Auf dem Holzweg

Die Basler Pensionskasse Abendrot realisiert in Berlin den «Holzmarkt»: Ein 18 000 Quadratmeter grosses Künstlerdorf an der Spree, mitten im Zentrum der Metropole. In der Kulturstadt Basel wäre ein derartiges Pionierprojekt zurzeit kaum vorstellbar. Warum eigentlich?

Mit Spannung erwartet: Passanten erhaschen einen ersten Blick auf das ehemalige Bar 25- und heutige Holzmarkt-Areal, das noch hinter dem Bretterzaun liegt. (Bild: Alessandro Frigerio )

Die Basler Pensionskasse Abendrot realisiert in Berlin den «Holzmarkt»: Ein 18 000 Quadratmeter grosses Künstlerdorf an der Spree, mitten im Zentrum der Metropole. In der Kulturstadt Basel wäre ein derartiges Pionierprojekt zurzeit kaum vorstellbar. Warum eigentlich?

Punkt zehn ist Zapfenstreich: An diesem schwülwarmen Sonntagabend Ende Juli, wo die Temperaturen gerade erstmals auf ein erträgliches Mass sinken, wo aus der Ferne Lichter und Trommeln des Basler Tattoos locken, schaltet Caroline Rouine bei der «Marina» im Rheinhafen die Soundanlage ab.

Ein undankbarer Job: Sie muss verständlich machen, dass der «Sunday Rave» des aus dem Reh-4-Umfeld stammenden Kollektivs «Rehbellen» pünktlich vorbei ist – obwohl hier, bei der Bretterburg am Ufer des Klybeckquais noch ein paar Hundert Leute liebend gern länger gefeiert hätten.

Ewige Zwischennutzer

«Natürlich würden wir gern noch länger oder noch viel mehr machen», entgegnet die beliebte Basler Wirtin, die mittlerweile auf den Vorsprung vor der Bar geklettert ist, um der Buhrufe der enttäuschten Besucher Herrin zu werden: «Aber wir müssen verdammt nochmal zurzeit alle zusammenstehen, um die Zukunft der Zwischennutzungen im Hafen nicht zu gefährden!»

Die Zukunft nicht zu gefährden, das bedeutet in Basel: Als Zwischennutzer den Bogen ja nicht zu überspannen, sondern höchstens die Vorhut für spätere Prestigeprojekte wie Rheinhattan zu bilden. Dass stadtentwicklerische Kraftakte in ihrer Übergangsphase mithilfe von Projekten aus der Alternativkultur dezent unterstützt wurden, galt bisher bereits per se als progressive Geste. Sobald aber die Zeit der rechtmässigen Endnutzer anbrechen sollte, wurden die Zwischennutzer hinauskomplimentiert – selbstverständlich mit dem warmen Händedruck der Stadtväter: Danke dir, und bis bald, beim nächsten Projekt.

Wem gehört die Stadt?

Dass die vor Kurzem noch weithin unumstrittene Stadtentwicklungspolitik heute womöglich nicht mehr der Weisheit letzter Schluss sein könnte, diese Vorahnung geistert zwar nicht erst seit der Vorstellung der umstrittenen Pläne für Klybeckinsel und Rheinhafen in der selbsternannten Kulturstadt umher: Trotzdem verlieh schliesslich erst die gewaltsame «Favela»-Räumung im Juni der Diskussion «Wem gehört die Stadt?» Auftrieb.

Auch Berlin kennt dieselben Debatten – anders als bei Basels Rheinhattan gilt in der deutschen Hauptstadt das ähnlich megalomanisch angelegte Projekt «Mediaspree», das am Flussufer der 3-Millionen-Metropole einen Mix aus Luxuslofts, Bürokomplexen und Hochhausbauten implementieren wollte, mittlerweile aber bereits offiziell als «versenkt». Die Bürger Berlins hatten aufbegehrt und gegen die Pläne der Stadtoberen mobil gemacht.

