Auf den Spuren von Friedrich Nietzsche in Basel unterwegs

«In Basel steh ich unverzagt doch einsam da – Gott sei’s geklagt»: Auf einem Rundgang von Basel Tourismus kann man auf den Spuren des kontroversen Denkers Friedrich Nietzsche wandeln.

Portrait von Nietzsche um 1875, aufgenommen in Basel.

(Bild: Wikimedia Commons)

«In Basel steh ich unverzagt doch einsam da – Gott sei’s geklagt»: Auf einem Rundgang von Basel Tourismus kann man auf den Spuren des kontroversen Denkers Friedrich Nietzsche wandeln.

Die Zeilen, die Nietzsche bei seiner Antrittsrede an der Universität Basel an die Stadt richtete, sprechen Bände:

In Basel steh ich unverzagt
Doch einsam da – Gott sei’s geklagt.
Und schrei ich laut: Homer! Homer!
So macht das Jedermann Beschwer.
Zur Kirche geht man und nach Haus
Und lacht den lauten Schreier aus.

Jetzt kümmr‘ ich mich nicht mehr darum:
Das allerschönste Publikum
Hört mein homerisches Geschrei
Und ist geduldig still dabei.
Zum Lohn für diesen Ueberschwank
Von Güte hier gedruckten Dank.

Erwartungsvoll, ironisch: Mit 24 Jahren wurde Friedrich Nietzsche aus Deutschland an die Universität Basel berufen, wo er schliesslich zehn Jahre lang unterrichtete. Gekommen war er der Philosophie wegen, den Lehrstuhl hat ihm die Universität Basel aber nie gegeben. Stattdessen unterrichtete er Klassische Philologie an der Uni und lehrte am heutigen Gymnasium am Münsterplatz. Beim «Basler Daig» war er gerne gesehen, bei den Studenten und Schülern war er beliebt, trotz eher trockener Vorlesungen.

Basler Rundgang durch Nietzsche-Stationen

An einer Spezialführung von Tourismus Basel kann man sich bei einem Stadtrundgang auf Nietzsches Spuren begeben. Inspiriert wurde die Tour von einer Ausstellung in der Universitätsbibliothek Basel vor vier Jahren. Seitdem zeigt Stadtführerin Armgard Sasse wissbegierigen Touristen die wichtigsten Nietzsche-relevanten Sehenswürdigkeiten und Plätze. Allerdings «nur etwa zwei- bis dreimal im Jahr», wie sie sagt. Es komme selten vor, dass jemand gerade nach dieser Tour verlange. Die Leute fürchten wohl, eine Philosophievorlesung aufgebrummt zu bekommen, statt einen gemütlichen Spaziergang zu machen. Schade eigentlich, denn die Geschichte über den Denker und sein «Lama», das ihm in Basel Gesellschaft leistete, ist durchaus spannend. 



Armgard Sasse von Tourismus Basel.

Armgard Sasse von Tourismus Basel. (Bild: ALEXANDER PREOBRAJENSKI)

Nietzsche der Höhlenbewohner

Der junge, stets kränkelnde Nietzsche mochte es lieber ruhig. Er wählte alle seine Wohnungen ausserhalb der damaligen Stadtmauer, nahe dem Spalentor. Basel ist seither gewachsen und hat seine alten Stadtmauern verschluckt. Nietzsches ehemalige Unterkünfte sind, sofern nicht der Abrissbirne zum Opfer gefallen, heute mitten in der Stadt zu finden. Sein erstes längerfristiges Zuhause fand er bei einem befreundeten Theologen, Franz Overbeck. In der «Baumannshöhle» (in Anlehnung an den Nachnamen des Besitzerehepaars des Hauses, Baumann) wohnten die beiden sechs Jahre lang zusammen. Er blieb Nietzsches treuster Freund, ein Leben lang. Eine der seltenen Konstanten im Leben des Philosophen.



Akademiker-WG: Das ehemalige Heim von Franz Overbeck und Friedrich Nietzsche.

