Neuerdings liegen Ausmalbücher für Erwachsene schwer im Trend. Was soll das? Ein Interview mit einer, die es wissen muss.
Dieser neue Zeitvertreib, der einen zur Abwechslung mal nicht vor den nächsten Bildschirm zwingt, ist letztlich gar nicht so neu. Schon als Kind kleckerte man in solchen schwarzweissen Motiven herum. Heute sind Ausmalbücher für Erwachsene zum Trend geworden. Linus Volkmann sprach mit Katharina Schmidt, einer der bekanntesten Vertreterinnen dieses Booms.
Beim Thema Ausmalbuch fühlt man sich in die eigene Kindheit versetzt. Reichen Ihre eigenen Erinnerungen auch so weit?
Natürlich, das ging auch an mir früher nicht vorbei. Ich weiss allerdings noch, dass ich am liebsten Elemente hinzugefügt habe. Ich malte Kindern beispielsweise Platzwunden auf die Knie oder Pflaster überallhin. Also wenn ich diese Bücher noch hätte (lacht), sollte sie mal ein Psychologe durchchecken…
Wie haben Sie das Thema wiederentdeckt?
Mir ist das vor allem über andere Zeichner aufgefallen, die ich sehr schätze. Es gibt einen philippinischen Künstler, Kerby Rosanes. In seinem «Animorphia» hat er ganz neue Tiermotive erfunden. Wenn man sich das Buch ansieht, würde man gar nicht denken, dass es sich hierbei um Ausmalbilder handelt. Da steckt unglaublich viel Kunst dahinter. Ebenfalls beeindruckend sind die Sachen von Johanna Basford, die ist Engländerin und gilt als ungekrönte Königin des Genres, über 20 Millionen Bücher hat sie bereits verkauft.
Trotzdem: ein Buch auszumalen ist nicht gerade eine grosse Kunstform.
Man sollte den aktuellen Ausmalbücher-Trend mehr im Kontext des Do-it-yourself sehen. Es geht darum, in Farben zu schwelgen. Dafür muss man aber eben nicht alles selbst machen, sondern kann Schwarzweissbilder durch Farbe zum Leben erwecken. Es gibt einen über Studien nachgewiesenen Effekt, dass sich das Gehirn bei solchen Tätigkeiten total entspannen kann. Da ist man schnell bei dem Thema Entschleunigung. Wiederholungsreiches Tun, wie etwa Ausmalen oder auf einem Stepper stehen, Spülen, am Webstuhl sitzen, das kann einen heilsamen Zustand hervorrufen, in dem das Gehirn entspannen kann und neue Verknüpfungen bildet.
Ausmalen ist quasi Meditation?
Ja, dieses Ausmalen für Erwachsene stammt aus dem Entspannungsmarkt. Zuallererst konnte man vornehmlich Mandalas mit Farben versehen. Allerdings habe ich darin nicht viel für mich finden können. Warum immer bloss Formen der indischen Kultur ausmalen? Ich hatte Lust auf ganz andere Motive – und finde es auch schade, wenn man bei dem Thema solche Schlüsselbegriffe wie «Mandala» oder «Yoga» hört und sofort denkt, «das ist esoterischer Kram, da steige ich gleich aus». Denn es findet da gerade eine grosse Entwicklung statt, dem Thema Ausmalbuch wird sich momentan von ganz vielen verschiedenen Perspektiven genähert.
Anmalen gegen Bürostress (aus «Das F in Montag steht für Freude. Das Ausmalbuch mit neuen Sprüchen gegen Frust im Büro.») (Bild: © S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2017)
Es gibt diese schon genannte künstlerische Aneignung, die oft sehr explosiv erscheint und kaum noch etwas Beruhigendes mehr mit sich bringt. Für mich steckt dagegen der Mehrwert in der Überraschung, der Komposition und dem Humor. Meine Bücher sind Ausmalbücher, aber es sollen genauso verblüffende Kompositionen von Stadtansichten sein. Es geht darum, Architektonisches neu zusammenzusetzen. Ich mache eigentlich Such- und Find-Bücher. (lacht)
Der Ausmalbuch-Trend passt gut in Zeiten von kleinen Homemade-Burgerladen, Craft Beer oder Urban Gardening, wie es scheint. Reden wir hier eigentlich von einem Hipster-Accessoire?
Das ist sicher alles gar nicht so weit von einander weg. Ausserdem muss man natürlich sagen, Ausmalbücher sind ein Trend – Leute, die Trends mögen, machen daher gern mit und da gehört der Hipster natürlich dazu. Für viele ist es aber einfach auch angenehm, weil sie sich sagen: «Ach, wie schön, wenn man mal nicht ins Handy gucken muss.» Man braucht bloss einen Buntstift und kann selbst was bearbeiten, ohne irgendwas Digitales.