Treibende Kraft dieser Entwicklung hin zum kritischen Bewusstsein war ausgerechnet die blühende Berliner Kultur- und Partyszene, welche die Stadt mit dem Slogan «arm, aber sexy» zur Welt-Stadt wiederauferstehen liess. Deren Protagonisten hatten sich (ähnlich wie in Basel) seit der Wende als Zwischennutzer in den brachliegenden Flächen einquartiert – und sich dabei als mindestens so zugkräftige Prestigeprojekte der Gegenwart erwiesen wie die geplanten Prunk- und Prestigeobjekte.

Populäre «Höllenpforte»

So etwa die Bar 25, deren Erfolg sich daran ablesen lässt, dass sie zum Ende ihrer Tage 2010 weit über Berlin hinaus nur noch als «die Bar» bekannt war: Eine (ähnlich der Basler «Favela», aber tatsächlich aus der Alternativkultur entstandene) Ansammlung von Bretterbuden an der Spree. Deren Betreiber wohnten selber grösstenteils auf dem quasi-autonomen Areal, und hielten sich an keinerlei herkömmliche Öffnungszeiten mehr.

Ihre Gäste erfreuten sich daher des fast nahtlosen Übergangs von der After-After-Hour ins Warm-up zu den nächsten Wochenend-Feiern. Das trug der Bar bereits im Jahre 2009 in Tobias Rapps (beim ehrwürdigen Suhrkamp-Verlag erschienenen) Berliner Technokultur-Bibel «Lost and Sound» den nur halb­ironischen Titel einer «in der Kunst des Exzesses unübertroffenen Höllenpforte» ein.

Die «Höllenpforte» war allerdings derart populär, dass das Gros der zum Begriff «Easy-Jetset» verschmolzenen europäischen Partytouristen selbst ein Vielfaches des Eintrittspreises gerne hingeblättert hätte, um es durch die notorisch harte Türkontrolle der Techno-Strandbar zu schaffen. Der unerwartet grosse Erfolg führte dazu, dass der Hotspot zum Ende hin nicht nur um mehrere Floors, sondern auch ein Restaurant, Radio, Hostel sowie sogar ein Wellnesscenter erweitert worden war.

Fast 90 Prozent schickten die neoliberalen Pläne bachab.

Dass es aber ausgerechnet den als feierfreudig bekannten Betreibern jener berühmt-berüchtigten «Bar» nur wenige Jahre darauf gelingen würde, das offizielle Scheitern der «Media­spree» endgültig einzuläuten und sich zusätzlich mit ihrer ehemaligen Residenz eines der wichtigsten Grundstücke zu sichern, darauf hätten wohl die wenigsten gewettet.

Als zentraler Baustein des Erfolgs erwies sich dabei, dass die emotional geführte Kampagne «Mediaspree versenken» (die der gleichnamigen Basler Aktion «Rheinhattan versenken» Pate stand) in der Bürgerinitiative «Spreeufer für alle» ihren konstruktiven Gegenpart fand.

Der 2008 durch den zunehmenden öffentlichen Druck erwirkte Bürgerentscheid, bei dem ein freier Uferstreifen von 50 Metern Breite sowie der Verzicht auf die geplante Hochhäuser-Bebauung mitsamt der angestrebten Autobrücke über die Spree gefordert wurden, erhielt die beinahe unglaublich hohe Unterstützung von 87 Prozent der darüber abstimmenden Quartierbevölkerung.

Die Filous der kultigen Bar 25 sicherten sich das Filetstück.

Die findigen Filous der ehemaligen Bar 25, die mittlerweile mit dem «Kater Holzig» gleich gegenüber ihrer ehemaligen Heimat am anderen Spreeufer einen zweiten, wiederum höchst erfolgreichen Partytempel betreiben, witterten Morgenluft – und das zu Recht.

Denn während Investoren und Bevölkerung noch über die zukünftige Nutzung jenes Filetstücks aller Filetstücke an der Holzmarktstrasse, mitten im Grenzgebiet der angesagten Stadtteile Mitte, Kreuzberg und Friedrichshain stritten, zauberten die ­früher oft als «Techno-Hippie-Kommune» und «Auffangstation für Verpeiler» gescholtenen Club-Betreiber plötzlich ein doppeltes Ass aus dem Ärmel.

