Arme rechte Künstler im linken Kulturbetrieb

Ein unlustiger Politkomiker klagt über Rufmord. Ein Altrocker springt ihm bei und geisselt die Tyrannei des linken Kulturkuchens. Dahinter steckt nicht mehr als die Selbstinszenierungen von zwei «Weltwoche»-nahen Wichtigtuern.

Chris von Rohr an der Mediothekswoche der GIBM in Muttenz am 28.11.2012

(Bild: Alexander Preobrajenski)

Ein unlustiger Politkomiker klagt über Rufmord. Ein Altrocker springt ihm bei und geisselt die Tyrannei des linken Kulturkuchens. Dahinter steckt nicht mehr als die Selbstinszenierungen von zwei «Weltwoche»-nahen Wichtigtuern.

Es hat einmal eine Zeit gegeben, da klagten Kunstschaffende, sie würden vom rechtsdominierten Kulturbetrieb ausgegrenzt, da man sie als links einstufe. Das ist lange her. Jetzt werden wir mit sonderbaren Klagen bedient, die genau das Gegenteil suggerieren: Arme rechte Kunstschaffende werden vom bösen linken Kulturbetrieb boykottiert.

Auffallend ist, dass wir in diesen Klagen überhaupt nichts darüber erfahren, wer konkret boykottiert und was daran links sein soll. Es ist einfach billiges und unlauteres Gerede. Aber es bekommt prominente Plattformen und in den Kommentarspalten tosenden Applaus. Um mit dem Letzteren zu beginnen:

Ein M.C., sich selbst als Arzt und Kabarettist aus Basel präsentierend, gratuliert in der «Schweiz am Sonntag» vom 28. August 2016 Chris von Rohr zu einem Artikel in der Ausgabe der Vorwoche, der «die Dinge» beim Namen nenne. Die Dinge? Das sind in diesem Fall neben vielem anderem: die «als Religion getarnte Staatsideologie» des Islam und der TV-Konzessionsgelder kassierende und in «Seilschaften» agierende Roger Schawinski.

Viel unkritische Kritik, aber keine Selbstkritik

Von Rohr erhielt diesen Applaus, weil er 1:1 die Ausfälle des unkomischen Politkomikers Andreas Thiel übernommen hatte gegen die «meist linke Schweizer Kulturszene», die Toleranz fordere, selber aber allen Andersdenkenden entweder einen Maulkorb oder den Stempel Rassist «verordne». Angeblich Diffamierte reagieren hier selbst mit Diffamierung.

Ein anderer, nachgeschobener Leserbrief meint, der Thiel-Verteidiger C.v.R. habe den «Nagel» auf den Kopf getroffen. Dessen Artikel war aber das glatte Gegenteil eines Nagels, nämlich ein wolkiges Sammelsurium voll billiger Sprüche gegen «linke Moralhüter und Apostel der politischen Correctness» und gegen linke Subventionsbezüger.

C.v.R. hat sich auch im jüngsten Fall instinktsicher selber in Szene gesetzt, indem er den angeblich verfolgten Kollegen Thiel unterstützte, der in nicht untypischer Selbstüberschätzung die Heldentat für sich beansprucht, mit seiner scheinbar dringend nötigen Islamkritik «eine Bresche in dieses Rede- und Denkverbot» geschlagen zu haben. Erst nach seiner, Thiels Intervention sei der Schweiz die Gefährlichkeit des Islams bewusst geworden. Da kommt wirklich viel zusammen: von Islamkritik über Linkenkritik bis Staatskritik und allgemeine Kultur- und Gesellschaftskritik. Viel unkritische Kritik, aber keine Selbstkritik.

Kunst ist eine subversive Kraft, die gängige Gewohnheiten durchbricht und damit die Entgrenzung von einfachen Ordnungsvorstellungen ermöglicht.

Diese medialen Wichtigtuereien sind allenfalls darum von Interesse, weil sie sich vor dem Hintergrund der alten Frage abspielen, ob Kunst eine Sache der Linken oder der Rechten sei. Das ist im Grunde eine falsche Frage, weil wirkliche Kunst weder links noch rechts, sondern immer einfach nur Kunst ist. Je nach Verständnis des «linken Engagements» kann man beifügen, dass Kunst insofern eine indirekte Parteigängerin ist, als sie eine subversive Kraft ist, die gängige Hör-, Seh- und Lesegewohnheiten durchbricht und damit zusätzliche Sensibilisierung, Infragestellung von Massengewohnheiten und Entgrenzung von einfachen Ordnungsvorstellungen ermöglicht.

Linkes Engagement kann aber, das wissen wir, durchaus auch in einer Variante daherkommen, die all dem widerspricht und totalitäre Züge trägt. Dies hat Künstler wie beispielsweise Picasso jedoch nicht daran gehindert, wegen der plakatierten Ideale Sympathien für den vom Stalinismus beherrschten Kommunismus zu hegen.

Eigentlich wollen Andreas Thiel und Chris von Rohr nur auffallen.

Es ist eine Erfahrungstatsache, dass sich Künstler mehrheitlich als Parteigänger der Linken bekennen. In den meisten Wahlkämpfen positioniert sich eine Mehrheit der Kunstschaffenden links der Mitte, zurzeit gerade wieder im amerikanischen Ringen zwischen Demokraten und Republikanern. Künstler legten ihr Veto dagegen ein, dass ihre Musik an Donald Trumps Veranstaltungen gespielt wird, während Hillary Clinton musikalisch aus dem Vollen schöpfen und als Lieblingssong am Ende ihrer Reden Rachel Pattons «Fight Song» einsetzen kann.

