Grosse Atomkraftwerke kosten Milliarden. Deshalb hausiert das Nuklearforum Schweiz neuerdings mit «kleinen, aber feinen» Reaktoren.
Im kalten Winter 1984/85 rannten die Medien dem damaligen Eidgenössischen Institut für Reaktorforschung (EIR) – heute Paul Scherrer Institut (PSI) – die Türen ein. «Small ist beautiful» lautete damals das Motto und das EIR-Paradepferd hiess Schweizer Heizreaktor (SHR); ein Mini-AKW zur Stromversorgung und Beheizung von Dörfern und Quartieren. Dieses energiepolitische Ei des Kolumbus hatte laut Atombranche nur Vorteile: Weniger radioaktive Abfälle, kostengünstiger Bau und Unterhalt, bombensicherer Betrieb. Dann kam die Atomkatastrophe von Tschernobyl und der Wunderreaktor wurde begraben. Doch die millionenschwere Forschung am PSI lief weiter.
Lieferung und Abtransport der Mini-AKW per Lastwagen
Neuerdings bereitet das Nuklearforum Schweiz eine Renaissance dieser Mini-AKW vor. Die Mini-Atomreaktoren heissen inzwischen «Small Modular Reactors» (kleine, modulare Reaktoren). Auf seiner Internetseite und in einem Werbeinserat in einer «Tagesanzeiger»-Beilage lobt das Nuklearforum die Vorteile der Mini-AKW in hohen Töne: Bombensicherer Betrieb, kostengünstiger Bau und Unterhalt, weniger radioaktive Abfälle. Wie bereits vor fast 30 Jahren. Laut Nuklearforum können die Mini-AKW «wegen ihrer geringen Grösse unterirdisch gebaut werden». Die Mini-AKW werden fixfertig ab Fabrik «per Lastwagen an den Einsatzort gebracht und allenfalls nach Ende der Betriebszeit wieder zurückgebracht». Fazit des Nuklearforums: «Klein, aber fein».
Mini-AKW haben eine Leistung von 20 bis 300 MW (AKW Leibstadt: 1190 MW; AKW Mühleberg 373 MW). Laut Nuklearforum ideal für den dezentralen Einsatz in den Regionen; das Atomkraftwerk für das Dorf, das Quartier oder die Fabrik. An der letzten Jahresversammlung des Nuklearforums hat dessen Präsidentin und Aargauer FDP-Nationalrätin Corina Eichenberger das Credo abgegeben: «Wir sind von den Stärken der Kernenergie überzeugt und halten einen Verzicht auf sie, insbesondere einen rein politisch motivierten Verzicht, für den falschen Weg.» Die neuste Werbung des Nuklearforums macht klar, was sie damit genau meinte.
Zweckoptimismus: Ein Mini-AKW wird in Sibirien gebaut
Trotz Euphorie sieht das Nuklearforum noch einen «langen Weg» für die «feinen» Mini-AKW. Sie sollen erst mittelfristig zum Einsatz kommen, offenbar wenn die bestehenden Atomkraftwerke abgestellt werden. Das Nuklearforum macht im Moment auf Zweckoptimismus: Bereits ist ein Mini-AKW an der Nordküste Sibiriens im Bau und in China steht eines kurz vor Baubeginn. Ein «weit fortgeschrittenes Projekt» in Südafrika ist wegen Geldmangel abgebrochen worden. Generell aber müssten «die SMR ihre Wirtschaftlichkeit noch belegen.» So tönte es schon Mitte der 80er Jahre.
Auch Kleinvieh macht Mist, auch Mini-AKW produzieren radioaktive Abfälle; je höher die Anzahl der Reaktoren, desto grösser die radioaktive Menge. Und was aus Mini-Reaktoren werden kann, wenn sie ausser Betrieb gehen, zeigt sich auf der Kola-Halbinsel bei Murmansk. Dort liegen Dutzende von sowjetischen Atom-U-Booten und müssen vom Westen für Milliardenbeträge entsorgt werden.
Weitere Forschungsmillionen für das atomare Utopia
Wie auf der PSI-Internetseite zu lesen ist, hat sich die Schweiz mit neun anderen Ländern (Argentinien, Brasilien, Kanada, Frankreich, Japan, Südkorea, Südafrika, Grossbritannien, USA) zum «Generation IV International Forum» (GIF) zusammengeschlossen und mit ihnen ein Abkommen zur Erforschung von Mini-Reaktoren der 4. Generation unterzeichnet, welche im Jahr 2030 zur Verfügungen stehen sollen. Die Atomforscher des PSI und der ETH Zürich und Lausanne dürfen also weitere 20 Jahre mit Bundessubventionen an ihrem atomaren Utopia basteln. Als hätte es keinen Ausstiegs-Beschluss des Bundesrates gegeben. Einer dieser Mini-Reaktoren der 4. Generation ist übrigens der gasgekühlte Hochtemperatur-Reaktor, dessen Vorläufer bereits in den 80er Jahren des letzten Jahrtausends gross angepriesen und anschliessend kläglich begraben wurde.
Der Text von Kurt Marti erschien zunächst auf infosperber.ch.