Basel ist Streber bei den Tagesstrukturen

Basel-Stadt profiliert sich als Pionier bei den Tagesstrukturen für Volksschüler. Doch das Programm bringt die Schüler an ihre Grenzen.

Essen, Lernen, Ausflüge: Die Rundumbetreuung der Kinder ist für manche Familien fast zu viel.

Basel-Stadt profiliert sich als Pionier bei den Tagesstrukturen für Volksschüler. Doch das Programm bringt die Schüler an ihre Grenzen.

Das neue Schuljahr beginnt für viele Schülerinnen und Schüler schon bevor die Glocken zum Unterricht klingeln. Ab sieben Uhr wird in vielen Tagesstrukturplätzen Frühstück aufgetischt. Ein Mittagstisch und drei verschieden lange Nachmittagsmodule runden das Betreuungsangebot des Erziehungsdepartements (ED) ab.

Das Angebot entspricht als flexible Alternative zu den ebenfalls boomenden Tagesheimen einem Bedürfnis. Aufs neue Schuljahr hin hat das ED noch mal 100 Tagesstrukturplätze geschaffen, sodass nun 2328 Plätze zur Verfügung stehen. Laut dem Basler «Zahlenspiegel Bildung» nutzten im letzten Schuljahr 2776 von insgesamt 14’172 Volksschülern und -schülerinnen dieses Angebot. Dank 19 Millionen Franken Unterstützung aus der Kantonskasse für das neue Schuljahr ist das Angebot für alle Familien finanzierbar.

Nur das Beste für das Schulkind

Dahinter stehen grosse Anstrengungen des Stadtkantons. Erst im August 2007 eröffnete Erziehungsdirektor Christoph Eymann die erste Tagesschule mit Mittagstisch im Schulhaus Wasgenring. 25 Primarschulen und 10 Sekundarschulen bieten heute Tagesstruktur-Module. Dazu kommen 25 Mittagstische. Entsprechend stolz auf diesen Effort sind die Verantwortlichen bis hinauf zum Chef. Eymann lobte Basel schon vor zwei Jahren als Pionier, der als einer der ersten Kantone das Tagesbetreuungsgesetz umsetze und den Anspruch auf einen Betreuungsplatz 2006 gar in die Verfassung schrieb. 

Die Verantwortlichen im ED motiviert der Erfolg zu weiteren Anstrengungen. «Wir wollen nicht nur mehr Plätze schaffen, sondern das Angebot auch qualitativ stetig steigern», sagt Claudia Magos, Leiterin der Fachstelle Tagesstrukturen. Hierzu wurden Orientierungsraster an die Schulen verschickt, als Evaluationsinstrument mit Indikatoren, wo man steht.

Daran gekoppelt ist der Auftrag an die Schulen, ein pädagogisches Konzept für ihre Tagesstruktur einzureichen. Ein grosser theoretischer Aufwand für das hehre Ziel: nur das Beste für das Schulkind. Magos: «Wir bieten ein hochwertiges pädagogisches Angebot mit Ruheräumen für die Hausaufgaben, Ausflügen und Museumsbesuchen – nicht bloss einen Hütedienst wie bei der Muba.»

Teilnahmezwang am Nachmittag

In der Praxis aber wäre weniger manchmal mehr. «Unter der Woche geht mein elfjähriger Sohn schon dreimal ins Fussballtraining, und er lernt Bratsche. Am Freitagnachmittag ist er darum meist müde und will einfach nur ausruhen statt einen Ausflug zu machen», so Patricia Lipawsky Schmid. 

Die Gymnasiallehrerin hat grundsätzlich nichts gegen pädagogisch wertvolle Angebote und schätzt die Tagesstruktur seit fünf Jahren. «Doch nun zögerten wir lange, unseren Sohn wieder anzumelden. In den letzten ein, zwei Jahren wurde das Programm etwas viel.» Störend am Angebot ist für sie auch die Vorgabe, dass man, um in den Genuss der Tagesstruktur zu kommen, mindestens vier Module buchen muss. Drei Mittagessen und nur ein Nachmittag in der Tagesstruktur sind jedoch nicht möglich. Zwei Module müssen am Nachmittag belegt werden.

«Dass mindestens vier Module pro Woche belegt werden müssen, hat mit dem sozialen Bezug zu tun: Wenn die Kinder nur einmal pro Woche kommen, kann man nicht wirklich mit ihnen arbeiten. Bei vier Modulen herrscht hingegen eine gewisse Kontinuität und man kann besser auf die Kinder eingehen», begründet Dieter Baur, Leiter der Volksschulen, diese Vorgabe des ED. Die Tendenz der Nutzer geht gemäss dem ED denn auch eher Richtung mehr denn weniger Module. 30 Prozent der Kinder, die Tagesstrukturen nutzen, besuchen das Angebot an fünf Tagen die Woche.

«Die Tagesstrukturen sind ein pädagogisches Angebot. Wir sind kein Hütedienst.»

Dieter Baur, Leiter der Volkschulen

Doch liefert das die Berechtigung, das zur flexiblen Entlastung der Eltern gedachte Modell mit einem Minimum-Limit zu begrenzen? Baur: «Es ist das Recht der Eltern, dass sie die Mindestanzahl von vier Modulen pro Woche viel finden. Aber sie sind ja nicht gezwungen, ihr Kind in die Tagesstrukturen zu schicken. Wer sein Kind lieber nur ein oder zwei Mal am Mittag fremdbetreut haben will, kann auch das Angebot von externen privaten Mittagstischen in Anspruch nehmen. Dort gibt es keine Mindestbelegung und die Preise sind dieselben. Die Tagesstrukturen sind ein pädagogisches Angebot. Damit das funktionieren kann, braucht es eine gewisse Kontinuität. Wir sind kein Hütedienst.»

Auch wenn Lipawsky Schmid das Minimallimit gern aufgehoben sähe, spricht sie von einer Luxussituation, da das Einkommen ihres Vollzeit am Tropeninstitut arbeitenden Mannes ihr erlaubt, nur Teilzeit zu arbeiten. Trotzdem wäre sie froh um unkomplizierte Entlastung an einem Nachmittag, seit ein zweites Baby zur Familie gehört.

Die Tagesstruktur des Kantons Basel-Stadt ist ein Vorzeigemodell und dient als Vorbild für andere Kantone. Doch weiss jeder aus seiner eigenen Schulzeit, dass überambitionierte Streber an Beliebtheit einbüssen. Etwas weniger sozialpädagogischer Eifer mit Mindestteilnahmen zugunsten von lockeren Lösungen könnten das Angebot für die Minderheit der Wenignutzer attraktiver machen. Und davon gibt es doch einige. Lipawsky Schmid: «Eltern, die sich schon lange kennen, organisieren die Betreuung halt privat.» Für Familien wie sie, die aus Lausanne zugezogen sind, braucht es jedoch ein paar Jahre, um dieses Netzwerk aufzubauen.

Anspruch auf einen Betreuungsplatz haben jedoch auch sie. Das garantiert seit 2006 die Verfassung des Kantons. Von Mindestteilnahmen steht dort aber nichts.

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