Dank TV-Serien und Filmen haben Vampire Hochkonjunktur. Der neue Blutsauger-Boom ist mehr als ein netter Gruselkick für Teenager – die schillernden Hybridwesen verraten viel über
den aktuellen Stand der Geschlechterdebatte.
Monster sind Kinder ihrer Zeit. Sie verhandeln keine Urängste der Menschen, sondern zeigen, wovor sich die Menschen in ihrer jeweiligen Ära fürchteten und fürchten. Anhand von Monstererzählungen wurden in den letzten 150 Jahren so unterschiedliche Themen wie die Furcht vor Degeneration, die Angst vor Einwanderung oder die Bedrohung durch perverse Sexualität verhandelt.
Was also können wir über unsere heutige Gesellschaftsordnung lernen, wenn wir die Vampirdarstellungen in beliebten TV-Sendungen wie «Buffy», «True Blood» oder der Teenager-Saga «Twilight» analysieren? Zunächst einmal: Oft geht es um Geschlecht und Moral.
Liebesbeziehungen zwischen Vampirmännern und Menschenfrauen zählen zu den Topsujets in Vampirfilmen. Die Darstellung schwankt je nach Streifen zwischen konservativem Klischee, Grenzüberschreitung oder sogar emanzipatorischem Anspruch. Wurden frühe Filme wie Nosferatu (1922) von monströsen Blutsaugern bestimmt, die jungfräuliche, unschuldige Frauen verführten, trieben während der 1970er-Jahre moderne Sexvampire ihr Unwesen, die sich weiter zu den mehrdimensionalen Kreaturen entwickelten, die wie in Anne Rices «Interview mit einem Vampir» menschliche Züge zeigen.
Konservativ geriet auch die Darstellung lesbischer Vampirinnen wie im Film «Blut an den Lippen» (1971): Sie hinterfragten mit ihrem Begehren männliche Machtgefüge und wurden, wenig überraschend, umso blutiger von den Vampirjägern verfolgt. Auch neuere Filme wie die «Twilight»-Reihe propagieren ein konservatives Geschlechter- und Beziehungsbild.
Allerdings gibt es auch widersprüchliche Darstellungen wie die TV-Serie «Buffy». Die junge und selbstbewusste Vampirjägerin Buffy Summers deutete eine Revolution im Vampirgenre an: Die Frau ist nicht mehr das Opfer der Vampire, sondern deren Jägerin. Im Verlauf der Serie verstrickt sich Buffy jedoch in emotionale Abhängigkeiten von (hyper-)maskulinen Vampiren.
Ähnlich ergeht es Sookie Stackhouse, der Protagonistin der Erfolgsserie «True Blood». Mit «Sookie gehört mir!», erklärt Vampir Bill seine Besitzansprüche bereits in der dritten Episode der ersten Staffel und erschüttert die Hoffnung auf ein selbstbestimmtes weibliches Subjekt. In «Buffy» und «True Blood» spiegelt sich das Dilemma heutiger Frauen: Sie brauchen keine männliche Beschützer mehr und streben nach Unabhängigkeit und Selbstständigkeit, zugleich sehnen sie sich nach Gentleman-Vampiren oder Bad Boys, wodurch in den Serien traditionelle Geschlechterklischees reproduziert werden.
Trotz der selbstbewussten weiblichen Figuren ist die emotionale Abhängigkeit der Frauen für den Plot der TV-Serien zentral: Sowohl Buffy als auch Sookie verlieren ihre Jungfräulichkeit an einen Vampir, und der Sex macht aus den Vampiren blutrünstige Monster, die ihre Liebesobjekte beherrschen wollen. Der Vampir Angel in «Buffy» verliert nach dem Orgasmus seine Seele. Anstatt weiter «zahnlos» zu bleiben und sich von Tierblut zu ernähren, will er Buffy nun töten – und die sonst so starke Jägerin leidet unter bitterlichem Liebeskummer.
Die Auserwählte teilt ihre Macht
Ähnlich ergeht es Sookie. Sie verliebt sich in den Vampir Bill und rettet ihn heldenhaft vor Menschen, die sein Blut trinken wollen. Doch bereits am Ende der ersten Folge verkehrt sich ihre Stärke in Schwäche: Bill rettet Sookie, und um zu überleben, muss sie sein Blut trinken. Durch dieses Blutband weiss Bill immer, wo sie ist und was sie fühlt. Er kann zwar keinen direkten Einfluss auf ihre Handlungen nehmen, dennoch ist Sookie im Bann des Vampirs gefangen.
