Atomausstieg kommt – irgendwann

Die Katastrophe von Fukushima warf auch Wellen in der Schweiz: Bundesrat und Parlament beschlossen ein Verbot von neuen Atomkraftwerken. Mit Ausnahme des AKW Mühleberg dürfen die alten Reaktoren vorläufig unbefristet weiter laufen.

Liefert noch so lange Strom, bis die Experten den Reaktor für unsicher halten: AKW Gösgen. (Bild: Keystone)

Die Katastrophe von Fukushima warf auch Wellen in der Schweiz: Bundesrat und Parlament beschlossen ein Verbot von neuen Atomkraftwerken. Mit Ausnahme des AKW Mühleberg dürfen die alten Reaktoren vorläufig unbefristet weiter laufen.

Die Schweizer Politik hat rasch auf den schweren Atomunfall vom 11. März 2011 im japanischen Fukushima reagiert: Schon im Mai beschloss der Bundesrat, neue Atomkraftwerke (AKW) im Inland zu verbieten; indirekt lehnte er damit die drei hängigen AKW-Projekte von Axpo, Alpiq und BKW ab. Ende Dezember einigten sich auch National- und Ständerat auf folgende Formulierung: «Es dürfen keine Rahmenbewilligungen zum Bau neuer Kernkraftwerke erteilt werden.»

Dieses Neubauverbot ergänzte das Parlament mit dem Zusatz: «Damit wird kein Technologieverbot erlassen.» Zudem sei die Weiterführung der Nuklearforschung zu gewährleisten. Diese Ergänzungen sind selbstverständlich. Denn Nukleartechnik braucht es weiterhin, um die bestehenden fünf AKW weiter zu betreiben, später fachgerecht zu entsorgen, und um den radioaktiven Müll während Jahrtausenden sicher lagern zu können.

Atomausstieg, aber wann?

Offen ist das Schicksal der bestehenden fünf  AKW im Inland. Diese dürfen nach bisherigem Gesetz unbefristet weiter betrieben werden, solange sie die Aufsichtsbehörde Ensi als «sicher» beurteilt. Die Abschaltung nach 50 Jahren Lebensdauer, von der Energieministerin Doris Leuthard sprach, stellt lediglich eine Planungsvorgabe dar. Bei dieser Vorgabe könnte das jüngste Schweizer AKW in Leibstadt noch bis 2034 weiter laufen.

Die Ausnahme von der dieser Regel bildet seit Mittwoch, dem 7. März 2012, das AKW Mühleberg: Das Bundesverwaltungsgericht (BVG) hat die unbefristete Betriebsbewilligung für dieses kleinere Atomkraftwerk aus Sicherheitsgründen abgelehnt und vorerst befristet bis Juni 2013. Eine längere Laufzeit ist nur möglich, wenn die Betreiberin BKW ein umfassendes Konzept zur Instandhaltung vorlegt. Der Entscheid des BVG, das eine Beschwerde von AKW-Gegnern stützt, kann allerdings beim Bundesgericht noch angefochten werden kann.

Ebenfalls nicht definitiv sind die andern Beschlüsse: Beim parlamentarischen Neubauverbot handelt es sich erst um einen Auftrag an den Bundesrat, das Kernenergiegesetz entsprechend zu ändern. Über diese Revision wird das Parlament in ein bis zwei Jahren erneut und – falls das Referendum ergriffen wird – das Volk entscheiden. Hängig ist zudem eine Volksinitiative der Grünen. Diese verlangt, dass die bestehenden AKW 45 Jahre nach Inbetriebnahme abgeschaltet werden müssen. Stimmt das Volk zu, müsste die Schweiz 2029 endgültig aus der Atomenergie aussteigen.

Energiewende, aber wie?

Mit dem Ausstieg hat sich die Schweizer Stromwirtschaft abgefunden (sie möchte ihn allerdings möglichst lange hinaus schieben). Denn schon vor «Fukushima» war ungewiss, ob das Volk ihren drei Neubau-Projekten zustimmen würde. Tendenziell wird Atomstrom ohnehin teurer. So erfordert die Verschärfung der Sicherheitsbestimmungen, die «Fukushima» auslöste, mehr oder weniger teure Nachrüstungen in den bestehenden Werken, speziell beim KKW Mühleberg.

Offen und umstritten bleibt, wie der stufenweise wegfallende Atomstrom ersetzt werden soll. Umweltverbände setzen auf die Steigerung der Energieeffizienz und staatliche Förderung von Wind- und Solarkraftwerken. Die Stromwirtschaft hingegen fordert Erleichterungen für inländische Gaskraftwerke und setzt zudem auf Stromimport sowie Stromveredelung in ihren inländischen Pumpspeicher-Kraftwerken.

Energiestrategie demnächst

Das Parlament fordert vom Bundesrat eine umfassende neue Energiestrategie. Daran arbeitet zurzeit das Bundesamt für Energie; noch in diesem Frühling soll sie dem Bundesrat  und im Sommer Kantonen, Parteien und Verbänden zur Stellungnahme unterbreitet werden. Diese Strategie, so lässt sich abschätzen, wird aus einem Mix von Massnahmen bestehen, die den spezifischen Energieverbrauch begrenzen, die Bewilligung von Wasser- und Alternativ-Kraftwerken erleichtern und (trotz CO2-Gesetz) auch neue Gaskraftwerke nicht ausschliessen. Über die dazu notwendigen Gesetzesänderungen wird das Parlament 2013 und 2014 erneut beraten und streiten.

Einige Trends sind absehbar: Der spezifische Stromverbrauch von Geräten und Anlagen wird abnehmen, aber durch zunehmende Gerätemengen weitgehend aufgewogen oder überkompensiert werden. Solar- und Windkraft, deren Anteil an der nationalen Stromproduktion heute marginal ist, werden ihren Marktanteil steigern – wie stark hängt von der Marktentwicklung und den Subventionen ab. Der Importüberschuss beim Strom wird wohl steigen, nachdem die ältesten AKW in Beznau und Mühleberg abgeschaltet sind. Ungewiss bleibt, ob sich Investitionen in nationale Gaskraftwerke rechnen, sofern sie überhaupt bewilligt werden.

Es geht um zehn Prozent

Atomstrom deckt heute 40 Prozent des Schweizer Elektrizitätskonsums. Ihn zu ersetzen, ist anspruchsvoll. Doch Strom partizipiert nur mit einem Viertel am nationalen Energieverbrauch. Mit dem Ausstieg aus der Atomenergie gilt es also, zehn Prozent Energie insgesamt einzusparen. Das lässt durch den Rückzug der Elektrizität aus dem Wärmemarkt (Heizung, Boiler, etc.) bewältigen. Denn in den Bereichen Wärme und Verkehr besteht ein riesiges Potenzial zum Sparen und zum Einsatz von erneuerbarer Energie.   

Artikelgeschichte

Dieser Artikel wurde aufgeschaltet, bevor das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts veröffentlicht wurde, wonach die Betriebsbewilligung des AKW Mühleberg bis Juni 2013 befristet sei. Nach der Bekanntgabe des Urteils wurde er aktualisiert.

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