Basels Antiquare

In der Basler Innenstadt gibt es mehr Antiquariate als Bäckereien. Wovon leben sie? Und wie halten sie dem Internet stand?

(Bild: Hansjörg Walter)

In der Basler Innenstadt gibt es mehr Antiquariate als Bäckereien. Wovon leben sie? Und wie halten sie dem Internet stand?

Urs Joerin liebt seine Arbeit. Den Namen seines Geschäfts im Gerbergässlein, «Bücherwurm», bezieht er vor allem auf sich selbst. Seine Kunden sind eigentlich Besucher. Während unseres Treffens ist gerade ein Mann um die 60 da. Er kommt seit 35 Jahren, damals hat Joerin das Geschäft von seinem Vater übernommen. Der Sammler von alten Kinderbüchern führt mit Joerin ein fortlaufendes Gespräch über Literatur, man weiss umeinander, fragt nach der Familie. Beim Sie sind sie allerdings heute noch, ganz Kunde und Verkäufer. «Es gibt einen Kreis aus Stammkunden, die immer wieder kommen», sagt Joerin. «Doch das junge Publikum ist zu selten. Ich sehe keine Zukunft für unser Gewerbe.»

Vom 30. Januar bis zum 1. Februar 2015 findet im Schmiedenhof am Rümelinsplatz der wieder der Büchermarkt der Antiquare statt. Nur Mut! Um zum Markt zu gelangen, muss man an einer Baustelle vorbeifinden. 13 der zirka 25 Antiquare aus Basel-Stadt und Umgebung sind vertreten und zeigen die Vielfalt ihrer Altheiten, deren Reiz den wenigsten bekannt sein dürfte. Der Markt, der alljährlich und demnächst zum 20. Mal stattfindet, zeigt auch, wie die Basler Antiquare zueinander stehen: eher als Kollegen denn als Konkurrenten.
Freitag: 17 bis 20 Uhr
Samstag: 11 bis 18 Uhr
Sonntag: 11 bis 17 Uhr

Der Second-Hand-Handel ist schwierig geworden

So eindeutig wie Urs Joerin benennen es wenige. Bei vielen Antiquaren bleibt die Auskunft darüber, wie es ihrem Geschäft geht, etwas diffus. Ja, es sei schon schwieriger geworden, aber irgendwie gehe es auch weiter. Anne-Marie Pfister betreibt den gleichnamigen Buchladen am Petersgraben im Uni-Viertel. Vor 40 Jahren hat sie dort angefangen. Ihr Konzept: aktuelle Bücher neu verkaufen und Klassiker antiquarisch. Schon bald wurden die neuen Bücher ihr Hauptverdienst. Dass man mit Secondhand-Büchern, Ausgaben also, die nicht bibliophil sind, sondern einfach einen guten Text enthalten, nicht reich wird, ist für sie nichts Neues.

Dennoch sind Anforderungen hinzugekommen. Ein besonderer Ladenhüter sind Gesamtausgaben. Nur noch wenige stellen sich den ganzen Goethe ins Regal. Was früher die Seele des Bildungsbürgers war, eine gut sortierte Handbibliothek, ist den meisten von heute eine Last. Man besorgt sich die Texte gezielt, und dann eher als neues Taschenbuch oder als E-Book. Weitere Aspekte kommen hinzu: Nur noch wenige Leute lesen Frakturschrift, die teilweise bis in die 1950er-Jahre verwendet wurde. Ein grosser Teil gebrauchter Bücher wird damit wertlos. Auch fremdsprachige Autoren sind im Antiquariat häufig veraltet, etwa Dostojewski, der kürzlich mit viel Resonanz neu übersetzt wurde. Zuvor hatte sich über Jahrzehnte wenig geändert, und man hatte mit alten Ausgaben von «Schuld und Sühne» ein zeitloses Buch in der Hand.