Statt einer Luxussiedlung oder Prestigebauten ausländischer Unternehmen solle hier, so schlugen sie vor, im Zentrum Berlins, auf 18 000 Quadratmetern der «Holzmarkt» entstehen: Ihnen schwebe eine Art Künstlerdorf 2.0 vor, eine charmant-unkonventionelle Hüttensiedlung samt öffentlich zugänglichem Park, Markthallen, Genossenschaftswohnungen und einem multifunktionalen Bildungszentrum.

Das «Mörchen» wird wahr

Als potenziellen Investor hatte das Initiativkomitee dabei niemand geringeres als die eidgenössische Vorsorgestiftung Abendrot vorzuweisen, die Schätzungen zufolge knapp zehn Millionen Euro für den Ankauf des Baulands bot. Im vergangenen Oktober wurde der Deal offiziell besiegelt. Letztes Wochenende eröffnete nun bereits das erste Teilstück des Areals: der als «urbane Oase» konzipierte Mörchenpark, der beim Besuch der TagesWoche vor zwei Wochen noch hinter einem meterhohen Bretterzaun verborgen lag.

Trotz der hohen Erwartung, welche das Projekt derzeit umgibt, lässt sich Mario Husten, Vorstand der «Holzmarkt»-Genossenschaft, nicht unter Druck setzen, im Gegenteil: «Wir wissen um das grosse Interesse, das unser Projekt bisher bereits gefunden hat. Doch planen wir Schritt für Schritt und nicht wie ein klassischer Bauherr. Zum Spatenstich am ersten Mai haben wir zunächst einmal Bäume gepflanzt.»

Der «Holzmarkt» wird derzeit medial oft als planerisches «Coming of Age»-Projekt, als Pièce de Resistance und Erwachsen-Werden einer Truppe interpretiert, deren bisherige Erfolge mit Bar 25 und «Kater Holzig» stark vom spontanen «Do It Yourself»-Drive der Berliner Technoszene be­flügelt wurden. Kritischen Stimmen zufolge sei das Projekt geradezu ein Paradebeispiel für die ewig jung bleiben wollende «Generation Peter Pan».

Für Mario Husten greifen dieses Interpretationen zu kurz: «Was soll das heissen, erwachsen werden? Meine beiden Kinder sind mittlerweile aus dem Haus, meinem eigenen Haus wohlgemerkt, und ich fühle mich selber dabei längst erwachsen», entgegnet er unwirsch: «Es geht hier vielmehr um urbane Formen, die dem gesellschaftlichen Wandel entsprechen, um die Frage, wie man einen lebenswerten Ort erschaffen kann!»

Ein autofreies Hüttendorf

Der Mörchenpark ist dabei nur der erste grosse Schritt zur Umsetzung der Forderung «Spreeufer für alle». Der «Holzmarkt» als Konglomerat aus Cafés und Bars, Markthallen und Werkstätten, Ateliers und Studios, Kultur-, Club- und Versammlungsräumlichkeiten, Einkaufsmöglichkeiten sowie einer 24 Stunden geöffneten Kindertagesstätte soll dagegen in einem zweiten Schritt in den nächsten Jahren als autofreies Hüttendorf den Charme bisheriger Alternativkultur-Horte wie der Bar 25 auf die breiteren Bedürfnisse der städtischen Bevölkerung ausdehnen.

Geplant sind zusätzlich kurzfristig mietbare, günstige Räume für künstlerisch-kreative Initiativen sowie Genossenschaftswohnungen, ein Restaurant und Hotel und ein Wellness-Spa. Orte, deren Dächer gleichzeitig Raum für Nachhaltigkeitsprojekte wie Urban Gardening, Urban Farming und einen vertikalen «Bergwanderweg» als Ergänzung zum «Uferwanderweg» bieten. Höchstes Gebäude dürfte nach jetzigem Planungsstand das «Eckwerk» bilden, eine zwölfstöckige Forschungs- und Produktionsstätte, deren Entwickler darin ab 2017 eine Mischnutzung aus Labor und Kongresslokal, IT-Start-Ups und Studentenwohnheim anstreben.

Leitmotiv allen Handelns ist die «urbane Kreativität».

