Auf eine Intrige mit Herr und Frau Fasnacht

Otto Rehorek und Ella Rehberg sind lebende Fasnachtslegenden – sie erinnern sich an Zeiten, in denen noch richtig intrigiert wurde.

Ein Leben für die Basler Fasnacht: Ella Rehberg und Otto Rehorek (Bild: Michael Würtenberg)

Otto Rehorek und Ella Rehberg sind lebende Fasnachtslegenden – sie erinnern sich an Zeiten, in denen noch richtig intrigiert wurde.

Das Intrigieren ist tot. Aber Achtung, freuen Sie sich nicht zu früh. Es hört sich nach einer guten Nachricht an, ist es im Zusammenhang mit der Basler Fasnacht aber nicht. Intrigieren gehört zur Fasnacht wie Larve und Piccolo. Jetzt stellen Sie sich mal vor, die Larve oder das Piccolo wären tot. Wenn da also steht, das Intrigieren sei tot, ist das eine traurige Nachricht. Und eine ernst zu nehmende: Der Satz stammt von niemand geringerem als von Frau Fasnacht – wobei er korrekt «Ich glaube, das Intrigieren ist tot» heisst.

Langlebiger als manche Ehe

Wenn Sie jetzt denken, «Frau Fasnacht» sei eine Übertreibung, irren Sie wieder. Ella Rehberg (88) war ihr halbes Leben lang Sekretärin des Fasnacht-Comités und ist jetzt Ehrenmitglied. Sie sah Obmänner kommen und gehen. Und die Obmänner – die sahen sie. Wie sie den Laden schmiss, die Fasnacht fast im Alleingang organisierte, die Fäden zusammenhielt – und manchmal ein bisschen intrigierte.

Damit nicht genug. Es gibt auch das männliche Pendant zu Ella Rehberg. Otto «Otti» Rehorek (89) ist Herr Fasnacht. Ebenfalls ein halbes Leben lang schrieb der Grafiker und ehemalige Stadionsprecher die Rahmenstücke für das «Drummeli», malte Laternen für ­Cliquen – und wurde zur lebenden Fasnachts­legende. Herr und Frau Fasnacht sind weder verheiratet noch verschwägert, einzig die Fasnacht verbindet sie. Diese Verbindung, so scheint es, ist langlebiger als die meisten Ehen.

Die Waisenbuben ohne Larven

Die beiden erzählen von der Vorkriegszeit, als wäre diese gestern erst vorbei-gegangen. Sie sehen die Buben vom Waisenhaus vor sich, wie sie ohne Larve trommeln mussten (Waisenmädchen durften nicht an der Fasnacht teilnehmen). «Weshalb die Buben keine Larve tragen durften, war kein Thema. Man nannte sie einfach ‹d Waisebuebe›», sagt Ella Rehberg.

Otto Rehorek nennt einen Vorteil, der das larvenlose Marschieren mit sich brachte: «Der Tambourmajor konnte die ‹Stäggen› so hoch werfen wie kein anderer, weil ihm kein grosser Kopf im Weg war. Saugut!» Er sehe das Bild von den fliegenden «Stäggen» vor sich – und auch, wie es ihm andere Tambourmajoren am Bummelsonntag nachmachen wollten. Aber: «Keiner war so gut.»

Heute wäre eine Clique ohne Larven undenkbar. Auch geschminkte Gesichter, wie sie damals üblich waren, sind bei Aktiven und allen, die nur einen Hauch von einer Ahnung haben, tabu. Ella Rehberg weiss noch, wann die Fasnacht begann zu werden, was sie jetzt ist: «Im Jahr 1948 explodierte es.»

Schlagabtausch über Gürtellinie

Die Fasnacht war von diesem Zeitpunkt an keiner exklusiven Gruppe mehr vorbehalten, die sich Stoff für Kostüme leisten konnte, sondern stand dem ganzen Volk offen – und es kam, das Volk. «Es gab immer mehr Aktive», sagt Ella Rehberg. «Die Menschen hatten nach dem Krieg wieder mehr Geld.»