Feingeistige Quartiertreffs

«Die Kunden haben sich verändert», sagt Anne-Marie Pfister, «aber das Antiquariat ist gleich geblieben.» Besonders schön sieht man das bei Margrit Peter, die vor 20 Jahren das Geschäft von Heiner Köchlin am Spalenberg übernommen hat. Kurz zuvor war der Reporter beim eleganten Antiquariat um die Ecke, der «Libelle mit H&B». «Ah, bei der Libelle waren Sie», sagt Margrit Peter, «die haben doch gerade renoviert!» «Das ist elf Jahre her», sage ich. Darauf sie: «Ach, hier hat sich seit 50 Jahren nichts geändert.» Sie betreibt einen Schlauch von Ladengeschäft, sachliche Beleuchtung, keine Musik. Natürlich. «Ich würde auch nicht vor dem Kunden staubsaugen», sagt sie. Es plaudert sich ausgezeichnet hier drin. So eng die Gänge sind, man hat viel Platz für den Kopf. Das Telefon klingelt mehrmals, wird jedoch eher als Störung empfunden. «Ein Traumberuf», sagt Margrit Peter. Den ganzen Tag gehen ihr Bücher durch die Hände, die meisten Kunden sind interessante Leute. Viele kommen regelmässig, gesprochen wird gerne. Wie bei Urs Joerin könnte man von einem feingeistigen Quartiertreff sprechen.

Denkbar, dass es diese Läden in mittelbarer Zeit nicht mehr gibt. Alle Läden? Mitnichten. In jedem weht ein anderer Wind. In der «Libelle mit H&B» läuft sehr wohl Musik. Französischer Swing und später frommer Barock. Der Ort verbindet die Atmosphäre von wohlsortierten Bildungsgütern mit einer frischen und anmächeligen Darreichung. Der besagte Ausbau ist ein Wurf. Entlang den Wänden eines ehemaligen Hinterhofs führt eine leicht ansteigende Treppe, die das womöglich höchste Bücherregal der Stadt zugänglich macht. Die Decke ist zugleich Oberlicht. Wo Köchlin ein Schlauch ist (und stolz darauf), ist die «Libelle» eine Galerie.

Ein antiquarisches Buch muss selten sein

Auch die «Libelle» führt grundsätzlich alles, bis zu Taschenbüchern im Keller, und will ein ganz normaler Buchladen für alle sein. Doch lukrativ ist das nicht. Daher ist das Geschäft in einigen Bereichen besonders sortiert: Kunst, Literatur des 20. Jahrhunderts, alte Kinderbücher. «Es ist wichtig, sich zu spezialisieren», sagen Urs Birchler und Thomi Hupfer, zwei von vieren, die die «Libelle» betreiben. «Ein Buch muss selten sein.» Dass ein Buch nur schön ist, reicht nicht mehr. Wertvoll sind Erstausgaben oder Bücher mit Signatur des Autors. Der Verkaufswert geht schnell in die Hunderte und Tausende. Demnächst wird etwa ein Fotoband von Laszlo Moholy-Nagy im Angebot sein, erschienen 1925 in München als Nummer acht der Reihe «Bauhausbücher». 4000 Franken soll der Band kosten. Das Internet braucht es dafür nicht mal. «Das Netz ist in diesem Preissegment tot», sagt Birchler. Vor einigen Jahren habe es einen Hype gegeben, doch der sei nun vorbei.

Für Secondhand-Antiquariate ist das Internet harte Konkurrenz.

Für die oben genannten Secondhand-Antiquare ist das Internet freilich sehr wohl harte Konkurrenz: Alles ist für jeden verfügbar und für wenig Geld – sofern es nicht selten ist. Birchler hingegen wird das Bauhausbuch im Laden anbieten. Es gebe in Basel eine Reihe Fotobuchsammler, die regelmässig vorbeikommen würden. «Ich hätte gern 20 solcher Bände», sagt er, «die würden problemlos weggehen.» Gut schauen muss freilich auch die «Libelle». «Wir müssen beweglich sein», sagt Birchler. Man muss die Preise von Büchern anpassen, die nicht laufen, oder sie ganz rausschmeissen. Das Angebot in den Regalen muss sich immer wieder ändern. Und vor allem: Sammler müssen wissen, dass man auf einem bestimmten Gebiet ein gutes Sortiment hat, das sich laufend entwickelt. Für Fotografie, Grafik und Architektur kommen in die «Libelle» auch die jungen Leute, Studenten und Fachleute, die in anderen Antiquariaten vermisst werden.

