Der Blick fällt auf den Rhein und das alte Wasserkraftwerk von Wyhlen. Die Sonne wirft ein Glitzern auf den Fluss. Velofahrer sind unterwegs. Auf der anderen Seite die Schweiz, Augst und Pratteln, in der Ferne die Silhouette des Juras. Michael Kempkes schätzt den Ausblick, den sein Haus ihm bietet. Doch er fürchtet um die Idylle, seit er erfahren hat, dass der deutsch-schweizerische Stromproduzent Energiedienst auf dem Gelände des Kraftwerks eine Anlage zur Produktion von Wasserstoff errichten will.
«Wir haben nichts gegen Wasserstoff», sagt der 50-Jährige, der eine Bürgerinitiative gegen das Projekt anführt. «Aber bitte nicht an diesem Standort.» Der Unternehmer, der einen Kfz- und Bootsteile-Handel im Internet unterhält und selbstständig in der Aluminiumindustrie arbeitet, macht sich Sorgen wegen Explosionen und Verpuffungen. Denn Wasserstoff kann in hoher Konzentration beim Kontakt mit Sauerstoff explodieren. «Die Anlage sollte deshalb in grösserer Entfernung zu den Häusern der Anwohner realisiert werden», fordert Kempkes.
Chemische Reaktion in der Brennstoffzelle
Peter Trawitzki versucht, die Bedenken zu zerstreuen. «Das Risiko ist sehr klein und stellt nach Aussage der Behörden die Genehmigungsfähigkeit der Anlage nicht grundsätzlich infrage», sagt der Ingenieur, der bei Energiedienst für das Wasserstoffprojekt verantwortlich ist. Auch die Behörden seien eingebunden. Die eidgenössischen Fachstellen hätten keine Bedenken. «Wir nehmen die Sorgen der Bürgerinitiative dennoch ernst und gehen beim Lärmschutz, der ökologischen Gestaltung und der Sicherheit über die Mindestanforderungen deutlich hinaus», verspricht Trawitzki.
Die Gefahren der Technologie seien jedenfalls deutlich geringer als die Chancen, die sie böte. Und was sie möglich macht, klingt gut: emissionsfreien Verkehr – in Zeiten von Abgas-Skandalen und zu vielen Luftschadstoffen in den Städten ein aktuelles Thema. «Die Mobilität muss grün werden, und wir sehen derzeit nicht, dass Elektroautos das alleine schaffen», sagt Trawitzki. Denn noch sind die Batterien dafür teuer, zu schwer und haben lange Ladezeiten. «Wir brauchen deshalb auch andere Konzepte gerade für schwere Fahrzeuge wie Lastwagen und Busse. Und das sind Wasserstoff und Brennstoffzellen», zeigt sich der Ingenieur überzeugt.
Quasi ein Stromspeicher
In den Brennstoffzellen erzeugt die Reaktion von Wasserstoff und Sauerstoff Strom, der einen Elektromotor antreibt. Vorteile gegenüber reinen Elektroautos sind die höheren Reichweiten von mehreren hundert Kilometern und eine schnelle Betankung der Fahrzeuge. Auch das Bundesamt für Energie (BFE) propagiert die Technologie. Ohne den massiven Ausbau der Elektromobilität mit Batterien und Brennstoffzellen, schreibt das Amt in einem Positionspapier, seien die internationalen Klimaziele in den kommenden Jahrzehnten nicht zu schaffen.
Voraussetzung: der Wasserstoff wird mit erneuerbaren Energien erzeugt, so wie es Energiedienst mit dem Laufwasserkraftwerk in Wyhlen vor den Toren Basels plant. Nur dann können die Emissionen im Vergleich zu konventionellen Treibstoffen gesenkt werden. Das funktioniert mit einem sogenannten Elektrolyseur. Dieser zerlegt Wasser (H₂O) mit Hilfe von Strom in Wasser- (H₂) und Sauerstoff (O₂).