Die Grösse der Fasnacht habe aber trotz wachsendem Interesse in keinem Verhältnis zur heutigen Strassenfasnacht gestanden. Womit wir wieder beim Intrigieren wären. «Ein Waggis ging in die Beizen, wo Leute sassen, die er kennt», sagt Otto Rehorek – und wird von Ella Rehberg unterbrochen: «Intrigieren geht nur, wenn man etwas über das Gegenüber weiss – und dieses auch antwortet.» Stichwort: Replik. Stichwort: Schlagabtausch. Stichwort: Schlagfertigkeit. Und Humor.

Heute sei das anders. Zu viele Unbekannte auf den Strassen und in den Beizen. Und kein Verlass darauf, dass sich Herr oder Frau Regierungsrat oder ein anderes «Opfer» um eine bestimmte Zeit in einem bestimmten Lokal aufhält. Es ist oft Zufall, ob man jemanden trifft, den man kennt – und sticheln kann. Und wenn es doch passiere, sagt Otto Rehorek, sei die Qualität der Intrige häufig schlechter. «Früher wurde kein Wort unter der Gürtellinie gesagt, heute hängt man einander schnell ‹Schlötterli› an.» Früher aber, da habe man sich nach einem gelungenen Intrigen-Schlagabtausch die Hände gereicht und gesagt: «Digge, das hast du gut gemacht!»

Wilde Künstler

Doch früher war nicht alles besser. Trotz permanenten Schlagzeilen von «Koma-Saufen» und dergleichen sind Herr und Frau Fasnacht überzeugt: «Gesoffen wurde früher mehr.» Bei den Aktiven jedenfalls. Geduldet wurde es allerdings schon damals nicht, wenn einer sturzbetrunken angetorkelt kam. «Dann schickte man ihn nach Hause, um den Rausch auszuschlafen», sagt Otto Rehorek. Wer will schon einen besoffenen Pfeifer hören? Eben.

Wild ging es trotzdem zu. An einem Ort ganz besonders, wie Ella Rehberg entzückt erzählt: «Ich hielt mich gern in der Kunsthalle bei der Gruppe 33 auf. Und dort ging es wirklich manchmal wild zu.» Sie lacht. Künstler halt.

Konfetti, Konfetti, Konfetti

Diesen Morgenstreich werden die beiden zu Hause verbringen, schlafenderweise. Er fürchtet sich vor einem Sturz, sie sieht nicht mehr gut. Ausserdem hätten sie genug Morgenstreiche erlebt, sagen beide. Die Fasnacht selber aber, die werden sie sich nicht entgehen lassen. Cortège, Schnitzelbängge, das ganze Programm. «Das musikalische Niveau ist sehr hoch», sagt Ella Rehberg. Möglichweise so hoch wie noch nie. Rehorek nickt. «Unverschämt hoch.»

Früher, ja früher, da sei es fast schon normal gewesen, dass es nicht alle so im Griff gehabt hätten mit dem Trommeln und Pfeifen. Heute aber, da hiesse es schon beim kleinsten Fehler: «Der kann nicht pfeifen!» Fasnacht ist eben auch eine ernste Sache. Und manche, so finden Herr und Frau Fasnacht, würden manche Dinge zu ernst nehmen. Etwa dann, wenn es um die Frage geht, wie die bunten Papierstückchen heissen, die geschmissen werden. Na, wie heissen sie? «Räppli», werden Sie sagen. Entschuldigung, aber Sie irren.

«Nur blasierte Basler bestehen darauf, konsequent Räppli statt Konfetti zu sagen», so Otto Rehorek. «Und zwar, weil die heutigen Konfetti streng genommen gar keine Räppli mehr sind.» Ursprünglich seien Räppli Karton­resten aus Bandwebereien gewesen. Und keine industriell hergestellten Massenprodukte wie heute. Darum: Konfetti.

Keine Schönheit, bitte!

Die Räppli hatten damals Konkurrenz: Hühnerbeine und -federn wurden ebenso gern geschmissen. Beides ist inzwischen verboten – aus hygienischen Gründen. Das finden Herr und Frau Fasnacht gut so. Etwas aber dürfe sich nie ändern: «Ein Kostüm muss zum Sujet passen. Leider geht es heute vielen mehr um Schönheit als ums Sujet», bedauert Herr Fasnacht – und regt vielleicht den einen oder anderen zu einer netten kleinen Intrige an.

Quellen

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 24.02.12

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