Der Markt solcher Bücher ist zuletzt enorm gewachsen, verfolgen Sie das alles?
Natürlich nicht. Es gibt wie in jedem Genre auch hier sehr viele langweilige Interpretationen. Ich kann zum Beispiel gar nichts mit diesen ganzen sterilen Sachen anfangen. Wenn alle Linien mit einem Computerprogramm für Illustratoren gezogen sind, wirkt das auf mich eher wie ein Grundriss oder eine Gebrauchsanleitung – viel zu technisch. Ich finde es dort spannend, wo man das Handgemalte erkennen kann. Was dann eben auch heisst, dass die Linien nicht gerade sind.
Handgezeichnet, nicht vorgestanzt: Schmidts Ferien-Lektüre. (Bild: © S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2017)
Meine Bücher möchte ich mir ohne das Schiefe und Schräge und die verrutschten Perspektiven jedenfalls nicht vorstellen. Menschengrosse Brezeln oder Fiaker über dem Stephansdom – erst wo die Fantasie angeregt wird, ergibt sich doch ein Mehrwert. Ich will einerseits einen Rahmen liefern, ihn aber auch gleichzeitig schon wieder sprengen.
Gibt es Motive, die Ihnen leichter fallen beim Zeichnen, und welche, an denen Sie schon fast verzweifeln?
Bei den Dschungelbildern mit den Millionen von Blättern in dem Urlaubsbuch bin ich schon an meine Grenzen gestossen. Am besten von der Hand gehen mir Tiere – und was ich natürlich auch immer gern aus dem Ärmel schüttele ist ein Porträt von der jeweiligen Person, wenn sie mir ein Buch zum Signieren gibt.
Was haben Sie durch die Arbeit an Ausmalbüchern selbst noch lernen können?
Genau hinzugucken. Zudem hat sich mein Blick verändert. In einem Baum sehe ich jetzt viel mehr die Strukturen des Stamms und die der Blätter. Man kann überall immer feiner ins Detail gehen – und gleichzeitig geht es wie im Alltag aber auch darum, an anderer Stelle wieder zu abstrahieren.
In Ihrem «Ausmalbuch für die Bahn» finden sich auch Motive aus der Schweiz.
Ja, man sieht beispielsweise Zürich, Bern oder Luzern. Mich verbindet einfach viel mit der Schweiz. Ich habe grosse Teile meiner Kindheit in Andermatt verbracht. Es ist ein so vielfältiges Land, allein schon von den Sprachen her – von Andermatt ist es nicht weit ins Tessin oder nach Graubünden, die Unterschiedlichkeit fand ich hier schon immer spannend.
Ein Ausmalbuch ist ja per definitionem keine Einbahnstrasse, bekommen Sie auch Feedback in Form von ausgemalten Exemplaren?
Ja, da hat mich schon einiges erreicht. Für meine letzte Buchparty habe ich zudem einige der Motive auf riesige Plakate gezogen und sie mir dann von meinen Gästen ausmalen lassen. Das Ergebnis hat mir unheimlich gefallen, es ist sehr laute Kunst geworden. Wer in meinen Büchern etwas ausgemalt hat, das er mir gern zeigen möchte, der möge es mir natürlich schicken, am einfachsten über meine Website.
Sie haben es allerdings selbst schon angedeutet, einige Ihrer Motive sind unglaublich kleinteilig. Haben Sie da auch mal Mitleid mit den Kunden?
Ach, ich habe Vertrauen in die Leute. Schliesslich soll jeder bei so einem Buch selbst entscheiden, ob er auf einer Seite ins Detail geht oder einfach auch mal eine Fläche draufsetzt. Diese Freiheit ist das Schöne an der Sache.
Gibt es schon Ideen für weitere Bücher?
Demnächst erscheint «Das F in Montag steht für Freude», das ist mein «Bürobuch». Darüber hinaus fände ich mal etwas mit Musikbezug spannend, und ich hätte gerade nach dem Ausmalbuch zu Berlin Spass daran, noch weitere Regionen abzubilden. Basel soll ja auch sehr schön sein. (lacht)
Musikbezug? Das würde ganz gut in Ihre Vita passen…
Stimmt. Ich habe eine Punkrockband namens «Katharina und die Bockenheim Prolls», da singe ich. Ausserdem lege ich ab und zu auch Platten auf – alles von Disco, Pop bis Bossanova. Irgendwie ist gerade das Auflegen auch nur eine Form, die die Leute dann ausfüllen können – nur eben mit Tanz statt einem Stift.