Damit ist die Vielfalt der Antiquariate noch nicht ausgemessen. Im Gegenteil. Wenn man sich ins Erasmushaus an der Bäumleingasse begibt, betritt man eine eigene Welt. Dafür ist zunächst eine Verabredung nötig. In meiner Anfrage um ein Gespräch lasse ich den Satz fallen: «Dem Gewerbe geht es bekanntlich schlecht.» Als wir dann in Timur Yüksels Büro sitzen, der das 1800 geründete Erasmushaus seit 1993 leitet und seit 2007 besitzt, fragt er zurück: «Warum schlecht?» Er hat keine Ahnung, wovon ich spreche. Auch seine Kundschaft hat sich mit den Jahren gewandelt, doch die Szene, in der Yüksel handelt, hat mit der des allgemeinen Antiquariats nichts zu tun. Wo dieses den normalen Leser sowie den Bildungsbürger mit seiner Bibliothek vermisst, sind die Sammler feiner Bücher ein eigenes Volk. Ein Beispiel aus Yüksels Angebot, das hier etwa interessieren könnte: Eine Erstausgabe von Thomas Hobbes «Leviathan», prachtvoll gestaltet, in sehr gutem Zustand, erschienen 1651 in London. Zu haben für 58 000 Franken.

Ein Buch aus dem Erasmushaus? Mit 200 Franken ist man dabei

Ein Stück im Wert von zwei Milionen Franken hat er auch im Haus, kann aber noch nicht verraten, was es ist. Wie viel man einstecken muss, um das Erasmushaus mit Buch zu verlassen? «Mit 200 Franken ist man dabei», sagt Yüksel. Das Hauptgeschäft laufe jedoch im Bereich von 10 000 bis 300 000 Franken pro Werk. Texte im Wert von über einer Million kauft er selten. Bücher dieses Preises sind die Ferraris unter den Buchantiquitäten (der höchste Preis für ein gedrucktes Buch wurde vor nicht langer Zeit gezahlt, und zwar 14 Millionen Franken für das erste in Amerika gedruckte Buch). Wenn so ein Buch den Besitzer wechselt, spricht sich das unter Kennern schnell herum. Es braucht entsprechend viel Geschick, das Stück gewinnbringend weiterzuverkaufen.

Wer kauft diese Bücher? Es sind Sammler, denen es um die schiere Gegenwart des Buches geht. Auch wenn sich die Höchstpreise des Marktes teilweise mit denen des Kunstmarktes überschneiden, funktioniert der Buchmarkt völlig anders. Es gibt niemanden, der mit dem Kauf alter Bücher spekuliert. Bücher sind keine Investition. Eine Explosion der Preise, wie sie auf dem Kunstmarkt stattfindet, gibt es hier nicht. Den Käufern wertvoller Bücher geht es ausschliesslich ums Buch. Übrigens hauptsächlich Männer. Worin die Faszination besteht? Yüksel zuckt mit den Schultern. Einige lesen darin, obwohl das gefährlich ist, da der Gebrauch den Wert ungemein vermindern kann, andere haben es einfach im Regal. Yüksel spricht von der Unmittelbarkeit zum Werk, die man nur mit einer Erstausgabe erlebt: Format des Blattes, Beschaffenheit des Materials, die Art, wie sich das Buch präsentiert. Dazu kommt das Wissen, dass das Buch einen bedeutenden Besitzer hatte, vielleicht den Autor selbst. Vielleicht hat dieser auch die Herausgabe des Buches betreut.

