Blasphemie als Machtstrategie

Ein Diskussionsabend im Literaturhaus Basel ging der Frage nach, ob der Schutz religiöser Gefühle einen Einfluss auf die Freiheit der Kunst haben soll. Darf er nicht, war man sich schnell einig. Vielleicht zu schnell.

Werden selber zum Ziel von Attacken: Militante Islamisten demonstrieren gegen das Mohammed-Video (Archvi) (Bild: sda)

Ein Diskussionsabend im Literaturhaus Basel ging der Frage nach, ob der Schutz religiöser Gefühle einen Einfluss auf die Freiheit der Kunst haben soll. Darf er nicht, war man sich schnell einig. Vielleicht zu schnell.

Zum Verhältnis von Freiheit der Kunst und den Grenzen zur Blasphemie kann man einige bedeutsame Frage stellen. Einer der interessantesten ist: Woher haben die Jemeniten die vielen dänischen Fahnen? Der Karikaturenstreit hat vor sieben Jahren eine Debatte neu entfacht, die man in Europa erledigt glaubte. Als Ende 2005 in einer dänischen Tageszeitung zwölf Mohammed-Karikaturen erschienen, brannten einige Monate danach in mehreren arabischen Ländern westliche Botschaften.

In der europäischen Öffentlichkeit war man sich uneinig, wie man sich zu dieser Entwicklung vor dem Hintergrund islamistischer Terrordrohungen stellen sollte: Die Meinungsäusserungsfreiheit – und damit auch die Freiheit der Kunst – rigiros verteidigen, oder den Schutz religiöser Gefühle vor Diffamierung, der in der dänischen sowie in anderen europäischen Rechtskodizes – auch in der Schweiz – festgeschrieben ist, stärken?

Im Literaturhaus Basel fand gestern, veranstaltet vom «Forum für Zeitfragen» und der Zeitschrift «Aufbruch», im Rahmen der Gesprächsreihe «Wechselwirkungen» zu diesem Thema ein aufschlussreicher Diskussionsabend statt. Schon zu Beginn verdeutlichten die Podiumsgäste, dass die Frage sich nicht einzig entlang einer globalisierungsbegünstigten Konfrontationslinie zwischen säkular-westlichem Meinungspluralismus und religiös enthusiasmierten islamischen Massengesellschaften entscheidet.

Der Fall Pussy Riot: In der Schweiz beispiellos

Urs Meier, Medienethiker und Medienexperte für die reformierten Kirchen, nannte das russische Feministentrio Pussy Riot als Beispiel, das nach einem Guerilla-Auftritt in der Moskauer Erlöserkathedrale 2012 verhaftet und durch eine Allianz aus staatlicher wie russisch-orthodoxer Macht wegen Blasphemie und Unruhestiftung angeklagt und verurteilt wurde.

Jasmin El-Sonbati, Mitbegründerin des Forums für einen fortschrittlichen Islam, erinnerte an den bekannten ägyptischen TV-Satiriker Bassem Youssef, der sich seit dem Wahlsieg der Muslimbruderschaft in Ägypten mit einer Prozessflut zum Vorwurf der Islambeleidung konfrontiert sieht.

In der Schweiz hingegen, sagte der dritte Podiumsgast, alt Bundesrichter Hans Wiprächtiger, gibt es keine vergleichbare Fälle – zumindest nicht in der Rechtssprechung. Der Artikel 261 des Strafgesetzbuches, der eine «Verunehrung» oder Verspottung von religiösen Überzeugungen mit einer Geldstrafe von bis 180 Tagessätzen bestraft, sei in den vergangenen Jahren kaum je zur Anwendung gekommen.

Von «schäbigen» Meinungen und Trittbrettfahrern

Das soll auch so bleiben, waren sich die Diskutanten einig: mit einer Verschärfung des Rechts lasse sich die Reibung zwischen Kunstfreiheit und Schutz der Religionen kaum auflösen. Eine pluralistische, demokratisch verfasste Gesellschaft müsse verschiedene Meinungen aushalten können – «auch die schäbigsten.»

Dieser Konsens war also schnell erbracht. Aber die Tatsache, dass auch die europäischen Staaten den Schutz religiöser Gefühle zumindest im Strafrecht verankert haben, zeigt auf, dass alleine mit Durchhalteappellen an die religiösen Gemeinschaften die Spannung nicht auflösbar ist.

Auch Europa kennt aus seiner jüngsten Geschichten mehrere Anlässe, in denen Kulturwerke scharfen Protest und Verbotsgesuche hervorriefen, und seit dem Karikaturenstreit hat Meier Trittbrettfahrten westlicher Geistlicher beobachtet, die sich im Nachgang muslimischer Empörung allgemein stärkere Kritik an blasphemischen Werken und Äusserungen erhofften.

Empörung, eine gezielt gesteuerte Ressource

Die erhellendste Bemerkung hierzu kam schliesslich aus dem Publikum: Nicht nur religiöse Gefühle können potenziell verletzt werden. Wenn diesen jedoch ein exklusiver rechtlicher oder moralischer Schutz zugestanden wird, so lege das weniger ihren schützenswerten Gehalt als vielmehr die Macht- und Deutungsansprüche ihrer Vertreter offen. Der Blasphemievorwurf als Machtinstrument?

Tatsächlich, sekundierte El-Sonbati, seien Teile der Massenerregungen im islamischen Raum nach den Mohammed-Karikaturen sowie nach dem Schmähfilm «The Innocence of Muslims» aus dem Jahr 2012 gezielt von islamischen Geistlichen gesteuert worden.

«Religiöse Gefühle sind eine gut bewirtschaftbare Ressource», ergänzte Urs Meier. Was auch die Frage beantwortet, warum Monate nach dem Druck der dänischen Karikaturen im jemenitischen Saana so viele dänische Flaggen zur Verbrennung verfügbar waren: sie wurden zu diesem Zweck herbeigeschafft.

Die Betroffenen bleiben (notgedrungen) stumm

Blasphemie verletzt nicht nur religiöse Gefühle, sondern kollektive Identitäten. Daraus lässt sich – die kritische Grösse des Kollektivs vorausgesetzt – leicht politisch Kapital schlagen. Eine zweite Ebene der Machtfrage blieb in der Diskussion hingegen unerwähnt: der Marketingprofit für die Kultur mittels Erregung und Skandalisierung infolge des Blasphemievorwurfs selbst.

Ob blasphemische Gehalte eines Werks in pluralistischen Gesellschaften noch fruchtbare provokative Potenziale bergen, blieb ebenso unbeantwortet, wie die Frage, wie Religionsvertreter denn die grundrechtlich gesicherte Freiheit der Künste unter der Bedingung eines Blasphemieverbots aufrecht erhalten wollen.

Diese Fragen hätte man an Vertreter der zwei Gebiete selbst richten müssen – an Künstler wie an Geistliche. Sie waren jedoch beide nicht auf das Podium geladen.

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