Beim Bildersturm geht es nicht um Denkmäler

Die Auseinandersetzung um Südstaaten-Monumente in den USA ist nur ein Nebenschauplatz. Geschlagen werden muss die «Schlacht um Symbole» in der Gesellschaftspolitik. 

Das Denkmal des unbekannten Soldaten, genannt «Fritz», auf Les Rangiers wurde von jurassischen Separatisten 1984 erstmals gestürzt und schliesslich komplett zerstört. (Bild: Keystone)

Donald Trump hat für einmal recht: Umstrittene Denkmäler sollten wir nicht einfach beseitigen. Jedenfalls nicht abräumen, wie das kurz nach den Aufmärschen und Ausschreitungen von Charlottesville (Virginia) einem unbekannten Bronzesoldaten aus dem amerikanischen Bürgerkrieg in Durham (North Carolina) mit viel Gejohle und Gespucke widerfahren ist.

Etwas zivilisierter, aber nicht weniger hektisch verlief die Beseitigung von vier Südstaatler-Statuen auf dem Universitätscampus in Austin (Texas). Selbst die in hohem Ansehen stehende Leaderin der Demokraten, Nancy Pelosi, möchte das ganze Washingtoner Kapitol von Denkmälern (mindestens deren zehn) gereinigt sehen, die an die Armee der Konföderierten erinnern.

Die USA erleben zurzeit einen Bildersturm. Diese Eliminationswelle wirft die Frage auf, was man von solchen Denkmälern und ihrer Entfernung halten soll. Donald Trump, der mit seiner Politik das Land spaltet, ist jedoch überhaupt nicht legitimiert und schon gar nicht glaubwürdig, wenn er per Twitter dazu aufruft, «unser grossartiges Land» nicht mit der Jagd auf «unsere schönen Skulpturen und Monumente»  auseinanderzureissen.

Von Saddam Hussein…

Beseitigung von Denkmälern hat es, wenn die Zeit dazu reif war, schon immer gegeben, sozusagen als Gegenaktion zu den vorangegangenen Terrainbesetzungen. Viele können sich sicher noch erinnern, wie in Bagdad 2003 eine Saddam-Statue, deren Kopf mit einer US-Flagge verhüllt war, bildmächtig umgestürzt wurde.

Aus Israel kam im Dezember 2016 die Meldung, dass ein Künstler auf dem Tel Aviver Rabin-Platz eine drei Meter grosse, vergoldete Statue von Benjamin Netanyahu errichtet und das Publikum dann ermuntert hat, «König Bibi», wie der Premier auch genannt wird, zu stürzen. Die Zeit war in diesem Fall nicht reif, sie reichte nur gerade für ein paar Selfies, bevor die Stadtverwaltung eingriff.

Escher, Justitia und der «Fritz»: Auch die Schweiz ist nicht gefeit vor Übergriffen auf Denkmäler.

In der Zeit der Reformation galt dieser Reflex den «Götzenbildern», in der Zeit der Französischen Revolution den Zeichen der Monarchie. An der Pariser Notre-Dame wurden sogar die in luftiger Höhe aufgereihten 28 Könige von Juda und Israel heruntergeholt, weil man sie für französische Könige hielt. Im 19. Jahrhundert wurde dieser Irrtum behoben und die Figuren mit neuen Köpfen versehen. 21 der alten, malträtierten Köpfe wurden in den 1970er-Jahren in einer Baugrube wiedergefunden und sind jetzt eine Attraktion des Cluny-Museums.

Auch die im Allgemeinen doch ruhige Schweiz ist nicht gefeit vor Übergriffen auf Denkmäler. Demonstranten versuchten am 1. Mai 1991, ob ernst gemeint oder zum Schein, die Alfred-Escher-Figur vor dem Zürcher Hauptbahnhof und damit gleich auch den übermächtigen Kapitalismus zu stürzen. Zu den bekanntesten Aktionen kam es im Rahmen des Jura-Konflikts: 1986 vergriff sich die Täterschaft an einem Ideal-Symbol, der Justitia auf dem Berner Gerechtigkeitsbrunnen, einem abstrakten Wesen, das in der lokalen Presse allerdings als «geliebte Person» bezeichnet wurde.