Würden Thiel und von Rohr da mitsingen, wenn ihnen die linke Kulturmafia eine gute Gage verspräche? Beide nehmen für sich in Anspruch, überparteilich zu sein. Aber sie positionieren sich in dem Masse rechts, als sie gegen die echten oder erdachten Linken hetzen. Eigentlich wollen sie nur auffallen, ihre Polemik gegen links dient diesem Ziel und bedient damit direkt oder indirekt rechte Positionen. So kompliziert und zugleich einfach ist das.

Der Altrocker von Rohr schwärmt für Christoph Blocher. Er pilgerte zu ihm, wurde empfangen, durfte sogar, wie er glücklich berichtete, in seinem Pool schwadern und bekam, sozusagen als Dank für seine Verehrung, einen der beiden Blocher (damals Nationalrat) zustehenden Lobby-Zugangsbadges fürs Bundeshaus – fast so was wie einen SVP-Orden.

Thiel wie von Rohr sind der Meinung, dass Rassismus in der Schweiz kein reales Problem sei, sondern nur Vorwand, um unerwünschte Statements abzuwürgen.

Als sehr politisch Unpolitischer erklärte von Rohr, dass er eben Leute «mit Ecken und Kanten» möge. Diese Formel umgeht eine Präzisierung, um welche Kanten es sich da handelt. Immerhin bekannte er sich als Unterstützer der Masseneinwanderungs-Initiative und als jemand, der kein Problem hat, «Fuck you!» zur EU zu sagen. Das taten und tun Tausende von anderen Eidgenossen und Eidgenossinnen ebenfalls, allerdings nicht als kleine Vorbild-Promis.

Bei Thiel und von Rohr sind, abgesehen von billiger Polemik gegen die Linke, mehrere Gemeinsamkeiten auszumachen. Beide sind der Meinung, dass Rassismus in der Schweiz kein reales Problem sei, sondern nur Vorwand, um unerwünschte Statements abzuwürgen. Neben der Verwandtschaft im Geiste gibt es eine Übereinstimmung in der Selbstdarstellung, die, wie in dieser Branche nicht unüblich, mit ausserordentlicher Haartracht aus einem Dutzendgesicht eine einzigartige Erscheinung machen will.

Hinzu kommt eine nicht zufällige Nähe zur «Weltwoche». Thiel ging da eine naheliegende Partnerschaft ein, als er die Erkenntnisse seiner amateurhaften Koranlektüre verbreiten wollte. Und von Rohr wünschte 2015, ganz nach dem Muster «Provocation sells», bei der Verleihung eines Swiss Music Awards an seine Band Krokus möge Köppel die Laudatio halten.

Die Klage vom Rufmord

Zurück zur Ausgangslage: Geschaffen wurde sie von einem sonderbaren Interview in der NZZ, bei dem man sich ebenfalls fragen kann, über welche Seilschaft es zustande kam. Da verkündete Thiel der Welt, dass er an eine Beendigung seiner Bühnenkarriere denke, weil er neuerdings «die ganze Theaterszene» gegen sich habe. Er sei Opfer von Rufmord, er werde gemobbt, gelyncht und gesteinigt.

Das Interview warf hohe Wellen, wurde auch von anderen Zeitungen kommentiert und bewegte die Kommentarspalten. Das dürfte auch der Zweck der Übung gewesen sein. Ob es aber dem unter ausbleibendem Erfolg leidenden Komiker hilft, ist zweifelhaft. Bemerkenswert ist, dass sich aus dem Reich der NZZ eine prominente Gegenstimme meldete, die dem angeblich Verfolgten die Klage nicht abkaufte.

Manfred Papst, der Feuilletonchef der «NZZ am Sonntag», fragte zunächst einfach nach und wollte wissen, welche Veranstalter die Verträge bereits aufgelöst hätten. Er erhielt – nicht überraschend – keine Auskunft, dafür aber eine Neuauflage der Thielschen Behauptung: «Die Gründe der Absagen reichen auch von verständlicher Angst vor Terror und Angst vor leeren Theaterkassen über weniger verständliches Kuschen vor Beschimpfungen bis hin zu politisch motivierten Vertragsauflösungen und schlichter Leichtgläubigkeit gegenüber diesen diffamierenden Gerüchten.»

Immerhin erfuhr man im Laufe der weiteren Affäre, dass der Kabarettist Jess Jochimsen aus Freiburg i. Br. eine Deutschlandtournee mit Thiel abgesagt und sich von ihm distanziert hat. Darf man das nicht mehr?

Die Winkelried-Zwillinge

Papst will die Verfolgungsthese nicht so recht glauben und weist unter anderem darauf hin, dass Thiel sein jüngstes Programm im November/Dezember 2015 im Zürcher Theater Hechtplatz trotz seines publikumswirksamen TV-Schlagabtauschs mit Roger Schawinski rund 30-mal vor weitgehend leeren Rängen gespielt hat. Dass das Publikum von rechts bis links Thiels Programme nicht mehr sehen will, habe nicht primär politische Gründe: «Es findet ihn einfach nicht lustig, und das mit gutem Grund. Weil Thiel seine Überzeugungen vor sich herträgt wie ein Banner, sind seine Pointen absehbar.» 

Diese Art von einordnender Gegenrede blieb in der Leserschaft wiederum nicht unwidersprochen. Manche würdigten Thiel in der Woche darauf als mutigen Querdenker und Tabubrecher und warfen Papst vor, er diffamiere Thiels «pointierte Kabarettkunst».

Beide, A.T. und C.v.R., haben mit ihren jüngsten Medienauftritten viel Applaus einkassiert. Doch der hindert sie nicht, sich weiter als eine Art Winkelried-Zwillinge aufzuspielen.

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