Migrantinnen und Migranten produzieren in Nischen ihre eigenen Medien. Im Mainstream aber kommen sie noch immer selten zu Wort. Dies zu ändern, läge auch in Interesse der einheimischen Mehrheit.
Wer in der Region Basel abends das Radio auf der Frequenz 94,5 einschaltet, hört fremde Sprachen: Portugiesisch, Tamilisch oder Türkisch, bald auch Arabisch – und Deutsch mit Akzent. Was auf den Basler Strassen Alltag ist, kommt einem auf dem Äther irgendwie spanisch vor. Denn Radio X ist mit seinen mehrsprachigen Specials noch immer eine Ausnahmeerscheinung in der Schweizer Medienlandschaft.
In «Hêvî», «X-tovka» oder «Kanton XL» stehen Menschen mit Migrationshintergrund hinter dem Mikrofon und machen das zum Thema, was sie persönlich interessiert. Da gibt es Interviews zur kurdischen Kulturwoche in Basel zu hören, einen Hinweis auf die Ausstellung des deutsch-serbischen Designers Konstantin Grcic oder Statements der Sendungsmacher zur Frage, welche Emotionen das Ja zur Einwanderungsinitiative bei ihnen ausgelöst habe.
Ein brachliegendes Potenzial
«Wir geben Leuten eine Stimme, der sonst nicht gehört werden», sagt Tatiana Vieira, Koordinatorin der Sendungen. «Und wir zeigen, dass es in Basel Bevölkerungsgruppen gibt, für die es sich lohnt, eine eigene Sendung zu machen.»
Radio X teilt sich mit seinem Konzept eine Nische mit anderen Alternativradios wie Kanal K im Aargau, RaBe in Bern oder dem Zürcher LoRa sowie den sogenannten «Ethno-Medien» im Online- und Printbereich. Insgesamt gibt es in der Schweiz über 60 Publikationen und Sendungen, die sich – häufig in einer Fremd- und einer Landessprache – an ein aus- und inländisches Publikum wenden. Bei ihren jeweiligen Zielgruppen erreichen manche beachtliche Reichweiten.
2012 haben sich 14 dieser Gefässe zum Verein «Ethno Media Swiss» zusammengetan – darunter die Internet-Plattformen «Punto Latino» und «Tutto Italia» oder das türkischsprachige Magazin «Post» – mit dem Ziel, der Vielfalt in der Berichterstattung zum Thema Migration mehr Gewicht zu verleihen. «Migrantinnen und Migranten haben als Medien- und Kulturschaffende, aber auch als Fachexpertinnen viel zu sagen», betont Isabelle My Hanh Derungs vom Forum für die Integration der Migrantinnen und Migranten (FIMM), das den Verein mitinitiiert hat. Ein Potenzial, das in den Schweizer Mainstream-Medien mehrheitlich brachliegt.
«Diversity» ist in den Medien noch nicht angekommen
Die gesellschaftliche Pluralität der Schweiz, in der über ein Drittel (34,7 Prozent) der Bevölkerung Migrationshintergrund hat und gegen die Hälfte (42,3 Prozent) aller in der Schweiz geschlossenen Ehen binational sind, kommt in den kommerziellen Medien nur begrenzt zum Ausdruck. Gemäss einer Studie aus dem Jahr 2008 beträgt der Anteil von Medienschaffenden mit Migrationshintergrund im öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk lediglich sechs Prozent. Als Gesprächspartner kommen Migrantinnen und Migranten markant weniger zu Wort als Schweizerinnen und Schweizer. Das Thema Migration an sich machte einen verschwindend kleinen Anteil von 6,4 Prozent aller Sendungsinhalte aus.
Aktuellere repräsentative Studien und Zahlen zu den Printmedien gibt es nicht. Inhaltsanalysen jüngeren Datums zeigen aber, dass Migration im Nachrichtenwesen selten als Normalität daherkommt, sondern tendenziell in negativen Kontexten wie Kriminalität, der Belastung von Sozialwerken oder der Konkurrenz um Arbeitsplätze erwähnt wird.
Der interkulturelle Austausch findet in der Medienbranche noch immer erstaunlich wenig Aufmerksamkeit.
Während eines Nachtessens beim Inder, bei mit Schweizer Buchpreisen ausgezeichneten Werken von Secondos und Secondas und in der aktiv gepflegten Firmenkultur grosser Konzerne wird der interkulturelle Austausch als bereichernd erlebt und gepflegt.
In der Medienbranche aber geniesst er noch immer erstaunlich wenig Aufmerksamkeit. «Diversity» hat bei den grossen Schweizer Medienhäusern bisher weder in der Anstellungspolitik noch in den redaktionellen Leitlinien Niederschlag gefunden, eine gezielte Sensibilisierung der Mitarbeitenden findet nach eigenem Bekunden von Redaktionsleitern nicht statt (vgl. Tageswoche-Artikel «Das Ausländerproblem der Medien»).
