Das Bundesgericht lässt Coop-Pronto- und Migrolino-Shops nicht als Familienbetriebe gelten. Der Druck auf die Läden, sich an die Öffnungszeiten zu halten, nimmt zu. Und einige tricksen weiter.
Über 60 Prozent der Basler Stimmbürgerinnen und Stimmbürger haben im März eine weitere Liberalisierung des Ladenschlussgesetzes abgelehnt. Zehn von zwölf kantonalen Versuchen, die Ladenöffnungszeiten zu liberalisieren, sind bisher an den Urnen gescheitert. Gemäss einer Umfrage des Vergleichsdienstes Comparis sind 82 Prozent der Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten mit den bestehenden Ladenöffnungszeiten zufrieden.
Nicht so der Detailhandel. Mit immer neuen parlamentarischen Anläufen – aktuell der Detailhandelsinitiative – versuchen die Einzelhandelslobbyisten, die Ladenöffnungszeiten weiter aufzuweichen. Zwischenzeitlich weiss sich der Einzelhandel mit allerlei Tricks um die herrschenden Gesetze zu foutieren.
Coop und Migros nutzen, wo immer möglich, das Schlupfloch der Grenznähe oder der Verkehrsknotenpunkte, um beispielsweise in Kleinhüningen wochentags bis 20 Uhr, an Wochenenden und Feiertagen bis 18 Uhr geöffnet zu haben. Die Kleinhüninger Coop-Tankstelle verkauft sogar täglich bis 23 Uhr neben dem üblichen Tankstellensortiment Frischlebensmittel und die meisten Dinge des täglichen Bedarfs.
Deckmantel «Familienbetrieb»
In Basel ist es Familienbetrieben erlaubt, auch sonntags und abends Lebensmittel und Gebrauchsgüter zu verkaufen, solange hinter der Kasse ein Familienmitglied steht. Diese Sonderregelung begünstigt eigentlich die sogenannten Tamilen- und Türkenläden, die allfällige Versorgungslücken im Quartier schliessen und zugleich erheblich zur Integration der jeweiligen Betreiberethnie beitragen.
Allerdings, und das ist nicht im Sinne der Erfinder dieses Kompromisses, machen sich auch Grosskonzerne wie die Migros-Töchter Denner und Migrolino sowie die Coop Mineraloel AG mit ihren Coop-Pronto-Shops diese Regelung zunutze. Im Franchisesystem verpachten sie Läden mit dem üblichen Sortiment an Grossfamilien – entgegen einem eindeutigen Beschluss des Bundesgerichts vom 1. Juli 2013 zu einem Fall in Lausanne.
Der Haken bei der Sache: Die Konzerne schliessen Verträge mit von den Familien gegründeten GmbHs oder Aktiengesellschaften ab. Laut Bundesgericht können solche Körperschaften aber nicht als Familienbetrieb durchgehen.
Behörden halten sich zurück
Die Gewerkschaft Unia fordert nun in St. Gallen konkret die Schliessung mehrerer Geschäfte in der Ostschweiz. Auch in der Nordwestschweiz überlegt sich die Gewerkschaft laut Hansueli Scheidegger, Co-Leiter Unia Nordwestschweiz, gegen solche «Scheinfamilienunternehmen» Druck zu machen.
Es gehe nicht an, dass umsatzorientierte Grossverteiler das Arbeitsgesetz und den Schutz der Angestellten mit fadenscheinigen Tricks aushebeln. Zudem seien die Verwandtschaftsverhältnisse in solchen Betrieben oft seltsam. «Da erstrecken sich angebliche Familienbande oft über mehrere Kontinente.»
Beim Basler Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) herrscht gemäss Scheidegger allerdings «nicht gerade grosser Elan», den Beschwerden nachzugehen. «Wir haben bereits in der Vergangenheit Missbräuche gemeldet, und es ist nichts passiert.» Tatsächlich bricht beim AWA nicht gerade Hektik ob des aktuellen Bundesgerichtsurteils aus. Es lässt lediglich verlauten, dass es Kenntnis vom Urteil habe und mit dem Kiga BL und dem Staatssekretariat für Wirtschaft das weitere Vorgehen absprechen will.
Immerhin beteuert die Migros, dem geltenden Gesetz im Bedarfsfall Nachachtung zu verschaffen. Bei der Coop Mineraloel AG dagegen wäscht man die Hände in Unschuld: Die Franchisenehmer hätten die Verantwortung, dass alles mit rechten Dingen zugehe.
Und bei Valora glaubt man das Ei des Kolumbus gefunden zu haben: Der Konzern betreibt im Messeneubau und in der Steinenvorstadt Avec-Shops, die aber als Beizen bezeichnet werden. Mit diesem Trick bekam Valora schon letztes Jahr zumindest vor dem Appellationsgericht recht.
Artikelgeschichte
Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 13.09.13