Klassischer wird gebundener Wasserstoff aus Erdöl, Erdgas oder Kohle gewonnen. Dann hat er gegenüber Benzin und Diesel aber keinen Klimaschutzbonus. Weiterer Pluspunkt von grünem Wasserstoff: Er kann quasi als Speicher für Strom aus erneuerbaren Quellen dienen, wenn er im Überfluss erzeugt und gelagert wird.
Noch steht die Baugenehmigung der Gemeinde Grenzach-Wyhlen aus. Trawitzki rechnet aber damit, dass noch im November der Spatenstich erfolgen kann. Im Sommer 2018 soll dann der Elektrolyseur seine Arbeit aufnehmen. Den neuen grünen Kraftstoff will die Energiedienst Holding mit Sitz in Laufenburg entweder an Tankstellenbetreiber oder an Verkehrsunternehmen liefern, die auf Brennstoffzellenmobilität umrüsten wollen. «Gerade in der Schweiz gibt es dafür einige potenzielle Nahverkehrsanbieter», sagt Trawitzki.
Erste öffentliche Tankstelle ist in Betrieb
Auch Coop wäre eine Option. Der Detailhändler betreibt seit knapp einem Jahr in Hunzenschwil im Kanton Aargau die erste öffentliche Wasserstofftankstelle der Schweiz. Sie versorgt zwölf Brennstoffzellenautos des eigenen Fuhrparks sowie einen 35-Tönner. Dieser hat Anfang Juni als weltweit erster Schwertransporter seiner Art vom Zürcher Strassenverkehrsamt eine Strassenzulassung erhalten.
Konzipiert wurde der Brennstoffzellen-Brummi vom Fahrzeugentwickler Esoro aus Fällanden im Kanton Zürich. Und auch der Wasserstoff dafür stammt aus der Schweiz, genauer: von einem Laufwasserkraftwerk in Aarau. Analog zu dem Vorhaben in Wyhlen arbeitet auch an der Aare ein mit Strom aus Wasserkraft betriebener Elektrolyseur. Nach Angaben der Betreiber, der Schweizer Wasserstoff-Initiative H2 Energy, kann die Anlage rechnerisch den Jahresbedarf von 170 Autos mit Brennstoffzellenantrieb sichern.
Ähnliches Preisniveau, grössere Reichweite
Bei der einen Tankstelle soll es nicht bleiben, versichert Coop-Sprecher Ramon Gander. Drei weitere Standorte seien derzeit in Vorbereitung. Ebenso ein Ausbau des Fuhrparks: «Wir planen weitere Wasserstoff-LKW und -PKW anzuschaffen», sagt Gander. «Wir sind vom Potenzial der wasserstoffbetriebenen Mobilität überzeugt. Die bisherigen Erfahrungen sind positiv. Wir konnten in einem Jahr mit unserer gesamtem Brennstoffzellenflotte rund 330’000 Kilometer ohne Probleme absolvieren und damit 62,7 Tonnen CO₂ einsparen.» Der Preis für den Treibstoff liegt mit 10.90 Franken pro Kilogramm auf dem Niveau für konventionelle Treibstoffe, denn ein Personenwagen kommt mit einem Kilo etwa 100 Kilometer weit.
Dass Wasserstoff für die an Wasserkraft reichen Alpenländer eine attraktive Option werden kann, zeigt auch die Kooperation der grossen österreichischen Energiekonzerne OMV und Verbund. Erdölproduzent OMV will in seinen Raffinerien künftig mit Wasserkraftstrom grünen Wasserstoff erzeugen.
Auch bei Energiedienst gehen die Planungen weiter. «Wenn die grüne Mobilität sich so entwickelt, wie wir es erwarten, werden wir die Anlage in Wyhlen erweitern oder neue Anlagen an anderen Standorten bauen», sagt Ingenieur Trawitzki.
Anwohner Michael Kempkes wird das nicht gerne hören. Seine Bürgerinitiative setzt sich weiter dafür ein, dass das Wasserstoffzeitalter nicht direkt am Kraftwerk Wyhlen beginnt.