreden entgehen und schleiche mich davon. Beim Ausgang kommt mir der «Bhaltis»-Bon in den Sinn. Ich zeige ihn erwartungsvoll der Garderobiere und erhalte ein Güggli. Darin befindet sich ein Holzpuzzle mit einem Aufdruck der drei Ehrenzeichen. Ob das hilft, den «Drachen» daheim zu besänftigen?

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