BAG und Pharma sollen Karten auf den Tisch legen

Einige Pharmakonzerne haben Gerichtsbeschwerden eingereicht und dürfen ihre Preise weiter zum hohen Kurs von 1.55 Franken berechnen.

Wegen der verhinderten Preissenkungen müssen die Prämienzahler im nächsten Jahr alein für vier Medikamente 25 Millionen Franken mehr in die Taschen der Pharmafirmen zahlen (Bild: Keystone/Joerg Koch)

Einige Pharmakonzerne haben Gerichtsbeschwerden eingereicht und dürfen ihre Preise weiter zum hohen Kurs von 1.55 Franken berechnen.

Doch niemand darf wissen, welche Pharmakonzerne gegen das Bundesamt für Gesundheit BAG vor Gericht gegangen sind und was sie dort genau verlangen. Der «Blick» hatte am Freitag aufgedeckt, dass Roche und Novartis für einige umsatzstarke Medikamente die Preissenkungen anfechten.

Der Krankenkassenverband Santésuisse hatte keine Ahnung davon. Weder die Santésuisse noch einzelne Kassen dürfen wegen zu hohen Preisen Beschwerde erheben. Das Beschwerderecht ist ein Privileg der Pharmaindustrie.

Faule Ausrede des BAG

Das BAG verweigert zu den Gerichtsbeschwerden jede Auskunft, weil es sich um «laufende Verfahren» handle. Das ist eine faule Ausrede: Jede Partei eines Gerichtsverfahrens darf so viel Auskunft geben wie sie möchte. Und die Preise von Medikamenten, welche die Krankenkassen und Prämienzahler zwangsweise zahlen müssen, sind von grossem öffentlichen Interesse.

Schlimmer noch: Das BAG gibt nicht einmal bekannt, welche Firmen gegen welche Preissenkung Beschwerde eingereicht haben. Das ist erstens ein Bückling vor den Pharmakonzernen, denen es lieber ist, das Ganze spiele sich im Dunkeln ab. Denn die Pharmaindustrie weiss genau, dass ihre Beschwerden alles andere als populär sind.

Dummer und unnötiger Bückling

Und es ist ein dummer und unnötiger Bückling: Denn wer etwas nachforscht, kann leicht herausfinden, welche Preise von welchen Medikamenten hätten gesenkt werden sollen. Es genügt, die bereits im Juli vom BAG angekündigte Preisliste, die ab 1. November hätte gültig sein sollen, mit der neusten Preisliste zu vergleichen: Weil zum Beispiel der Preis des Roche-Präparats Cellcept nicht gesenkt wurde, musste BAG-Sprecher Daniel Dauwalder gegenüber dem «Blick» zugeben, dass «die angekündigte Preissenkung von Cellcept nicht durchgeführt werden konnte». Das kann nur heissen, dass dies Roche mit einer Beschwerde verhindert hat.

Einen Blick in die neuste Liste* hat Krankenkassen-Experte Josef Hunkeler geworfen, der sich bei der Preisüberwachung jahrelang mit den Kassen beschäftigt hat. Er hat entdeckt, dass die vorgesehenen Preissenkungen der umsatzstarken Medikamente Glivec und Myfortis von Novartis sowie Cellcept und Pegasys von Roche fehlen. Wegen der verhinderten Preissenkungen allein dieser vier Medikamente müssen die Prämienzahler im nächsten Jahr 25 Millionen Franken mehr in die Taschen der Pharmafirmen zahlen.

Offensichtlich hat das BAG den Beschwerden eine aufschiebende Wirkung erteilt, was Roche und Novartis erlaubt, sich jahrelang um die Preissenkungen zu drücken. Sie müssen ihre Beschwerde nur lange genug an höhere Instanzen weiter ziehen. Warum das BAG aufschiebende Wirkung erteilt hat, ist unbekannt.

Der Hintergrund

1. Für die Fabrikabgabepreise von Medikamenten in der Schweiz berechnet das BAG in der Regel den Durchschnitt der Fabrikabgabepreise in Deutschland, Österreich, Frankreich, England, Niederlande und Dänemark. Dazu gewährt das BAG noch einen generellen Aufschlag von mehreren Prozenten sowie in manchen Fällen einen «Innovationszuschlag», obwohl dieser in den Preisen des Auslands schon inbegriffen ist.

2. Bis zum 31. Oktober 2012 wurden diese Durchschnittspreise zu einem Wechselkurs von 1.55 CHF berechnet, obwohl der tatsächliche Wechselkurs schon längst bei 1.20 liegt. Weil das BAG die Preise nur alle drei Jahre anpasst, wurden per 1. November 2012 bei einem Drittel aller Medikamente die Preise neu zu einem Wechselkurs von 1.29 berechnet – ein Entgegenkommen an die Pharmaindustrie –, was zu Preissenkungen führt.

3. Für ein zweites Drittel aller Medikamente gilt noch bis zum 31.10.2013 der Wechselkurs von 1.55 CHF. Und für das dritte Drittel aller Medikamente gilt dieser Phantasie-Wechselkurs sogar noch bis zum 31.10.2014.

4. Zwei Drittel aller kassenpflichtigen Medikamente importiert die Schweiz aus dem Ausland, so dass vor allem ausländische Pharmafirmen vom Wechselkurs von 1.55 CHF enorm profitieren – auf Kosten der Prämienzahlenden.

Dieser Artikel erschien erstmals auf Infosperber.

* Nachtrag

Am Samstag 24. November hat das BAG die Liste mit den Preiskorrekturen aus ihrer Homepage entfernt. Die Öffentlichkeit kann sie jetzt nicht mehr mit der vorherigen vergleichen.

 

Artikelgeschichte

Dieser Artikel erschien erstmals auf Infosperber.

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