…bis zu den Zehen von Oekolampad

Zwei Jahre zuvor war das Soldatendenkmal von Les Rangiers ein erstes Mal umgekippt worden. Der «Fritz», als Repräsentant der von der Deutschschweiz dominierten Armee, war eine leicht reellere Figur. Wieder aufgestellt, wurde sie Opfer weiterer Attacken. Zuletzt kam es 2004 im Rahmen der Feierlichkeiten zum 25. Geburtstag des Kantons Jura in Form einer Überraschungsaktion zu einer ultimativen Zertrümmerung des zuletzt noch übrig gebliebenen Kopfes.

Wie in anderen Fällen ging es da um eine magische oder animistische Hinrichtung – «in effigie» (am Bildnis) und dem Gegenstand eine Seele gebend – nach altem Muster.

In Basel vergriffen sich im Jahr 1863 einige Vandalen an der Statue des Reformators Oekolampad – schlugen ihr ein paar Zehen ab –, nachdem der angesehene, keineswegs linke Geschichtsprofessor Jacob Burckhardt einen kritischen Vortrag über den Genfer Reformator Calvin gehalten hatte.

Die Skultpuren sind nicht einfach «schön». Und gänzlich unschön ist die politische Qualität ihrer Verehrer.

Die in den USA jüngst in vehementes Kreuzfeuer geratenen Skulpturen sind entgegen Trumps Einordnung nicht einfach «schön». Die allermeisten entsprechen, wie solche Denkmäler es eben tun, einer sehr einfachen Ästhetik. Noch weniger schön ist ihr Bezugspunkt. Und gänzlich unschön ist, was der gegenwärtige Präsident aber nicht begreifen will, die politische Qualität ihrer Verehrer.

Vereinnahmung durch Rassisten

In den USA geht es nicht wirklich um die Frage, wie der Sezessionskrieg von 1861–1865 zu beurteilen ist, wer die Helden und wer die Schurken waren und wie die Frage der Sklaverei in diesen Konflikt verwickelt war. Auch wenn es etwas komplizierter ist: Man sollte zwischen den Denkmalerrichtungen und Denkmalbezügen unterscheiden. Personen aus dem Sezessionskrieg wurden erst ein halbes Jahrhundert danach zu Monumenten gemacht, so auch der 1924 in Bronze gegossene Reitergeneral Lee von Charlottesville.

Die Errichtung von Konföderierten-Monumenten erlebte zwei deutliche Höhepunkte: einmal in den Jahren 1890–1920, einmal in den Jahren 1955–1970. Beide Male entsprang die Hochkonjunktur dieser Denkmäler aber nicht dem Verlangen nach historischer Würdigung, sondern dem Bedürfnis, im politischen Geschehen der Gegenwart unter Zuhilfenahme der Geschichte Markierungen zu setzen. Und beide Male war sie rassistisch motiviert.

Den Kräften, die sich der Vergangenheit mit verwerflichen Absichten bedienen, muss man sich stellen.

Im einen Fall verstärkte sie die auch rechtlich ausgestaltete Rassendiskriminierung (nicht nur gegen Afroamerikaner, auch gegen Chinesen); im anderen Fall war sie eine Reaktion auf die stärker werdende Bürgerrechtsbewegung und die Aufhebung der ethnischen Segregation im Schulunterricht.

Vergangenheit soll nicht ausradiert werden und den Kräften, die sich ihrer mit verwerflichen Absichten bedienen, muss man sich stellen. Der bedauernswerte Bürgermeister von Charlottesville, Mike Signer, Angehöriger der jüdischen Gemeinschaft, wollte das Reiterstandbild seiner Stadt anfänglich stehen lassen, als Erinnerung daran, dass «viele Amerikaner einst als Eigentum anderer behandelt wurden».

Dieser «neue» Erinnerungsinhalt hätte sich freilich nicht selber mitgeteilt, zusätzliche Aussagen wären nötig geworden. Die Denkmäler von Südstaatlern und andere analoge Monumente sollten weiterhin sichtbar bleiben, aber von Künstlern relativiert und umfunktioniert werden. Im Falle des Generals von Charlottesville bestünde eine einfache Lösung darin, der alles in allem dunklen Statue mit Farbe ein weisses Gesicht und weisse Hände (sofern nicht in Handschuhen) zu geben.