Die Beschreibungen klingen nach einer müden Fortsetzung der üblichen patriarchalen Geschlechterverhältnisse, und trotzdem lohnt es sich, «Buffy» und «True Blood» genauer anzuschauen. Buffy ist jung, blond und entspricht konventionellen Schönheitsnormen. Doch sie verkörpert sowohl weibliche als auch männliche Eigenschaften in ihrer Figur: Sie ist emotional, kümmert sich um andere und opfert sich selbst. Ebenfalls ist sie eine Kämpferin, tötet Vampire und ist voller Härte gegen sich und andere. Buffy unterwandert somit gängige weibliche Stereotype: Sie hat Angst (wie eine Frau) und stellt sich dem Monster (wie ein Mann). An der Figur Buffy wird deutlich, dass nicht nur Männer männlich sind und Frauen ausschliesslich weiblich. Dass also Geschlechtereigenschaften nicht angeboren sind, sondern angeeignet werden können.
Der Weiblichkeitsentwurf von Sookie in «True Blood» spielt ebenfalls mit Stereotypen und deren Unterwanderung: Sookie schminkt sich für ihre Arbeit als Kellnerin, um mehr Trinkgeld zu bekommen. Sie pflegt ihren Körper mit exzessiven Sonnenbädern, legt Wert auf gute Manieren und stylt sich ausgiebig für ihre Verabredung mit Bill. Damit entspricht sie traditionellen Mustern, ihre Schönheit ist auf die Bewertung durch den männlichen Blick ausgerichtet. Anderseits zeigt sich im Verlauf der Serie, dass sie durchaus selbstbestimmt über ihren Körper verfügt und ein starkes Selbstbewusstsein besitzt. Ihre weiblichen Reize setzt sie strategisch ein, beispielsweise um Informationen über einen Serienkiller zu erhalten.
Sookie verhandelt weibliche Schönheit in einer komplexen Dimension: Ist die Arbeit am eigenen Körper ein Akt der Selbstermächtigung und Selbstliebe – oder steht sie unter dem Druck, männlichen Fantasien und gesellschaftlichen Normen zu entsprechen? Feminismus, zeigen uns die Vampirserien, ist ein komplexes Unterfangen und erschöpft sich nicht in der simplen Umkehrung von Rollenverhältnissen.
«Buffy» startete mit einer kämpferischen Botschaft: Das blonde Mädchen ist nicht mehr das Opfer, sondern sie tötet das Monster. Die Serie endete mit der Ermächtigung aller Frauen: Buffy besteht darauf, ihre Macht als die einzig Auserwählte mit allen potenziellen Jägerinnen zu teilen, diese jungen Frauen werden alle genauso stark wie Buffy und treten den Monstern entgegen.
Gefangen im Blutband
Damit wurde das Mädchen Buffy zu Recht eine feministische Ikone. Allerdings geht die Rettung der Welt auf Kosten ihres privaten Glücks, am Ende der Serie ist Buffy allein und hat (vorerst) alle Liebhaber zugunsten des Kampfs gegen das Böse aufgegeben.
Die interessante Frage lautet hier: Ist Gleichberechtigung nur mit dem Verzicht auf Leidenschaft zu bekommen?
Auch Sookie in «True Blood» gerät immer mehr in die Fänge des Vampirs Bill. Als er gegenüber anderen Vampiren seine Besitzansprüche auf sie deutlich macht, protestiert sie zwar, ist aber zugleich auf seinen Schutz angewiesen. Für diesen vermeintlichen Schutz unter dem Deckmantel der Liebe zahlt Sookie einen hohen Preis: Nachdem sie Bill aus der Gefangenschaft seiner Schöpferin befreit hat, stürzt er sich auf sie und trinkt ihr Blut (die Autoren der Serie entschieden sich, diese Szene – abweichend vom Roman – nicht als Vergewaltigung zu zeigen). Der Übergriff beendet die Beziehung nur vorübergehend. Das Blutband zwischen ihnen – die permanente Beobachtung durch Bill – bleibt bestehen, davon kann (und will) Sookie sich nicht lösen. Das erinnert an die Situation von Frauen, die trotz häuslicher Gewalt aus vermeintlichem Selbstschutz in der Beziehung verharren.
Beide Serien zeichnen ein komplexes Bild von der Rolle der Frau in der Gesellschaft und von weiblichem Begehren. Buffy und Sookie schwanken dabei zwischen feministischen und nicht feministischen Ansprüchen.
Abgesehen davon, dass diese TV-Serien höchst unterhaltend sind, spiegelt sich im derzeitigen Vampirboom auch eine aktuelle gesellschaftspolitische Debatte. Das fiktive Setting und die vampirischen Figuren bieten einen sicheren Ort für Geschlechterdiskussion, verschleiern allerdings gleichzeitig die andauernde Ungleichheit zwischen Männern und Frauen. Anders gesagt: Indem wir über die problematischen Beziehungsstrukturen zwischen Menschen und Vampiren nachdenken, müssen wir uns nicht mit der oft noch problematischeren Beziehung zwischen Mann und Frau beschäftigen.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 26.07.13