Das Bildrausch Filmfest Basel findet bereits zum fünften Mal statt. Und falls es noch eines Beweises bedurft hätte, dass sich der Anlass seiner Bedeutung und Ausstrahlung als Schweizer Forum für avantgardistisches Filmschaffen bewusst ist, so hat er ihn gleich selbst geliefert: mit seinem ersten, eigenen Festivaltrailer.
Farbige Streiflichter fallen durch ein Fenster in einen dunklen Saal, der selbst wiederum Ausblick auf einen geheimnisvollen Raum bietet, während eine Klangwolke durch das neckische Wechselspiel zwischen innen und aussen, der Fiktion und Realität vor und hinter der Leinwand zieht.
Die wechselseitige Beziehung von Klang und Bild ist es auch, welche die diesjährige Ausgabe von Bildrausch mit seinem Spezialprogramm zu Mika Taanila und Peter Strickland prägt. Trotz ihrer unterschiedlichen Arbeitsweise und Herkunft sind beide Regisseure Vertreter einer Filmkunst, die sich durch ihr Traditionsbewusstsein und ihre Experimentierlust, durch quasi-wissenschaftliche Präzision und barocken Überschwang auszeichnet.
Und unüberhörbar ist bei beiden die Bedeutung von Klängen als eigenständiges Medium, das Bilder einbettet, ergänzt und nicht selten herausfordert.
Nadeldrucker und ein Sexofon
Der 1965 geborene Finne Mika Taanila bewegt sich ungezwungen zwischen klassischem Dokumentarfilm, Videokunst und Avantgarde. Den Weg zu diesen «in ihren Zugriffsstrategien doch sehr unterschiedlichen Werken» (Bildrausch-Kurator Olaf Möller) fand Taanila durch die Musik: Als 16-Jähriger veröffentlichte er erste Noise-Kassetten, für seine Band Swissair (!) fertigte er Super-8-Aufnahmen an, die während der Konzerte projiziiert wurden.
Aufgewachsen in einem Hightech-Land, interessiert sich Taanila für das nostalgische Zukunftsversprechen von Technologien – und ganz konkret für die Begleitgeräusche, die ihren Niedergang begleiten.
So zum Beispiel im kurzen Stück «Optical Sound», das die mechanischen Klänge eines ausrangierten Vierundzwanzig-Nadel-Druckers zur umwerfenden Techno-Sinfonie schichtet, wobei die Klänge nur minimal nachbearbeitet wurden: ein in seiner Widerborstigkeit perfekter Soundtrack für die Sehnsucht nach der schwerelosen Welt der Daten.
«Die Zukunft gehört den Menschen, unterbewussten und bewussten Maschinen, sprechenden Tieren, denkenden Autos und Städten.»
In «The Future Is Not What It Used To Be» porträtiert Taanila seinen Landsmann Erkki Kurenniemi. Der begnadete Tüftler schmiss in den 1960ern sein Physikstudium, um elektronische Musikgeräte wie das Sexofon zu basteln, auf dem mehrere Leute durch gegenseitiges Berühren Töne erzeugen konnten: Es war die Zeit der Hippie-Bewegung, die im Kollektiv die Befreiung des Individuums von gesellschaftlichen Zwängen suchte.
«Die Zukunft gehört den Menschen, unterbewussten und bewussten Maschinen, sprechenden Tieren, denkenden Autos und Städten», heisst es in einem Manifest Kurenniemis, und man kann darin unschwer die prophetische Vorwegnahme unseres Informationszeitalters erkennen.
Taanila zeichnet das lyrische Bild eines Besessenen, der unermüdlich an seiner eigenen Obsolenz arbeitet: Irgendwann, so glaubt der Erfinder, wird sich eine virtuelle Menschheit ins All absetzen und die Erde nur noch als «Museumsplanet» weiterexistieren. Trotzdem hält Kurenniemi sein Leben obsessiv in Wort und Bild fest, da künftigen Generationen kein anderer Zeitvertreib bleiben werde, als die Vergangenheit – unsere Gegenwart – zu rekonstruieren.
Kohlköpfe und Sadomaso
Auch der 43-jährige Brite Peter Strickland, der schon mit der Pop-Sirene Björk gearbeitet hat, ist von den Hinterlassenschaften vergangener Tage fasziniert. Seinen ersten Film «Katalin Varga», eine «Variation über Ingmar Bergmans archaisches Monstrum ‹The Virgin Spring›» (Olaf Möller), realisierte der Autodidakt mit Hilfe einer Erbschaft – und drehte auf Ungarisch, eine Sprache, die er nicht beherrscht.
Mit seinem Zweitling «Berberian Sound Studio» weckte er in Festivalbesuchern weltweit eine geradezu vegetarische Blutlust: In seiner Hommage an den «Giallo», den Mystery-Thriller italienischer Spielart, schickt Strickland einen biederen britischen Toningenieur in ein römisches Studio, wo eine sadistische Folterorgie nachvertont werden soll.
Das Dienstmädchen wird schikaniert, während die Hausherrin auf dem Fauteuil erotisch kalt knistert.
Der Clou: Während der Techniker vor einem Mikrofon Kohlköpfe malträtiert, bleibt das Machwerk selber unsichtbar – und nimmt vor unseren Augen doch Gestalt an. Strickland gelingt das Kunststück, Klänge sichtbar zu machen. «Berberian Sound Studio» entwickelt sich selbst zu einem subtilen Horrorfilm, in dem der Protagonist nicht mehr unterscheiden kann zwischen dem Sadismus auf der Leinwand und seinen eigenen dunklen Trieben.
Stricklands berückendster Film bislang aber heisst «The Duke of Burgundy», benannt nach einer Schmetterlingsart, für die sich die Hauptfiguren interessieren: zwei unwirklich wirkende Frauen in einer zeitlos altertümelnden Welt ohne Autos – und ohne Männer.
Schon die Ankunft einer züchtig gekleideten Zofe beim herrschaftlichen Anwesen ihrer Dienstherrin ist wie ein Déjà-vu: Der gehauchte psychedelische Soundtrack und die dräuenden Schatten erinnern an das Sexploitation-Kino der Siebzigerjahre, und die ersten Minuten scheinen diesen Eindruck zu bestätigen.
Das Dienstmädchen wird schikaniert, während die Hausherrin auf dem Fauteuil erotisch kalt knistert. Als die Zofe eine Aufgabe nicht ordentlich erfüllt, wird sie bestraft – ein Schockmoment, von dem nichts zu sehen, aber alles zu hören ist.
Strickland wiederholt dieses Prozedere, und mit jedem Durchlauf verschiebt sich die Perspektive auf das bedrohliche Setting und damit unsere Wahrnehmung: Das gruslige Arbeitsverhältnis wird zum lesbischen Sadomaso, zur tragikomischen Zärtlichkeit. «The Duke of Burgundy» entpuppt sich, seinem Maskottchen gemäss, als berührender Film über eine Liebe, die im gläsernen Schaukasten der Routine zu verenden droht.
Gemeinsam am Plattenteller
Taanila und Strickland treffen sich thematisch – im obsessiven Charakter ihrer Figuren, der Retro-Ästhetik und der experimentellen Anlage der Geschichten und eben in der Liebe zum Klang. Die beiden Filmemacher treffen sich aber auch physisch: In Basel werden sie sich über ihr eigenwilliges Schaffen austauschen und gemeinsam als DJs am Plattenteller stehen – das muss man sich mal vorstellen! Oder vielmehr: hören. Und sehen.