Wenn ein Produkt sich nicht mehr verkauft, weil alle es bereits haben, bleibt nur die Weiterentwicklung.
Es gibt sie immer wieder, die Wirtschaftsmärchen: mehr oder weniger junge Menschen haben eine tolle Idee für ein Produkt, vermarkten es gut, werden reich und erfolgreich und leben glücklich bis ans Ende ihres Lebens. Oder zumindest so lange, wie die Verkaufszahlen stimmen, denn:
Was tun, wenn die Menschheit flächendeckend mit Taschen aus Lastwagenplanen oder Zeitmessern im Bahnhofsuhrenlook ausgerüstet ist? Natürlich, Kundschaft wächst nach, solange sich die Menschen vermehren, und es gibt noch viele andere Märkte, die man erobern kann. Aber meist möchten junge Leute zwecks Abgrenzung nicht die gleichen Sachen haben wie die vorherige Generation, und irgendwann sind Hawaii, Hongkong und New York auch abgegrast.
Ganz schlimm sieht es aus, wenn das Produkt sich zusätzlich zu einem ansprechenden Design auch noch durch gute Qualität auszeichnet, also NIE kaputt geht! Dann bleibt nur noch: die Produktpalette erweitern, also ein neues Design oder neue Funktionen entwickeln.
Das Gute dabei ist, dass die Menschen gerne etwas Ähnliches kaufen wie die Dinge, die sie bereits besitzen, da kann man nämlich nichts falsch machen. Die Schwierigkeit ist dabei, dass man der neuen Tasche oder Bahnhofsuhr genauso viel genetisches Grundmaterial lassen muss, dass sie als Verwandte des Ursprungsproduktes erkannt werden. Unabdingbar ist zugleich, dass der Neuzugang genug zu bieten hat, um einen treuen Fan glauben zu machen: Ha, wie toll, das brauche ich unbedingt, das kaufe ich, und die Qualität stimmt ja auch!
Natürlich, das ist ein bisschen so, als wäre man mit dem zweieiigen Zwilling, respektive Doppelgänger von jemandem zusammen, den man einmal sehr geliebt hat. Vielleicht nicht die richtige Motivation für den Beginn einer Beziehung, aber dennoch können sich mit der Zeit echte Gefühle entwickeln.
Nachfahren der «Bahnhofsuhr» von Mondaine: Das Modell Evo Alarm, 450 Franken, sieht aus wie der Vorfahre, kann aber klingeln, sein schicker Bruder ist der Evo Chronograph, 445 Franken.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 10.08.12