Aus dem Foto­archiv von Kurt Wyss: Ein Mann und seine Frauen

Der britische Bildhauer Henry Moore zählte zu den ganz Grossen der Kunst in den 1970er-Jahren. Seine Teilnahme an der ersten Art Basel sorgte für Furore.

Die monumentale weibliche Gestalt, die in Ungestalt übergeht, war das zentrale künstlerische Thema von Henry Moore; im Juni 1970 besuchte er die erste Art in Basel. (Bild: Kurt Wyss)

Der britische Bildhauer Henry Moore zählte zu den ganz Grossen der Kunst in den 1970er-Jahren. Seine Teilnahme an der ersten Art Basel sorgte für Furore.

Wir sind noch immer an der Art Basel – und hier sogar an der allerersten Ausgabe von 1970. Sieht man dem Mann den Künstler an, oder ist er nicht eher ein Galerist oder gar der Messedirektor? Und wie sieht ein Künstler aus, dem man sein Künstlersein ansieht? Könnte dieser Mann hier nicht auch ein Banker oder ein besonders elegant gekleideter Frauenarzt sein? Und sieht man ihm den Engländer an? Dies schon eher und insbesondere den «Sir» – vor allem, wenn man es weiss.

Es ist der bereits im Jahr 1970 sehr berühmte Henry Moore, der sich nach Basel aufgemacht hat und sich hier dem Fotografen «stellt». Für die Promotion der Pioniermesse war es wichtig, dass nicht nur Kunst, sondern auch dazugehörende Künstler präsent waren.

Von Henry Moore heisst es, dass er gerne und häufig halbabstrakte Frauenskulpturen hergestellt hat. Warum eigentlich? Sind die Formen des weiblichen Körpers allgemein und insbesondere für den Mann eine besondere Herausforderung? Es ist übrigens nicht das erste und einzige Bild, das einen männlichen Schöpfer neben seinem weiblichen Geschöpf zeigt. Das ist geradezu ein Bildtypus. Und dieser ­Typus wirft indirekt Fragen auf, eben nach dem Geschlechtlichen von Kunst.

Henry Moore schaut nicht seine Schöpfung zärtlich an, sondern blickt verhalten heiter in die Kamera – wie man eben so schaut, wenn man abgebildet wird. Auch die Skulptur kann in ihrer bronzenen Starrheit nicht ihren Erzeuger anschauen, sie blickt aus ihren beiden ­Au­gen­löchern, so gut sie kann, einfach geradeaus. Der Kopf ist klein und offenbar im Vergleich mit dem dazugehörenden Körper für den Künstler von geringerem Interesse gewesen.

Das war an der ersten Art. Sie fand mit einer Beteiligung von 90 Galeristen am 11. Juni 1970 statt. Schon beim ersten Mal kamen über 10 000 Besucher. Die Kunstmesse ist inzwischen gewachsen und gediehen. 65 000 Be­sucher waren es im letzten Jahr. Die jetzige ­43. Ausgabe versammelt «on the banks of the Rhine» ganze 300 «leading galleries» und über 2500 Künstlerinnen und Künstler. Ob Moore noch immer dabei ist? In Form eines Kunstwerks vielleicht. Der 1970 gefeierte Künstler ist 1986 gestorben.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 15.06.12

Nächster Artikel