Ruedi Bachmann und seine Mitstreiter sorgten 1973 dafür, dass sich der Staat erstmals mit Zwischennutzern beschäftigen musste. Trotz vierzigjähriger Erfahrung tut er sich immer noch schwer damit.
Zwischennutzer? Das sind doch diese hippen jungen Leute mit Bart und zahlreichen Projekten in den Laptops, den Wohnwagen-Beizen, mit Ratten als Haustieren und abgebrochenen Studien. Und dem Anspruch, staatliche Liegenschaften für ’n Appel und ’n Ei für sich und ihresgleichen nutzen zu dürfen – laut und chaotisch. Das sind sie, die Zwischennutzer, die in den Medien viel zu viel Gehör erhalten und doch nie etwas Anständiges auf die Beine stellen.
Der Pionier der Zwischennutzer ist 72 Jahre alt und besitzt Dutzende säuberlich gefüllte Ordner in einem aufgeräumten Büro. Viele der darin beschriebenen Projekte gab es einmal oder gibt es noch immer. Mindestens ein Beizchen in einem festen Haus ist ihm zu verdanken – und obendrein mit der Bärenfelserstrasse die erste motorfahrzeugfreie «Wohnstrasse» der Stadt. Eine Ratte hat er nicht, dafür einen Beruf: Er ist Architekt, allerdings nicht in erster Linie deswegen bekannt. Ruedi Bachmann ist vor allem «Quartieraktivist» und in dieser Funktion auch Zwischennutzer.
Kampf um Brachen in der Stadt
Vor genau 40 Jahren gründete er den Verein interessierter Personen «V.i.P» mit. Abgesehen vom Wortspiel mit «Very Important Person» hatte die Wahl des Namens einen weiteren Grund: «Wir wollten ihn immer wieder verwenden können.» Das geschah dann auch, 40 Jahre lang. Und es hört nicht auf: Der Verein zählt derzeit 250 Mitglieder. Viele sind wie Ruedi Bachmann «Grufties», so sagt er.
Es begann 1973 mit dem Kampf um eine Zwischennutzung auf dem Kasernenareal, ging weiter mit der Umnutzung des ehemaligen Sulzerareals an der Bärenfelserstrasse im Kleinbasel und der Mitwirkung beim Projekt «nt/Areal» auf dem alten Gelände der Deutschen Bahn. Inzwischen ist das Gehör in den Medien für «V.i.P» auf ein Minimum geschrumpft, zu viel Raum nimmt die neue Zwischennutzer-Generation ein, zurzeit wegen der geplanten Projekte am Hafen.
Der Staat bockt immer
Ruedi Bachmann beobachtet das Geschehen in den Medien und als Fussgänger vor Ort. Er spricht von einem «brandaktuellen Thema», er, der Opa jener Menschen, die scheitern, weil der Staat bockt. Was wiederum alles andere als brandaktuell ist, denn der Staat bockt immer, sagt Ruedi Bachmann. Er sagt es in gewählten Worten und in bestem Baseldeutsch: «Meine Erfahrung zeigt, dass man mit Privaten oft besser fährt, weil da meist nur eine Person der Dätschmeister ist.»
Bei der Verwaltung hingegen: fünf zuständige Departemente, zahlreiche involvierte Personen. Aber niemand, der Nägel mit Köpfen macht – und wenn, dann ausgesprochen langsam. Etliche Male hat Ruedi Bachmann das erlebt, etwa dann, wenn er eine staatliche Liegenschaft vor dem Abbruch bewahren oder Brachland bespielen wollte. Bei den Privaten ging das schneller. Da sagte der Patron Ja – und frei war der Weg. Das Geschehen am Hafen, wo sich eine Gruppe nach der anderen von ihren Zwischennutzungsplänen zurückzieht, erinnert ihn an früher. Er fragt sich: «Warum bloss?» Seine Meinung: Brachen muss man nutzen, solange sie brachliegen.
Der Hafen und die Besetzung des Allschwiler Schiessplatzes sind die aktuellen Brennpunkte in Sachen Zwischennutzung. Das nt/Areal scheint Geschichte zu sein, ist aber nach wie vor aktuell: Das Areal heisst zwar jetzt dem neuen Quartier entsprechend Erlenmatt, doch neben den Neubauten wird weiterhin zwischengenutzt.
Der Verein «V.i.P» hat dort laufende Projekte wie den Sonntagsmarkt und den Verkehrsgarten möglich gemacht – und vor einer Woche wurde im ehemaligen Restaurant Erlkönig der 15. Basler Quartiertreffpunkt «Rosental/Erlenmatt» eröffnet. Nach 40 Jahren geht dem Verein die Energie nicht aus. Es fragt sich: Warum?
Autostopp-Reisen als Zündung
Ruedi Bachmann geht in der Zeitrechnung mehr als 50 Jahre zurück und erzählt von Autostopp-Reisen durch die Welt. Von Gesprächen mit Menschen, die anders sind als er – und ihm nach der gemeinsamen Fahrt nie wieder begegnet sind.
Diese Erfahrungen hätten ihn auf die Idee gebracht, auch in der Heimat «Menschen zusammenzubringen, die sonst nicht zusammen sind». Es war der Reiz, «mit Eigenleistung etwas zu verwirklichen und nach einigen Jahren wieder etwas Neues zu machen». «Zeitlich begrenzt» ist das Stichwort.
Werden die Verdichtung der städtischen Bauten sowie die schwindenden Freiflächen und Fabriken ein Zwischennutzer-Dasein eines Tages unmöglich machen? «Nein», sagt Ruedi Bachmann, «Brachen wird es immer geben.» Im selben Moment, als er das sagt, kommt im Radio die Meldung: «BASF streicht 350 Stellen in der Region Basel.» Schrecklich für die Betroffenen, ohne Zweifel, Ruedi Bachmann ist ein sozialer Mensch. Aber: Vielleicht ein neuer Freiraum?
Man weiss es nicht, man wusste es vorher nie, sagt Bachmann: «Auf die Idee, den Schiessplatz für eine Zwischennutzung aufzusuchen, wäre ich beispielsweise nie gekommen.» Wieder zieht er einen Vergleich mit früher, bedauert, dass eine offizielle Zwischennutzung in Allschwil verhindert wird. Sagt aber auch: «Immerhin sind die Behörden nicht martialisch eingefahren.» Denn auch sie scheinen zu wissen: Brachen wird es immer geben. Und Zwischennutzer auch.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 26.04.13