Die Mitteilungsfensterchen auf unseren Desktops und Smartphones sind nützliche Helferlein, die uns nonstop in ihren Bann ziehen. Ein Befreiungsschlag.
Der Wecker in Form meines Smartphones weckt mich dreimal hintereinander – ohne grosse Wirkung, ich liege immer noch. Doch ein bescheidenes kurzes Summen und die Meldung «Akku fast leer, bitte Ladekabel anschliessen» lassen mich abrupt aufstehen und die Verkabelung checken. Kaum fliesst der Strom, beginnen Mitteilungsfenster aufzuploppen: «Sie haben 6 neue Mails», und ein SMS und eine Whatsapp-Nachricht.
Kaum wach, bediene ich bereits meine Maschinen. Die Kaffeemaschine erinnert mich mit einem nervigen Ton daran, bald wieder das Entkalkungsprogramm zu starten. Sie heischt Aufmerksamkeit und will gewartet werden, bevor sie sich endlich auf ihren Daseinszweck besinnt und mich glücklich macht.
Mit der Morgenlektüre via diverse Facebooktwitterstreams und auf Onlineportalen vergeht mein Frühstück im Nu. Nach zirka 120 Überschriften und Leads, aber nur einem halben Artikel bin ich informiert über die Nachrichtenlage. Irgendwie halbwegs frustriert, aber mit vollem Kopf schwinge ich mich aufs Elektrofahrrad, dessen Akku mich zur Begrüssung über seinen Ladezustand informiert. Während der Fahrt piepst es im Hosensack sechsmal; im Büro angekommen, aber noch nicht am Platz, habe ich bereits zwei Chats beantwortet.
Die Elektrozigi will Elektropower
Endlich am Bürotisch, nervt es aus dem Hosensack: «Entschuldigung Hans-Jörg, das habe ich nicht ganz verstanden». Jetzt geht das Kommunizieren los: Mails, Chats und nochmals Mails. Da wollen Mitarbeiter, die nur zehn Meter entfernt sitzen, Auskünfte und OKs. In der ersten Pause reklamieren die Elektrozigi über mangelnde Elektropower und die Kaffeemaschine über fehlendes Wasser. So vergeht der Arbeitstag mit gefühlten 1000 Erinnerungen, Push-Meldungen und VIP-Mails.
Konzentriertes Schaffen funktioniert nur noch mit Kopfhörer und mit deaktiviertem WLAN. Doch aufgepasst, höchstens eine Viertelstunde, länger reicht die Geduld von Arbeitskollegen nicht, plötzlich tauchen sie physisch auf, um nachzufragen, was denn los sei. Mitarbeiter, die noch vor der digitalen Revolution aufgewachsen sind, penetrieren einen mit Telefonanrufen. Sie wollen wissen, ob man das Mail erhalten habe, das sie eben abgeschickt hätten, und erklären einem dessen Inhalt in Slowmotion. So folgt auf jede verbarrikadierte Viertelstunde eine halbe, um den Informationsstau abzuarbeiten.
Jetzt funken auch noch die privaten elektronischen Dialoge rein: Nachtessen heute oder morgen, thai oder italienisch, hast du gehört, der Soundso hat Leukämie, Tante Susi hat morgen Geburtstag, hast du mir mal die Nummer vom Karl, Zahlung über 227.20 wurde ausgeführt, sorry, brauche die Nummer von Karl dringend, du wurdest auf einem Foto markiert, zwei neue Freundschaftsanfragen und sofort ficken ganz in deiner Nähe!
Früher sah man sich beim Reden in die Augen
Abends vor der Glotze tauche ich in die Nacht. Der Film spielt hauptsächlich in Autos und in einem Grossraumbüro der Achtzigerjahre. Die Protagonisten fahren meilenweit zu Telefonkabinen oder hämmern rauchend (ja, das war mal ganz normal) auf ihren Schreibmaschinen rum. Doch sie haben anscheinend genügend Zeit, ihre Arbeit zu verrichten; das Private erledigen sie auf dem Weg zum Klo oder in der Mittagspause. Ohne Mobile Phone auf dem Kantinentisch, das immerzu bedient werden muss. Beim Reden sehen sie sich in die Augen.
Das bringt mich auf eine Idee.
Ich will wagen, was vor 30 Jahren noch eine Selbstverständlichkeit war: ohne Smartphone leben – eine ganze Stunde lang. Bei der Arbeit bleibt der Browser geschlossen und der Chat-Kanal wird mit der Standardnachricht abgespiesen, doch bitte in dringenden Fällen aufs Tischtelefon zu funken. Überleben werde ich es vielleicht. Aber sicher entspannt und uninformiert.