Eine Explosion der Preise wie auf dem Kunstmarkt gibt es nicht

Aber das ist Theorie. Man muss es vor sich sehen. An einem Punkt des Gesprächs nimmt Yüksel eine Mappe hervor, öffnet sie, und heraus kommt ein handgeschriebener Brief von Goethe – obwohl er sonst wenig mit Handschriften handelt. In dem Brief vom Februar 1789 steht der Satz: «Ich habe heute am Tasso Glück gehabt» – man sieht das Papier, die Tinte, die Reste von rotem Siegellack. Entweder lässt einen das völlig kalt, oder es läuft einem heiss den Rücken runter.

Die Zahl, denen Letzteres geschieht, ist stabil. Allerdings ist der deutsche Markt in den letzten Jahrzehnten stark weggebrochen. Das gilt nicht für den schweizerischen, doch für die Nische des Feinbuchhandels fällt ein Land mit acht Millionen Einwohnern nicht ins Gewicht. Doch was ist mit den Deutschen? «Sie waren nie besonders bibliophil», sagt Yüksel. Von jeher war hier die Tradition des Bildungsbürgers stärker, dem es um den Inhalt geht, statt um die exquisite Ausgabe. Anders sind da besonders England und Frankreich. Hier hatte eine prächtige Ausstattung oder eine bedeutende Herkunft des Buches schon immer einen hohen Stellenwert. Erstausgaben des ersten «Harry Potter»-Bandes werden hier übrigens bereits für 20 000 Pfund gehandelt – die Auflage betrug wenige Tausend. Auch deutschsprachige Texte verkauft Yüksel häufig an ausländische Sammler. Die Szene ist international. Das Internet spielt auch hier keine Rolle. Yüksel hat 4000 Adressen, die er über sein Angebot informiert. Der Grossteil seiner Verkäufe beschränkt sich auf 20 Stammkunden. 

Am Markt der Antiquare wird man Yüksel, wenig verwunderlich, nicht antreffen. Sehr wohl jedoch seinen Vorgänger im Erasmushaus, Alain Moirandat, der nach wie vor mit hochpreisigen Büchern handelt. Am Büchermarkt wird er höchstpersönlich Suppe kochen. Mit einem Verkauf rechnet er nicht, will jedoch einem breiteren Publikum zeigen, was er tut.

Leidenschaft als Hauptlohn

Sorgen muss man sich um die Händler dieses Preissegments jedenfalls nicht. Wie steht es mit dem allgemeinen Antiquariat? Angesichts der sicher nicht rosigen Lage durfte man vor einem Jahr aufhorchen, als zwei Brüder an der Hegenheimerstrasse das «Antyk&Wariat» übernahmen. Ein Buchladen ist dort schon lange, doch man spürt den frischen Wind, wenn man das Geschäft der Brüder Gasser betritt. Die Möbel sind zu stylisch, um altertümlich zu sein, die Bücher sind teilweise mehr drapiert als bloss gestellt – hip! Besonders gut laufen das stattliche Comicsortiment, Art Brut und Anthroposophie. Öffnungszeiten sind von Donnerstag bis Samstag, Geld verdient Michael Gasser als Kulturjournalist und Daniel Gasser als Psychiatriepfleger. «Wenn wir uns über das Antiquariat finanzieren wollten, müssten wir 24 Stunden hier sein und stark auf den Onlineverkauf setzen», sagt Michael Gasser. Dort läuft jetzt etwa ein Drittel ihrer Verkäufe, auf eine Steigerung verzichten sie aber bewusst: «Den Spass bringt der Laden!» Als Sammler kennen die Brüder auch die andere Seite. «Es ist langweilig, ein langgesuchtes Stück über das Internet zu kaufen. Man gibt den Suchbegriff ein, klickt – und abgehakt.» Anders gesagt: Der Weg zur Vollständigkeit ist das Ziel. Und der Hauptlohn für das «Antyk&Wariat» die Leidenschaft.

Eine Kombination aus Querfinanzierung, Professionalität und Liebhaberei – vielleicht sieht so das Antiquariat von morgen aus.

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