Leitmotiv des Projekts wie der Genossenschaft, die von der Stiftung als Quartiermanagerin benannt wurde, ist die urbane Kreativität. «Wir sind jedoch kein Immobilienprojekt, sondern Menschen, die sich zusammengeschlossen haben, um Träume zu verwirklichen. Menschen, die sich nicht von Dingen abhalten lassen, die andere für unmöglich halten», so Husten. «Unsere Definition von Erfolg schliesst neben wirtschaftlichem Funktionieren auch Lebensqualität, den verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen und Achtsamkeit für Mitmenschen sowie das direkte und indirekte Umfeld mit ein», heisst es dazu in der Präambel des offiziellen Manifests der «Holzmarkt»-Genossenschaft.

Schliesslich vereint der «Holzmarkt» laut Husten als Grundsätze «den Willen, etwas Gutes zu tun, den Mut, dazu den nötigen Freiraum zu schaffen, und das Vertrauen, dass dieser dann auch sinnvoll genutzt wird»: Die Utopie einer eigenen kleinen Welt im Zentrum der Stadt, wo Synergie und Kooperation anstelle von Konkurrenzkampf und Finanzstärke herrschen. Mithin eine «Mischung aus Futurismus und Pippi Langstrumpfs Kleckerburg», wie es der heutige «Kater Holzig»-Betreiber und ehemalige Modefotograf Christoph Klenzendorf dieses Frühjahr in einem Interview mit dem Magazin «Groove» auf den Punkt brachte.

Anarchie light – mit CDU-Segen

Das Konzept erinnert an die stark anarchistisch geprägten, sozialutopischen Entwürfe der 80er-Jahre, an Schriften wie jene des Zürcher Enfant terrible p.m.’s «bolo’bolo» oder des Aktivisten Hakim Beys «Permanente autonome Zone». Ironischerweise war es aber ausgerechnet die CDU, die – vor FDP und SPD und lange vor den bis zuletzt skeptischen Grünen – als erste Partei öffentlich ihre Sympathien für den «Holzmarkt» bekundete.

Nicht nur deshalb war gerade in Kreisen der Berliner Linken zuletzt die Sorge deutlich spürbar, dass der «Holzmarkt» zu einem gentrifizierten Hipster-Viertel werden könnte. Einem Ort also, der mit veganem Mittagstisch, freiem WLAN und biologisch hergestellter Chai Latte vornehmlich der exponenziell steigenden Expat-Community im «Kreativ»-Sektor eine neue Heimat bieten werde – kaum aber der angestammten Quartierbevölkerung.

Der «Holzmarkt» soll nicht zu einer gentrifizierten Hipster-Community werden.

Bedenken, die Mario Husten zumindest zum Teil nachvollziehen kann. «Uns ist bewusst, dass wir mit dem Pachtvertrag über 75 Jahre eine grosse Verantwortung übernehmen. Natürlich gibt es Skeptiker, Neider und auch Spekulanten. Eventuellen Ängsten und Sorgen der Nachbarn begegnen wir im offenen Dialog. Ansonsten wollen wir durch Taten überzeugen, wie es uns schon mit der naturnahen Ufergestaltung gelungen ist.»

Exzellente Netzwerker

Dass als Financier und offizieller Pächter im Bieterverfahren ausgerechnet die in Basel ansässige Vorsorgestiftung Abendrot fungierte, kam in der Region Basel wiederum für viele überraschend. Als nachhaltige Pensionskasse aus dem Geiste der Anti-AKW-Bewegung der 80er-Jahre entstanden, legt Abendrot die ihr anvertrauten Gelder (rund 1,2 Milliarden Franken) zwar stets nach ethischen, ökologischen und sozialen Kriterien an – also vornehmlich in Immobilien und schwerpunktmässig in umgenutzten Industrie­arealen, in Basel etwa im mittlerweile bestens etablierten Gundeldinger Feld, im Winterthurer Lagerplatz-Areal oder zuletzt in der allerdings nicht unumstrittenen Zürcher Binz-Siedlung. Dort sollen statt Ateliers bald günstige Wohnungen für Studierende entstehen.

Dennoch scheint das neue Berliner Investment für eine Schweizer Pensionskasse gelinde gesagt gewagt. «Tatsächlich, finden Sie?», lacht der Basler Advokat und Abendrot-Geschäftsführer Hans-Ulrich Stauffer – nur um sogleich zu betonen, dass die aufsehenerregende Aktion keineswegs gewagt sei, sondern vielmehr eine «überaus vernünftige Investition als Abrundung unserer bisherigen Palette» bedeute. Eine Palette, die ja bereits ein Künstlerhaus an der Oslostrasse in Berlin-Wedding umfasse.

