«An den Müttern hängt noch immer zu viel!»

Die Väter seien in der Familie heutzutage viel präsenter als früher. Darum sei auch der Muttertag veraltet, schrieb die TagesWoche. Die Mutter und Professorin für Kulturtheorie Silvia Henke ist ganz anderer Meinung. Hier ihre Replik.

(Bild: Basile Bornand)

Die Väter seien in der Familie heutzutage viel präsenter als früher. Darum sei auch der Muttertag veraltet, schrieb die TagesWoche. Die Mutter und Professorin für Kulturtheorie Silvia Henke ist ganz anderer Meinung. Hier ihre Replik.

Es begann vor einigen Tagen mit einem kurzen Wortwechsel. Muttertag? Müssen wir den, willst du den, werden wir den … noch immer? Meine Antwort kam nach kurzem Zögern dann sehr schnell, als Gegenfrage: Warum denn eigentlich nicht? Doch da lag schon die Tages­Woche auf dem Tisch und wurde leicht triumphal hochgehalten. Muttertag, das war gestern! Und welche moderne Mutter will schon gestrig sein?

Doch da war ein bestimmter Ärger, der auch nach Lektüre der verschie­­denen Beiträge nicht verschwinden mochte. Ich beschloss, mich mit ­diesem ­Ärger etwas länger ausein­ander­­zu­setzen. Herausgekommen sind einige gute Gründe, am Muttertag festzu­halten. Man kann nicht einen Vatertag lancieren, der auch von Frauen begrüsst und befördert wird, und im Gegenzug dazu den Muttertag für gestrig erklären. Das ist ziemlich voreilig und hat den Geruch eines seltsamen Konkurrenzgebarens.

Auch wenn einer der ­Beiträge für ­einen Elterntag plädiert, ist das Credo der Titelgeschichte klar: Am Muttertag sollen künftig die Männer mit ihren Fortschritten Thema sein. Das ist wirklich überraschend.

Bei aller Sympathie für die jungen Väter im Redaktionsteam: Ihre Berichte sind persönlich und frisch, aber sie sind leider nicht repräsentativ. Die ­Statistiken, die auch Andrea Maihofer und Monika Zech in ihren Beiträgen unterstreichen, belegen noch immer, dass Männer, die Teilzeitarbeit leisten und sich dazu auch noch vom Knopf­an­nähen bis zum Erinnern an den Zahnarzttermin um den Kleinkram der Kinder kümmern, eine kleine Minderheit darstellen. Natürlich kommen aus diesem schmalen soziologischen Segment Vorbilder – und die braucht es, damit dieses Segment wächst. Aber ­warum sie nicht am Vatertag hochhalten?

Es gibt eine Konstante in allen ­Arbeitsmarktforschungen, die besagt, dass die Arbeit von Männern mehr wert ist als jene der Frauen. Die Forderung nach Lohngleichheit ist in dem Sinne so altmodisch und unerhört wie der Muttertag. Wenn im Gegenzug nun die symbo­lische Höherbewertung männlicher ­Arbeitskraft im Haushalt und in der ­Erziehung Einzug hält, ist das zwar nicht überraschend, aber geschlech­terpolitisch einfach zu kurz gedacht.

Zu viel hängt noch an den Frauen, zu viel an den Müttern, die aufgehört ­haben, darüber zu sprechen, weil es nicht mehr à la mode ist. Dass viele Väter sich mehr Zeit mit ihren Kindern wünschen, ist eine erfreu­liche Tatsache. Dass diese Wünsche aber in einem nationalen Forschungsprogramm behandelt werden wie Tatsachen, ist fragwürdig. Nicht immer schaffen Wünsche Tatsachen (siehe Lohngleichheit der Frauen). Und vor allem: Wünsche zu äussern ­gegenüber Geschlechterforscherinnen kostet nichts. Man(n) muss sie am ­Arbeitsplatz äussern.

Mütter in meinem Alter gehören zur ersten Generation Frauen in der Schweiz, die mehrheitlich beruftstätig sind und die den Spagat zwischen Beruf und Familie oft ohne Vorbilder eingeübt haben. Wir haben dabei auch gelernt, mit dem schlechten Gewissen umzu­gehen, mit dem unbequemen Gefühl, an beiden Orten nicht genug zu leisten. Wir sollten aus diesem schlechten ­Gewissen heraus nun den Muttertag nicht allzu grosszügig den Männern überlassen. Denn es gibt wenig soziale Formen, Danke zu sagen, gegenseitig etwas Wertschätzung auszudrücken, sei es für die Mütterlichkeit oder für die Väterlichkeit.

Epilog: Es gab an meinem Muttertag dann doch noch eine kleine Überraschung. Es lohnt sich also, ein wenig darum zu streiten, auch in Zukunft.

 

Silvia Henke ist Professorin für Kultur­theorie an der Hochschule Luzern, Design und Kunst. Sie hat sich in einer Studie mit der Situation von Abgängerinnen und Abgängern der Kunstschule Luzern auseinandergesetzt («Frauen und Männer auf der Kunstlaufbahn», Luzern 2009).

 

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 18.05.12

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