Akademiker-WG: Das ehemalige Heim von Franz Overbeck und Friedrich Nietzsche. (Bild: ALEXANDER PREOBRAJENSKI)

Er sei ein Exzentriker gewesen, so Armgard Sasse. Nicht selten gingen er und seine Freunde im Streit auseinander. Richard Wagner, Erwin Rohde, Peter GastLou-Andreas Salomé und Paul Rée sind nur einige der Personen, mit denen Nietzsche während seines Lebens enge Beziehungen pflegte und sich dann mit ihnen zerstritt. Auch zu seiner Mutter und Schwester pflegte er ein schwieriges Verhältnis, ja sogar seiner ehemaligen Heimat kündete er die Freundschaft auf Lebenszeit: Nach seinem Übersetzen nach Basel gab er die preussische Staatsbürgerschaft auf. In der Schweiz wurde ihm lediglich ein Temporär-Reisepass ausgestellt, bevor er auf Wanderschaft ging. Es handelt sich um einen weitverbreiteten Irrglauben, dass Nietzsche Schweizer wurde. Er blieb für den Rest seines Lebens staatenlos. 

Nietzsche und die Wagners

Wenn Nietzsche nicht in Basel weilte, verbrachte er viel Zeit im luzernischen Triebschen, bei seinem Freund Richard Wagner. Im Komponisten fand Nietzsche einen Bruder im Geiste, er konnte bei ihm ein- und ausgehen, wie es ihm beliebte, das Ehepaar Wagner liess ihm eigens ein Schlaf- und ein Arbeitszimmer in ihrem Haus einrichten. Diese Bindung war nicht für die Ewigkeit bestimmt. Nach ein paar Jahren kam es zum Zerwürfnis zwischen den beiden, nicht zuletzt dürften Wagners Persönlichkeit und sein Antisemitismus hierfür verantwortlich gewesen sein. Die Freundschaft brach ab.



Hier im 1. Stock lebten Nietzsche und «das Lama» bis die Teler flogen.

Hier im 1. Stock lebten Nietzsche und «das Lama» bis die Teler flogen. (Bild: ALEXANDER PREOBRAJENSKI)

Als 1871 der Lehrstuhl für Philosophie an der Uni frei wurde, witterte Nietzsche seine Chance, diese Stelle einzunehmen. Zu dieser Zeit hatte er sein Denken bereits radikalisiert. Viele seiner wichtigsten Schriften entstanden während seiner Jahre in Basel, wie «Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik» und «Unzeitgemässe Betrachtungen», eine Sammlung kritischer Aufsätze. Nietzsche reichte seine Bewerbung für den Posten ein, wurde jedoch übergangen. Nie bekam er von der Uni Basel die akademische Anerkennung, die er als Philosoph gerne erfahren hätte.

An Anhängern jedoch mangelte es dem provokativen Denker nicht. Eine der eifrigsten Bewunderinnen war lange Zeit seine jüngere Schwester. 1876 zog sie extra zu ihm nach Basel, um sich um ihren kranken Bruder zu kümmern. Sei es Basels «föhniges» Klima, wie Nietzsche selbst behauptete, der Stress durch die Doppelbelastung als Lehrer und Autor oder der Ausbruch seiner Syphilis: Nietzsche litt unter Migräne und Erbrechen und zog sich häufig in sein abgedunkeltes Zimmer zurück. Zusammen bezogen das Geschwisterpaar eine Wohnung am Spalentorweg 48.



Bekannte Gäste im Nobelhotel: Nietzsche und seine Schwester mischten sich hier unter den «Basler Daig».

Bekannte Gäste im Nobelhotel: Nietzsche und seine Schwester mischten sich hier unter den «Basler Daig». (Bild: ALEXANDER PREOBRAJENSKI)

Nietzsche blühte unter Elisabeths Obhut auf. Sie begleitete ihn auf Spaziergängen und dem Weg zur Universität. Zusammen kehrten sie mit den Reichen im «Trois Rois» ein. Auch durch den Park des Botanischen Gartens, wo Studenten sich heute vom Lernen erholen, schlenderten Nietzsche und seine Schwester.