Details über Kaufpreis und Pachtvertrag mag Stauffer nicht nennen – darüber habe man absolutes Stillschweigen vereinbart. Nur so viel: «Wir stellen das Areal, treten aber das Baurecht ab und verpachten es zu einem zunächst sehr tiefen, mit zunehmender Bebauung etwas höheren, jedoch immer noch moderaten Zins an die «Holzmarkt»-Genossenschaft – das bedeutet eine bescheidene, aber konstant bleibende Rendite, bei der das einzige Risiko für uns der Eurokurs bildet.»

Trotz des übertragenen Baurechts habe man allerdings ein festgeschriebenes Mitsprache- und Vetorecht, was die inhaltliche Nutzung betreffe. So seien sowohl eine Weitergabe des Areals als auch eine Umfunktionierung zur «reinen Vergnügungs- oder gar Rotlichtmeile» vertraglich ausgeschlossen. Alle entscheidenden planerischen Schritte würden vorgängig abgesprochen.

In den Untiefen der Stadtpolitik

Auf das Gerücht angesprochen, die Initianten hätten nur drei Tage nach der Konzept-Präsentation den Zuschlag der Stiftung erhalten, antwortet Stauffer diplomatisch: «Es war relativ schnell klar, dass wir den ‹Holzmarkt› im Bieterverfahren als Financier unterstützen würden. Ausschlaggebend waren die klare Orientierung hinsichtlich Nachhaltigkeit und Lebensqualität, der bisherige Leistungsausweis und das exzellente Netzwerk der beteiligten Initianten sowie die hohe Akzeptanz, welche das Projekt in der Stadt genoss.»

Dass die Stiftung damit auch in die «Untiefen der Berliner Stadtpolitik hineingezogen wurde», sei zwar verständlich, andererseits auch «eine ungewohnte Erfahrung» gewesen: «Plötzlich fand ich mich auf Podien wieder, wo links und rechts erbittert über die Zukunft der Stadt gestritten wurde. Das war für mich eine völlig neue Situation.»

Und was ist dran an der verschiedentlich kolportierten Feststellung der «Holzmarkt»-Initiatoren, man habe bei der Zusammenarbeit sozusagen als «lachende Dritte» davon profitiert, «dass es in der Schweiz einfach nicht genug vergleichbare Projekte gebe»? «Grundsätzlich stimmt es schon, dass in der Schweiz für unsere Ziele kaum oder zumindest nur noch selten geeignete Areale und Liegenschaften existieren», formuliert Stauffer eine vorsichtige Bestätigung.

Es gibt in der Schweiz zu wenig Raum für Stadtentwicklungsprojekte.

Das liege einerseits daran, dass im Immobilienbereich «zu viel Luft vorhanden und damit zu wenig Rendite zu erwirtschaften ist.» Dies ist aber nur die eine Seite der Medaille. Denn: Warum unterstützt man ein solches Mega-Projekt der zeitgenössischen Alternativkultur eigentlich ausgerechnet im fernen Berlin? Wären Projekte wie der «Holzmarkt» in Basel nicht ebenfalls möglich oder zumindest denkbar?

Darauf antwortet Stauffer ebenfalls zurückhaltend: «Jein. Sehen Sie, grundsätzlich ist das Problem überall dasselbe. Die Politik ist im Clinch zwischen dem potenziell allgemeinen Nutzen eines Orts und dem Höchstpreis, den derselbe Ort bei privaten Investoren erzielen könnte. Nun ist natürlich die in letzter Zeit wieder erstarkte Diskussion um urbane Freiräume zwar in den Köpfen der Verantwortlichen sicherlich präsent, aber halt gleichzeitig auch viel weniger greifbar als ein konkretes Übernahmeangebot eines solventen Investors.»

