Auf den Pixel gebracht

Mit dem revolutionären Softwareprogramm Photoshop wechselten ­Computer von der Buchhaltung in die Bildbearbeitung.

Das Bild von Knolls Ehefrau Jennifer entstand auf dem südpazifischen Atoll Bora Bora. (Bild: John Knoll)

Mit dem revolutionären Softwareprogramm Photoshop wechselten ­Computer von der Buchhaltung in die Bildbearbeitung.

«Ich photoshoppe noch ’ne Stunde.» «Du photoshoppst recht genau.» «Er shoppt gerade die Leila zurecht.» Da ist der Name eines Produkts in den allgemeinen Sprachgebrauch gewachsen, das lange Zeit ein Werkzeug von Spezialisten war und mittlerweile schon vielen Kindergärtlern ein Begriff ist.

1987, während meines ersten Lehrjahres als Fotograf, verkündete der Gewerbeschullehrer, dass die Computer in den Fotografenalltag einziehen würden. Das praktische Arbeitsgerät würde die Schreibmaschine ersetzen und für Buchhaltung sehr nützlich sein. Für Bilder sei es aber nicht geeignet, da die Programme nur Text verarbeiteten.

Zur gleichen Zeit tüftelte in Michigan der Student und Hobbyfotograf Thomas Knoll an einem Computerprogramm, das genau das ermöglichen sollte, was damals unvorstellbar schien: Bilder am Rechner anzuzeigen und zu manipulieren. Der Arbeitstitel des Projekts hiess «Display». Das Programm konnte schon bald erstaunlich viel. Mit seinem Bruder John nahm er daran Verbesserungen vor und konnte es schliesslich für eine namhafte Summe an Adobe Systems verkaufen. Adobe brachte das bekannte Bildbearbeitungsprogramm Photoshop mit der Versionsnummer S1.0 im Jahr 1990 für 695 Dollar (das entspricht inflationsbereinigt heute 1288 Dollar) auf den Markt.

Abwedler und Ausfleckpinsel

Im Februar 2013 hat Adobe den Quelltext von Photoshop 1.0 veröffentlicht. Er wurde auf der Website des Computer History Museum bereitgestellt und besteht aus 128’000 Zeilen in 179 Dateien. Eines der ersten Bilder, welches Knoll mit dem Programm bearbeitete, war ein Urlaubsfoto seiner Frau Jennifer, an dem die Farben und die Helligkeit verändert wurden. Knoll verwendete es anfänglich zur Demonstration seiner Software; es kann als erstes gephotoshoptes Bild bezeichnet werden. 

Die Software schlug wie ein Blitzschlag in die Bildindustrie ein. Es gab zwar schon andere Bildbearbeitungsprogramme, doch Photoshop war sehr einfach zu bedienen und aus dem frisch boomenden Desktoppublishing bald nicht mehr wegzudenken.

Die Werkzeuge der Software simulieren oft analoge Gerätschaften aus dem Fotostudio und Fotolabor. Infolge des Aufkommens der digitalen Fotografie und des Verschwindens von Retouchierpinsel und Laborutensilien wissen heutige Bildverarbeiter vielmals nicht mehr, für was die Symbole in der Werkzeugleiste stehen, auch wenn sie sie per Kurzbefehl täglich tausendfach verwenden.



Die Bedienoberfläche in der Version S1.0

Die Bedienoberfläche in der Version S1.0

20 bis 150 Millionen Benutzer

Obwohl es einige günstigere Konkurrenzprodukte gibt, hält Adobe damit ein Quasimonopol. Selbstredend, dass es auch eines der Programme mit den meisten Raubkopien ist und dass es sich trotz immer neuen und cleveren Vorkehrungen gegen illegales Kopieren rasant verbreitet. Man munkelt auch, dass Adobe beide Augen zudrücke, um möglichst viele Nutzer anzufixen. Die Schätzungen, wie viele Menschen weltweit Photoshop legal oder illegal verwenden, bewegen sich zwischen 20 und 150 Millionen. Eine Stichprobe im Kaffeehaus Mitte, wo täglich unzählige Gäste vor ihren Laptops Cappuccino schlürfen, zeigt, dass auf einem von 10 Bildschirmen Photoshop läuft. 

Aus meinem Berufsalltag ist das Programm nicht mehr wegzudenken. Jedes Bild, das in der TagesWoche gedruckt oder online publiziert wird, wurde damit geöffnet, bearbeitet und abgespeichert. Es ist eines der umfangreichsten Programme, und man entdeckt immer wieder neue Funktionen, die einem den Umgang mit Bildern erleichtern. Hin und wieder wird man auch von frustrierenden Meldungen überrascht: Als wir kürzlich für die Bebilderung eines Artikels eine Hunderternote fotografiert hatten und die Aufnahme bearbeiten wollten, streikte das Programm und quittierte mit folgender Meldung seinen Dienst: «Diese Anwendung unterstützt die unbefugte Verarbeitung von Banknoten nicht.»

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