Gespaltene Welten bei den Nietzsches

Die Ankunft Elisabeths war aber auch der Startschuss für das endgültige Aus ihrer Beziehung. Zwei Welten trafen aufeinander: Nietzsche, der atheistische, radikale Philosoph und seine Schwester Elisabeth, die sich nie von der einengenden religiösen Erziehung des Elternhauses löste. Ihr schon sehr früh verstorbener Vater war Pfarrer gewesen, die Mutter zog die Kinder streng pietistisch gross. Je mehr sich Nietzsche dem Atheismus zuwandte, desto verhärteter wurden die Fronten zwischen den beiden.

Das Fass endgültig zum Überlaufen brachte Nietzsches Freundschaft zur Schriftstellerin Lou Salomé. Elisabeth war eifersüchtig auf die Aufmerksamkeit, die ihr Bruder Salomé schenkte. Zudem sorgte ihr immer stärker werdender Antisemitismus für gehörigen Streit zwischen den Geschwistern. Nietzsche nannte Elisabeth irgendwann nur noch «das Lama». Als genügend Geschirr zerbrochen war, wurde die Wohngemeinschaft aufgelöst und Elisabeth reiste ab. Erst zurück nach Deutschland, dann mit ihrem Mann nach Paraguay, wo sie eine arische Kolonie aufbauen wollten (ein Unterfangen, das letztlich scheiterte).



Auf diesen Pfaden wandelte Nietzsche und wälzte grosse Gedanken.

Auf diesen Pfaden wandelte Nietzsche und wälzte grosse Gedanken. (Bild: ALEXANDER PREOBRAJENSKI)

Briefe von Gott

Nach Elisabeths Abreise blieb Nietzsche noch drei Jahre lang in Basel, eines davon als Beurlaubter. Dann hatte er endgültig genug, suchte ein angenehmeres Klima und sein Glück in Sils-Maria, Nizza, Turin. In Turin hatte er schliesslich einen Nervenzusammenbruch, was für sein Schaffen als Philosoph das Ende bedeutete.

Franz Overbeck reiste seinem Freund nach. Grund hierfür war ein Brief gewesen, den Nietzsche im Januar 1889 an Jacob Burckhardt, seinen ehemaligen Kollegen, schrieb:  «… zuletzt wäre ich viel lieber Basler Professor als Gott; aber ich habe es nicht gewagt, meinen Privat-­Egoismus so weit zu treiben, um seinetwegen die Schaffung der Welt zu unterlassen.» Diese Zeilen triefen von bitterem Zynismus. Ob Nietzsche sie aus Enttäuschung geschrieben hatte oder sie Zeichen einer nahenden Psychose waren – für Overbeck gab es Grund genug, sich Sorgen zu machen. In Turin traf er auf einen verwirrten Nietzsche, einen Schatten seiner selbst. Ein letztes Mal noch reiste er Richtung Basel, in die Nervenheilanstalt Friedmatt. Zehn Jahre nach seinem Geist schwand auch sein Körper: 1900 verstarb Friedrich Wilhelm Nietzsche in Deutschland, in Pflege bei seinem «Lama».

Es gab bereits mehrere Anläufe der Stadt Basel, dem kontroversen Revoluzzer der Philosophie eine Strasse zu widmen. Einigen konnte man sich auf keine. Dieses Jahr, an Nietzsches 115. Todestag, kommt der Denker doch noch zu später Ehre. Der Brunnen an der Ecke Schützengraben/Spalentorsweg, an dem er täglich vorbeigegangen ist, soll zum Friedrich-Nietzsche-Brunnen werden. Am 25. August 2015, 17.30 Uhr, wird er vor Ort mit einer kleinen Zeremonie eingeweiht werden.



Eine Strasse soll es nicht es sein, aber dieser Brunnen wird ab dem 25. August 2015 «Nietzsche-Brunnen» heissen.

Eine Strasse soll es nicht es sein, aber dieser Brunnen wird ab dem 25. August 2015 «Nietzsche-Brunnen» heissen. (Bild: ALEXANDER PREOBRAJENSKI)

 

Die Tageswoche widmet dem Philosophen eine vierteilige Serie, bisher erschienen:

7 wissenswerte Fakten zu Friedrich Nietzsche

Basel liebt Nietzsche nicht – trotzdem widmet die Stadt ihm nun einen Preis


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