Wären wir doch bloss zwei, drei Wochen später hierhin gefahren. Aber das Leben ist bekanntlich kein Ponyhof, noch nicht einmal, wenn es um Ferien geht. Zu viel Arbeit da, ungünstige Verpflichtungen dort, vielleicht noch ein wenig Familiäres dazwischen – und schon steht man mit all den anderen Käsgesichtern im Osterstau, in der Hoffnung, irgendwo im Süden den Alltagsmist zu vergessen und etwas braune Farbe ins Gesicht zu bekommen.
Wir weichen dem Stau halbwegs erfolgreich aus, indem wir über den Simplon kurven. Das ändert allerdings nichts daran, dass es die ersten zwei Tage am Ortasee regnet, ja, kübelt. Das passiert über Ostern bekanntlich noch oft, ist natürlich aber trotzdem schade.
Denn wenn die Sonne scheint, dann, aber wirklich erst dann, wird aus dem Ortasee auf einmal der Lago d’Orta, und schon weicht la graue Vita unmittelbar der ewig ersehnten Italianità. Dann schmeckt auch die geschmorte Gänsekeule mit Polenta in der einzigen Taverna des Mittelalterdörflis Miasino, wo wir jene Tage zu Hause sind, als hätte ein Sternekoch sie zubereitet. Und nicht ein alter Trunkenbold.
Ja, wenn die Sonne scheint, dann ist vieles möglich. Dann könnte man im Prinzip auch eine Staffelei auf den Dorfplatz des eigentlichen Magnetorts Orta San Giulio aufstellen, um die kleine Insel mitten im See, die Isola San Giulio, auf Leinwand zu pinseln. Man könnte aber auch einfach Gelati lecken, und wenn sie tropft, gäbe es bestimmt einen hübschen Fleck aufs Hemd, der alle zum Lachen bringt. Man könnte den Italienern dabei zusehen, wie sie Pizza mampfend oder Aperol Spritz schlürfend vom Strassencafé ihren Bambini zuschauen, die auf ihren kleinen Velos um die flanierenden Touristen radeln, furchtlos und ohne Helm, weil hallo, Italien, da geht Stil noch immer vor Sicherheit.
Mit so vielen heiteren Dingen könnte man sich beschäftigen, wenn am Ortasee die Sonne scheint, und die Seele würde baumeln wie sonst nie.
Ein Stück Torte hilft
Bei Regen hingegen, bei richtigem Sauwetter, da hilft nur eins: Shoppen. Immerhin gibt es in der Nähe, bei Vicolungo, eine ganze Outlet City. Mit 150 Shops und allem Pipapo. Schrecklich, ich weiss. Aber was will man machen? Man kommt ja sonst nie zum Einkaufen.
Den Rest der Zeit geben wir uns wirklich Mühe. Wir fahren sogar auf den Mottarone, den höchsten Gipfel zwischen dem Lago d’Orta und dem Lago Maggiore. Wegen der Aussicht und so. Weil verhangene Landschaften, die haben doch auch immer ihren ganz eigenen Charme. Hätten bloss diese Wolken nicht die doofe Angewohnheit, immer genau dann auf dem Gipfel feststecken zu bleiben, wenn wir just dort oben ankommen!
Also runter auf die andere Seite, runter nach Stresa, wo noch mehr Regen fällt als ohnehin. Egal, ein Stück Torte vermochte noch immer die Stimmung zu erhellen. Und damit die Freude etwas länger anhält, verputzen wir die Torte dieses Mal bewusst nicht direkt in der Pasticceria, sondern lassen sie uns einpacken, und zwar in ein Päckli, das wird so schön, das könnte man glatt verschenken.
Es gehört aber uns! Und es ist für später, wenn wir wieder zurück sind in Miasino, unter der wärmenden Bettdecke im Schlafzimmer unserer Bleibe, ein fast schon schlossartiger Bau, der einst so an den Hang gestellt wurde, dass man den See sehen kann. Könnte einem Adligen gehört haben, in einem Jahrhundert, als für seinesgleichen noch jeden Tag die Sonne schien, sogar in den Ferien. Oder es gehörte einem Esel, denn ursprünglich wurde das Gebäude als Stall genutzt, der zum echten Schloss der Ortschaft gehörte.
Heutzutage findet man so etwas für ein paar Batzeli auf Airbnb. So haben sich Zeiten eben geändert. Und zu unserem Glück ändert sich mit dem letzten Bissen Torte endlich, endlich auch das Wetter.
La famiglia, mangiare – capito
Einen Tag lang dürfen wir uns im Sonnenlicht suhlen, bevor es bereits wieder nach Hause geht. Es ist Ostermontagmittag, ein Pflichttermin für ganz Italien, jede einzelne Sitzgelegenheit in jedem einzelnen Restaurant rund um den Ortasee besetzt zu halten. La famiglia, mangiare – capito. Und weil wir nichts reserviert haben, nehmen wir mit leicht knurrendem Magen schon mal vor all diesen Leuten den Verdauungsspaziergang vorweg.
In der Gegend gibt es ausgeschilderte Rundwege über Feld und Wiesen, über Hügel und Bäche, durch alte Dörfer und Wälder. Für Wanderer, Biker oder Reiter. Und wer diesen Wegen folgt, der mag zur Belohnung zum Beispiel an einem Ostermontagabend, wenn sich alle Italiener längst ihre runden Bäuche massieren, im Restaurant wieder richtig zulangen.
Zu empfehlen wäre hierzu unbedingt das «Giardinetto», das sich in Pettenasco direkt am See befindet. Sieht von aussen zwar ein bisschen nach verblasstem Siebzigerjahre-Chic aus, aber drinnen: Sonnenschein im Teller, kann man da nur sagen. Und obendrein eine herrliche Aussicht auf den See im Dämmerlicht, mitsamt den schönsten Ortschaften und den Bergen rundherum.
Mehr Empfehlungen brauchen Sie eigentlich gar nicht. Ausser vielleicht noch diese: Fahren Sie jetzt dahin! Am besten jetzt gleich. Nicht zwei, drei Wochen später. Denn jetzt ists da am allerschönsten. Und sonst kommt ja doch nur wieder irgendwas mit Arbeit, Verpflichtungen oder mit Familie dazwischen. Das wäre aber wirklich zu schade.
Buchen: Ein Apartment in der Villa Allegra bei Miasino. Der Bau ist eine Wucht, die Räumlichkeiten von altem italienischem Reiz und im gepflegten Garten kann man wunderbar seinen Ranzen der Sonne entgegenstrecken. Es hat zwei Liegestühle pro Wohnung.
Reservieren: Mit dem dicken Portemonnaie wird man sicherlich direkt im malerischen Orta San Giulio fündig. Auch wenn man wohl nur mit viel Pech in eine dreiste Touristenfalle trampt – ein Blick in einen guten Gastroführer lohnt sich auf jeden Fall. Und eine kleine Fahrt in die Umgebung sowieso. Wir wurden im «Giardinetto» in Pettenasco sehr glücklich.
Ausfliegen: Tja, wo anfangen? Der Ortasee bietet für Sportlerinnen, Kulturheinis und faule Fresssäcke gleichermassen viel. Falls Sie nun gar nicht wissen sollten, was mit dieser traumhaften Gegend anzufangen, fahren Sie eben ins Outlet Vicolungo.