Einschmelzen, sammeln, erklären

Eine alte Praxis der Denkmalvernichtung bestand darin, die ehernen Monumente umzuschmelzen und das Material einem neuen, besseren Zweck zuzuführen. Eine andere Lösung besteht darin, sie ins Museum zu schicken, weil man da den besseren Blick dafür hat und sich für die Erklärung des historischen Kontextes interessiert – historisieren statt eliminieren. Nach der Wende von 1989 sind mit Skulpturen des marxistisch-leninistischen Denkmalkultes ganze Parks entstanden, die das zuvor Selbstverständliche in ihrer Häufung plötzlich als urkomisch erscheinen liessen.

Den Kampf um Denkmäler mag man als nebensächlich, jedenfalls als Nebenschauplatz einstufen. Überflüssig ist er deswegen nicht. Ein sehr treffender Kommentar bemerkte, dass diese Denkmäler völlig unproblematisch wären, wären die USA nicht noch immer eine zutiefst von Rassismus geprägte Gesellschaft. Aber in einer rassistischen Gesellschaft sind sie eben überhaupt nicht unproblematisch.

Bedeutung hat der Denkmalkampf darum, weil es um die Frage geht, wer wie den öffentlichen Raum besetzen kann.

Der alte Bürgerrechtler und ehemalige Präsidentschaftskandidat Jesse Jackson erklärte, dass die Monumente auf «das unerledigte Geschäft unseres Landes» verweisen würden. Heute sind Napoleon-Statuen in Europa weitgehend unbedeutend, ja eigentlich unsichtbar – wie die meisten Denkmäler. Noch heute wären hingegen Hitler-Statuen – die es übrigens erstaunlicherweise nie gab – undenkbar. Einige Bismarck-Statuen sind stehen geblieben, aber von der Geschichte erledigt worden.

Bedeutung hat der Denkmalkampf darum, weil es um die Frage geht, wer wie den öffentlichen Raum besetzen kann. Die Denkmäler sind meistens, wie auch im Fall der Föderationsmonumente, von Privaten, von Sammlungen und von Vereinen finanziert, in der Regel ist es aber die öffentliche Hand, die den Boden zur Verfügung gestellt und den nicht billigen Unterhalt der Monumente übernommen hat.

Der Denkmalstreit ist im Vergleich zu den damit verknüpften gesellschaftspolitischen Themen tatsächlich ein kleines und unwichtiges Ding. Die gesellschaftliche Entwicklung, der Gang der Geschichte, wird durch Denkmäler und deren Sturz nicht bestimmt. Der wesentliche Teil der «Schlacht um Symbole» muss in der immateriellen Ära der Gesellschaftspolitik geschlagen werden.

Kampf zwischen unterprivilegierten Klassen

Da erweist sich, dass die achtjährige Amtszeit Barack Obamas, also des ersten afroamerikanischen Präsidenten, bezüglich der Rassenfrage höchst widersprüchliche Effekte gehabt hat. Einerseits hat sie viele Schwarze stolz gemacht, wenn auch ihre soziale Situation kaum verbessert. Andererseits hat sie bei den weissen Männern der unteren Mittelschicht die Angst vor dem Aussterben gefördert, weil sie die traditionelle Hackordnung und damit das rassistisch begründete Überlegenheitsgefühl infrage gestellt hat.

Dies hat Präsidentschaftsanwärter Trump geschickt ausgenutzt. Er gehörte auch zu denjenigen, die Obamas amerikanische Herkunft infrage stellten. Zwischen der Wahlkampfphase und der aktuellen Amtstätigkeit besteht eine starke Kontinuität. Dem Multimilliardär ist es gelungen, sich der weissen Habenichtse zu bedienen, die sich dem Untergang ausgesetzt fühlen.

Mit seinen permanenten Botschaften der Verächtlichmachung hat er – sozusagen als lachender Dritter – den Kampf zwischen unterprivilegierten Klassen, der auch als «Rassenkampf» daherkommt, angeheizt. In diesem Kampf, der geführt werden muss, aber nicht im Sinne von Endsiegen in der einen oder anderen Richtung geführt werden kann, bilden die momentanen Denkmalkämpfe nur ein sekundäres Problem.

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