Die Tatsache, dass der real anfallende Verkaufs­erlös die Vergabe hier nach wie vor meist stärker beeinflusse als ein mögliches künftiges Gemeinwohl, sei aus seiner Sicht natürlich zu bedauern – insbesondere dann, wenn es sich um Beispiele wie jenes der Markthalle handle, wo rückblickend eine andere Lösung «möglicherweise mehr Früchte getragen» hätte. «Andererseits hält sich unsere Stiftung ja ganz bewusst aus dem politischen ­Tagesgeschäft heraus. Wir können uns nur auf unseren in langjähriger Detail­arbeit erwirtschafteten Ruf berufen, dass wir im Zweifelsfalle stets versuchen, dem allgemeinen Nutzen den Vorzug zu geben.»

«Seid konkret und konstruktiv»

Dass der «Holzmarkt» zurzeit weit über die deutsche Hauptstadt hinaus als Signal für einen Paradigmenwechsel innerhalb der gegenwärtigen Stadtentwicklung betrachtet wird, liegt deshalb nicht nur daran, dass hier erstmals eine Gruppe aus dem «Underground» den Zuschlag erhalten hat, um ein derart zentrales, städtisches «Filetstück» nach eigenen Massstäben zu gestalten – oder besser gesagt: als Freiraum zu konzipieren.

Vielmehr gelten sowohl die vorangegangenen Proteste gegen das neoliberale «Mediaspree»-Projekt sowie der «Holzmarkt» selbst mittlerweile als Grundlage dafür, dass im Berliner ­Senat sowie in der Stadtverwaltung seit Kurzem so etwas wie eine neue Formel für die «Stadtrendite» gilt. Das heisst, dass als Maxime beim Verkauf von öffentlichem Raum nicht mehr nur der zu erwartende Gewinn, sondern ebenso der Zweck der zukünftigen Nutzung miteinberechnet werden muss.

So soll der «Holzmarkt» bereits Modellcharakter für ein ähnliches Projekt im Berliner Stadtteil Lichtenberg haben – was Mario Husten zurzeit allerdings noch nicht kommentieren will. Wichtiger ist es ihm, Erkenntnisse und Erfahrungen zu teilen: «Versucht, von Anfang an Gleichgesinnte zu finden und Brücken zu anderen, ähnlichen Initiativen zu schlagen … Formuliert eure Pläne konstruktiv, also für etwas, nicht gegen mögliche Alternativen! Macht klare Angebote an die Stadt und an potenzielle Investoren und versucht, Kritiker und Skeptiker mit konkreten Argumenten zu überzeugen. Die Devise muss heissen, die Dinge jetzt anzupacken, statt abzuwarten, bis sich etwas bessert.»

Bessert sich Basel?

Die Stiftung Abendrot jedenfalls scheint sich diesen Rat bereits zu Herzen genommen zu haben. Nach den beiden Berliner Engagements wird ihre Lörracher Tochtergesellschaft bald ein drittes Mandat verwalten: Gleich auf der anderen Seite der Grenze, am südlichen Ende des Basler Friedhofs Hörnli, sollen in Grenzach-Wyhlen demnächst unter anderem 130 günstige Wohnungen für die gesamte Region entstehen.

In der Stadt Basel scheint man nun ebenfalls endlich gewillt, die Zwischennutzungen im Rheinhafen trotz aller anfänglicher Verzögerungen aktiv voranzutreiben: Nach dem Skaterpark «Port Land» und der «Marina» wurde soeben das aus den Brettern der «Favela» gezimmerte Bistro «Landestelle» eröffnet.

Der Kauf des BASF-Areals könnte Basel bald beflügeln.

Vielleicht steht allerdings auch Basel bereits ein viel grundlegenderes, stadtplanerisches Umdenken bevor: Wie letzte Woche bekannt wurde, überlegt sich der Kanton, das bisher vom Chemiekonzern BASF genutzte, mittlerweile zum Verkauf stehende Industrie-Areal zwischen Rheinufer, Klybeckstrasse und Kleinhüningen selber zu erwerben, um die Quartiersentwicklung stärker steuern zu können.

Mit dem Kauf würde die Stadt auf einmal schlagartig über 120 000 Quadratmeter zusätzlichen Boden verfügen – also über eine Fläche, die mehr als zehn Mal so gross ist wie der Berliner «Holzmarkt».

Quellen

Holzmarkt: Konzept 

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 02.08.13

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