«Wir» und «Sie»
«Medien spielen als Multiplikatoren eine ganz wesentliche Rolle im Integrationsprozess», ist Güvengül Köz Brown, Redaktionsverantwortliche der Migrationszeitung «MIX», überzeugt. Die Kommunikationsberaterin stellt fest, dass die Gesellschaft noch stark in den Kategorien «Wir, die Einheimischen» und «Sie, die Einwanderer» denkt.
Der Rückgriff auf althergebrachte Erklärungsmuster und stereotype Darstellungen im Journalismus festigt dabei Vorurteile und erschwert den Wunsch der Migrantinnen und Migranten, Teil der Mehrheitsgesellschaft zu werden. «Das fängt schon bei der Wortwahl an», sagt Köz Brown: «Spricht man von Ehrenmord oder Eifersuchtsdrama? Schreibt man über erfolgreiche Muslima oder die unterdrückte Kopftuchträgerin?»
Wer immer negative Schlagzeilen erwartet, wird diese von den Medien auch erhalten.
Rund um das Thema Migration ist eine destruktive Debatte im Gange, die nicht alleine auf die mediale Berichterstattung zurückgeführt werden kann, von dieser aber potenziell verstärkt wird. Wer immer negative Schlagzeilen erwartet, wird diese von den Medien auch erhalten. Wer immer Negatives über seinesgleichen liest, fühlt sich wiederum kaum zu einem positiven Beitrag ermuntert.
«Sprache ist mächtig», betont denn auch Isabelle My Hanh Derungs vom FIMM. «Medienschaffende sollten sich fragen, mit welchen positiven Bildern sie einen Beitrag zur Verständigung der Gesellschaft leisten können. Sie haben die Möglichkeit, nicht nur zu trennen, sondern auch zusammenzuführen.»
Nach den Potenzialen und Ressourcen von Migration zu fragen, bedeute aber nicht, unkritisch zu sein, betont die interkulturelle Beraterin: «Wer nach dem menschlichen Schicksal eines Drogendealers fragt, der mit seiner Tätigkeit ein ganzes Dorf in seiner Heimat ernährt, muss sein Handeln nicht entschuldigen. Er kann aber zeigen, dass die Person aus der einen Perspektive Robin Hood, aus der anderen ein Krimineller ist.»
Die Macht der Emotionen
Für Migrantinnen und Migranten sind Schweizer Medien eine wichtige Referenz. Entgegen der Annahme, sie würden nur TV-Sendungen oder Online-Zeitungen aus ihrem Heimatland konsumieren, sind Personen mit Migrationshintergrund in der Regel gleich gut mit Schweizer Medien versorgt wie diejenigen ohne – entscheidend dafür, was konsumiert wird, ist bei beiden vor allem der Bildungshintergrund und die Sprachkenntnisse.
«Mir sind Medien sympathisch, bei denen es auch Mitarbeiter gibt, die nicht Müller oder Bauer heissen», sagt Tatiana Vieira von Radio X. Und ihr Kollege Bojan Grgic vom Mehrsprachenspecial «X-tovka» merkt an: «Ich lese eine Zeitung, mit der ich mich persönlich identifizieren kann, bei der ich mich wohlfühle.» Dass derzeit nur wenige Identifikationsfiguren ausländischer Herkunft in den Redaktionen und auf den Bildschirmen bemerkbar sind, wird häufig mit den hohen Anforderungen an die Sprachkompetenz in diesem Beruf erklärt.
Auch wenn es wohl nur eine Frage der Zeit ist, bis noch mehr Nachkommen der Einwanderergenerationen im professionellen Medienschaffen Fuss gefasst haben, sind Vertreter unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen in den Medien noch kein Garant für einen sensiblen Umgang mit Minderheiten und kultureller Vielfalt.
Symbole statt Differenzierung
Einen Schwerpunkt legt die Arbeitsgruppe Kommunikation des FIMM denn auch auf das Angebot entsprechender Workshops. Interkulturelle Kompetenz ist ein wichtiger Bestandteil der Ausbildungskurse der Radioschule klipp+klang, mit der Sender wie Radio X oder Kanal K eng zusammenarbeiten.
An anderen Medienausbildungsstätten ist das Thema jedoch noch kaum verankert. Wenige Journalistinnen und Journalisten stellten sich bewusst die Frage, welche Absicht sie mit einem Bericht verfolgen, sagt Isabelle My Hanh Derungs. «In unseren Workshops reflektieren wir mit den Medienschaffenden, was ein Bericht auf emotionaler Ebene auslöst», erklärt sie. Derungs stellt dabei fest, dass viele Menschen Emotionen nicht mehr differenziert benennen können und sich stattdessen an symbolhaften Bildern und Wörtern festklammern.
Angesichts der Emotionalisierung von politischen Debatten und demokratischen Entscheiden wird dieses Phänomen zunehmend zum Problem. Es anzugehen, liegt nicht nur im Interesse der Migranten.