Eine Theateraufführung bringt die Stadt Basel in Aufruhr: Der Dramatiker Rolf Hochhuth klagt den Papst an und mobilisiert die Kritiker.
Im Basler Stadttheater soll als schweizerische Premiere Rolf Hochhuths Drama «Der Stellvertreter» aufgeführt werden, ein Stück, das den «Heiligen Vater» der Kriegszeit, Papst Pius XII., anklagt, weil er zu den Judenverfolgungen geschwiegen hat. Die Aufführung lässt sich nicht verhindern, protestiert wird trotzdem.
Die jungen Protestler strahlen Gelassenheit aus, blicken ruhig in die Kamera, leicht stolz darauf, dass sie nun abgebildet werden. Sie wollen, dass «unsere Jugend» geschützt wird. Dahinter ein bereits weniger junger Knabe, der etwas «abgesetzt» haben möchte.
Keine Frauen, man ist auf der Strasse und es ist schliesslich Nacht. Wann: am 24. September 1963. Die Fackeln sind die üblichen Umzugsutensilien vor allem der 30er-, 40er- und 50er-Jahre, aber beinahe eine Vorankündigung von «1968», bloss mit umgekehrten Vorzeichen.
Ideales Politbild
Für die Veranstalter ist das ein ideales Politbild, weil es sich selbst mitteilt, indem es sagt, wogegen man ist. Auf anderen Bildern der gleichen Serie (wos dann doch auch Frauen hat) kann man noch lesen: Hochhuth wolle NS-Deutschland entlasten, indem er den Vatikan belaste. Billige Rhetorik.
Schwer entzifferbar kann man im Hintergrund lesen: «Bringt endlich schweizer…» wohl Dramen oder Dramatiker. Das wäre inzwischen auch kein Rezept mehr, wenn man unkritische Kost wünscht. Typisch, dass man die hier störende Kontroverse als deutschen Disput gleichsam nach Hause schicken möchte. Noch hatte die Schweiz ihre eigene diesbezügliche Vergangenheit kaum wahrgenommen.
Diesem Abend war eine breite Debatte vorausgegangen, an der sich zum Beispiel auch der Philosoph Karl Jaspers beteiligte. Im Grossen Rat wunderte sich jemand, dass Theater heutzutage noch eine so grosse Wirkung hat. Heute würde diese Thematik allerdings kaum mehr empören.
Was brauchte es?
Was brauchte es in unseren Tagen, dass man etwas als Skandal empfände? Wohl verstanden auch und vor allem darum, weil es mit «unserem» Steuergeld subventioniert wird. Gleich geblieben sind die Argumente gegen kritische Zeitgeschichte. Auf einem hier nicht sichtbaren Transparent wurde dem Autor die Legitimität abgesprochen, weil er zu den Spätgeborenen gehöre: «Hochhuth war damals noch ein Knabe.»
Für konservative Katholiken war es leicht, den konkreten und inzwischen breit anerkannten Kritikpunkt als Generalangriff gleich auf den ganzen Glauben und auf die Kirche zu deuten. Die Hauptsorge galt aber nicht dem Angriff von aussen, dem Angriff der Reformierten, Sozialisten und Gottlosen, sondern der Disziplin im eigenen Lager. Es sollte keine Katholiken geben, die wegen kritischer Reflexion autoritäre Vorgaben in Frage stellten. Inzwischen haben sich mindestens nördlich der Alpen die Verhältnisse stark verändert.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 27.01.12