Atomkraft hat für die Mehrheit im Nationalrat keine Zukunft

Die Mehrheit des Nationalrats wünscht eine neue Energiestrategie – wie sie aussieht, wird er im Laufe dieser Woche entscheiden. Die Rückweisungsanträge der SVP und FDP lehnte die grosse Parlamentskammer gestern klar ab.

Energiestrategie 2050: Für die Mehrheit im Nationalrat gibt es keine Alternative zum Atomausstieg. (Bild: Keystone)

Die Mehrheit des Nationalrats wünscht eine neue Energiestrategie – wie sie aussieht, wird er im Laufe dieser Woche entscheiden. Die Rückweisungsanträge der SVP und FDP lehnte die grosse Parlamentskammer gestern klar ab.

 In der Energiepolitik klaffen die Positionen der Parteien weit auseinander. Das verdeutlichten die Nationalrätinnen und Nationalräte, die sich in der gestrigen Eintretensdebatte zur Energiestrategie 2050 zu Wort meldeten.

Am Schluss sprach sich eine Mehrheit im Grundsatz für die Energiewende und das vom Bundesrat geplante Vorgehen aus. Zum Ausstieg aus der Atomenergie gebe es keine Alternative, sowohl ökologisch als auch ökonomisch, lautete der Tenor im Rat.

  • Die Grünen verlangen, dass das letzte Schweizer Atomkraftwerk schon 2029, spätestens aber 2034 stillgelegt wird. Mitglieder der SVP und der FDP hingegen wollen die alten Atomkraftwerke auf unbegrenzte Zeit weiter laufen lassen und obendrein bis 2035 ein neues Atomkraftwerk im Inland bauen.
  • Die FDP will die Subventionen für erneuerbare Stromerzeugung und energetische Altbausanierungen möglichst schnell abschaffen und auf eine Lenkungsabgabe auf Energie warten, welche sie in früheren Abstimmungen stets ablehnte. 
  • Die SP wiederum setzt das Ziel, den Atomstrom bis 2035 weitgehend mit Strom aus Solar-, Windkraft und Biomasse zu ersetzen; dies vorerst mittels Erhöhung der kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV), später mit einer griffigen Energie-Lenkungsabgabe.
  • Die Fraktionen der SP, Grünen, Grünliberalen, CVP und BDP wollen die Energieversorgung mit einer Strategie wenden, die eine Revision von mehreren Gesetzen erfordert.
  • Die SVP hingegen wollte über eine solche Strategie nicht einmal diskutieren und lehnte das Eintreten auf die Vorlage rundweg ab. Mit den Worten von Parteipräsident Toni Brunner: «Wir sehen wohl die Energie, aber keine Strategie.»

 Die «Mutter aller Debatten»

Der Sprecher der Energiekommission, Stefan-Müller-Altermatt (CVP), leitete die Vorlage im Nationalrat ein mit den Worten: «Ich begrüsse sie zur Mutter aller Debatten». Für die Beratung der Energiestrategie hat allein der Nationalrat 20 Stunden reserviert. Diese Debatte würde damit doppelt so lange dauern wie die längste Debatte in den letzten acht Jahren.

Auch andere Rednerinnen und Redner nutzten die Eintretensdebatte zum rhetorischen Schaulaufen. «Die SVP lehnt alles ab, die FDP eiert herum», meinte etwa der Grünliberale Martin Bäumle. Der Freisinnige Christian Wasserfallen gab zurück: «Die (grünliberale) Initiative ‚Energie- statt Mehrwertsteuer‘ wäre die Lösung für alle Probleme, aber sie löst gar keines.»

Am träfsten waren die Wortgefechte, die sich BDP-Nationalrat Hans Grunder mit Vertretern der SVP lieferte. Dem Berner Nationalrat Albert Rösti, der die Kosten der Energiewende auf hundert Milliarden Franken bezifferte, antwortete Grunder: «Als Vertreter des Milchverbandes haben Sie eine Milchbüchlein-Rechnung» gemacht. Und den Zürcher Bankier Thomas Matter, der ihn als «sogenannten Unternehmer» ansprach, konterte Grunder: «Ich bin erstaunt, dass Sie als Befürworter des freien Marktes mich jetzt fragen, wie viel eine Kilowattstunde Strom im Jahr 2050 kostet. Da müssten sie wohl noch etwas in die Unternehmerschule gehen.»

Die ersten Resultate

Nach rund dreistündiger Eintretensdebatte gab es gestern Abend kurz vor halb acht Uhr die ersten Entscheide:

  • Den Antrag der SVP, auf die Vorlage gar nicht erst einzutreten, lehnte der Nationalrat mit 135 gegen 55 Stimmen der SVP ab. Bemerkenswert ist: Die SVP-Männer Oskar Freysinger (VS) und Markus Hausammann (TG) stimmten gegen ihre Partei für Eintreten.
  • Zwei Minderheiten beantragten, die Vorlage an den Bundesrat zurück zu weisen, allerdings mit unterschiedlichen Aufträgen. Dabei obsiegte der vom Berner FDP-Mann Christian Wasserfallen formulierte Minderheitsantrag. Dieser forderte eine neue Vorlage, die mit der angekündigten Öffnung des Strommarktes sowie der erwähnten Lenkungsabgabe verknüpft wird.
  • Den obsiegenden Minderheits-Antrag lehnte der Nationalrat mit 108 Stimmen aus SP, Grünen, GLP, BDP und CVP gegen 81 Stimmen aus FDP und SVP ab. Damit konnte die Detailberatung der umfangreichen Vorlage beginnen. Sie wird heute Dienstag sowie am Mittwoch und Donnerstag fortgesetzt.
  • Bei der Festlegung der Richtwerte über die Stromproduktion aus erneuerbarer Energie und den Energieverbrauch folgte der Nationalrat dem Bundesrat und der Mehrheit seiner vorberatenden Kommission.

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