Das hat es noch nie gegeben in der Geschichte der Schweizer Slam-Meisterschaften: Einen Gewinner aus Züri West. Bislang sind alle Titel in die Ostschweiz gegangen (Lara Stoll, Renato Kaiser, Gabriel Vetter) oder aber zumindest nach Zürich selber (Hazel Brugger).
Letztere sicherte sich zwar den Einzug ins Finale mit gewohnt souveräner Ironie. Doch auf die starken Bewertungen der Publikumsjury (darunter Höchstnoten) folgte im Final ein Dämpfer.
Verhüllte Frauen und Hampelmänner
Hazel Bruggers Text war nicht schlecht, nein, die Performance von Mitfavorit Kilian Ziegler einfach zu gut. Wortspielreich stach er seine ärgste Konkurrentin aus. Und mit ihr auch Jan Rutishauser, einen Konkurrenten aus dem Thurgau, der den kabarettistischen Hampelmann gab auf der Bühne im Volkshaus, was ihm erstaunlich viele Punkte einbrachte. Dabei ging es hier doch um einen Dichterwettstreit und nicht um den Quatsch-Comedy-Award.
Henusodenn: Vermutlich wusste die spontan auserkorene Jury nicht, dass hampelmännliche Auftritte unter Slammern verpönt sind. Ausdrücklich verboten sind sogar manche Hilfsmittel wie Musikinstrumente oder Verkleidungen.
Bewusste Disqualifikation einer Favoritin
Lara Stoll, die 2010 den ersten Schweizer Titel holte, brach diese Tabus mit voller Absicht: In einer Burka und mit Gitarre trat sie in der Vorrunde auf, nahm sich so mittels Disqualifikation gleich wieder aus dem Rennen. Pure Provokation? «Ich hatte mich im Frühling angemeldet, aber mir fehlte die Zeit für gute neue Texte. Statt halbherzig mitzumachen, entschied ich mich für diesen Weg», erzählte sie uns später bei einem Bier. Well done – ihr Tabubruch bleibt ebenso unvergesslich wie die souveränen Auftritte eines Berners, der von vielen Finalteilnehmern der Vater sein könnte: Christoph Simon, 42.
Aufgerüttelt und durchgeschüttelt
Er hat den umgekehrten Weg eingeschlagen als die meisten seiner Konkurrenten, von der Literatur zur Bühne, hat schon als Schriftsteller publiziert, ehe er den Poetry Slam entdeckte. Der lakonische Berner überzeugte mit seinen Finaltexten das Publikum restlos. Voller Reife, voll schwarzem aber auch hintersinnigem Humor waren seine Texte, die immer wieder berührten, weil sie uns im Kern aufrüttelten, nicht nur durchschüttelten. Da erzählte einer aus dem Leben – und nicht nur vom Pausenhof.
Kilian Ziegler hätte den Titel ebenfalls verdient, keine Frage, er erwies sich als Kalauer-König. Am Ende fehlte es ihm im Vergleich zu Simon vielleicht ein bisschen an eigenwilligem Hintersinn, an Reflektion. Bemerkenswert war der Kontrast aus echten Gefühlen und bösen Sprüchen, wie ihn Simon dem Publikum ins Gesicht klatschte:
Auch im U20-Wettbewerb, der grossen Talentschmiede also, räumte am Ende ein Berner ab: Micha Weiss brachte eine Hommage an sein Velo auf die Bühne und damit die Mädchen zum Kreischen. A new Star, so scheint es, is born.
Zu den Gewinnern gehörte am Ende auch das Team des Kulturvereins Slam Basel, das die Meisterschaft erstmals an den Rhein geholt hatte. Die Organisatoren wurden für ihre Arbeit allseits gelobt, die Säle waren fast ausnahmslos gefüllt, das Publikum sehr zufrieden.
Und die «Slamily»? Die genoss das Fest, auch die Auftritte. Manche schummelten sich am Ende gar auf die Bühne, Rampensäue wie sie sind, um Christoph Simon vor laufenden Kameras um den Hals zu fallen. Als sich die Fiesta in selbstreferenzieller Feier und schlechten Rap-Battles zu verlieren drohte – vor den Augen des Publikums, wohlgemerkt –, rettete Laurin Buser die Situation meisterhaft und versetzte den Narzissmus Anverwandter aus dem Scheinwerferlicht.
Der Vorzeigeslammer aus Basel moderierte den Finalabend somit ebenso souverän, wie seine Kollegen Marc Stöckli, Daniela Dill, Petra Dokic und Mike De Roo im Hintergrund agierten. Grosse Gratulation, auch ans OK.
Oder mit anderen Worten: Schön wars.