Kleinläden boomen, die dank Schlupflöchern im Arbeits- und Ladenschlussgesetz bis tief in die Nacht geöffnet haben.
Mitglieder von Grossfamilien zählen nicht gerade zu den gesuchtesten auf dem Arbeitsmarkt. Doch genau auf solche hat es die Coop Mineraloel AG abgesehen: «Wir suchen per sofort einen Shop-Unternehmer mit Grossfamilie», steht in einem Stelleninserat. Aufgegeben hat das Inserat im «St. Galler Tagblatt» die Tochterfirma des Grossverteilers Coop im Frühling vor einem Jahr auf der Suche nach einer Leiterin eines Pronto-Shop in der Stadt St. Gallen.
Ein paar Monate zuvor hatte dort die Polizei Angestellte eines ebensolchen Ladens kontrolliert. Daraufhin verfügten die Behörden, das Geschäft abseits des Reisestroms dürfe am Sonntag seine Pforten nicht mehr öffnen. Denn Sonntagsarbeit ist gemäss Arbeitsgesetz für Angestellte grundsätzlich verboten. Wer seine Angestellten trotzdem arbeiten lassen will, braucht eine Ausnahmebewilligung.
Grossfamilien gesucht, um das Ladenschlussgesetz auszuhebeln.
Doch es gibt einen einfachen Trick, dieses Verbot zu umgehen. Wer auf eigene Rechnung arbeitet oder nur Familienmitglieder schuften lässt, muss sich nicht ans Arbeitsgesetz halten und profitiert von Ausnahmeregeln im Ladenschlussgesetz. Und genau darauf setzen die Betreiber von kleineren Läden. Coop-Mineraloel-Sprecher Jürg Kretzer bestätigt, dass man immer wieder einmal auf der Suche sei nach Grossfamilien. «Leider wird es immer schwieriger, solche Grossfamilien zu finden», sagt er.
Als Glücksfall für Coop Mineraloel entpuppte sich der Pronto-Shop am Barfüsserplatz: Für diesen hat Coop noch eine Grossfamilie gefunden. Nur deshalb darf der Laden bis tief in die Nacht offen bleiben. Eigentlich kennt Basel-Stadt ein strenges Ladenschlussgesetz. Das soll nach dem Willen der Mehrheit auch so bleiben. Im Frühling lehnten die Stimmberechtigten eine Lockerung deutlich ab.
Kopf an Kopf Rennen
Während die traditionellen Filialen der Grossverteiler sich daran halten müssen, boomen kleine Ableger im stagnierenden Detailhandelsmarkt. Dabei liefern sich Coop und Migros ein Kopf-an-Kopf-Rennen: Migrolino hat diesen Frühling über 50 ehemalige Esso-Tankstellen übernommen und betreibt jetzt 230 Shops; Coop hat immer noch knapp die Nase vorn mit 254 Pronto-Shops. Doch der Wachstumshunger ist noch lange nicht gestillt: «Es gibt noch viele Flecken auf der Karte, wo wir gerne einen Pronto-Shop eröffnen würden», sagt Sprecher Jürg Kretzer.
Geführt werden diese Shops nicht etwa von einem Filialleiter, sondern von «selbstständigen Shop-Unternehmern» im Franchisingsystem. Die Arbeit unterscheidet sich aber kaum von jener eines Filialleiters: Das Sortiment ist grösstenteils vorgegeben, den Laden richten die Grossverteiler schlüsselfertig ein.
Scheinselbständige Shop-Leiter
«Die meisten Franchisenehmer sind eigentlich Scheinselbstständige, denn ihre Abhängigkeit ist extrem gross», sagt Unia-Gewerkschafter Pascal Pfister. Doch die Selbstständigkeit auf dem Papier zahlt sich aus: Als Filialleiter müssten sie sich bei ihren Angestellten an einen Gesamtarbeitsvertrag des Grossverteilters halten.
Zwar empfehlen Grossverteiler ihren «Shop-Unternehmern», sich an ihrem GAV auszurichten, doch der Vertrag der Kassierin eines Migrolino-Shops, welcher der TagesWoche vorliegt, zeigt ein anderes Bild: 44-Stunden-Woche und vier Wochen Ferien bei einem Bruttolohn von knapp 4000 Franken. Laut Migros-GAV gelten die 41-Stunden-Woche und fünf Wochen Ferien. «Angestellte von Shops mit Franchisingsystem müssen wesentlich mehr arbeiten, um gleich viel zu verdienen wie die Angestellten des Grossverteilers», sagt Carlo Mathieu, Zentralsekretär der Gewerkschaft Syna.
Ausgehöhlte Gesetze
Dank zahlreichen Ausnahmebestimmungen und Schlupflöchern werden so selbst restriktive Ladenschlussgesetze immer mehr ausgehöhlt. Längst haben nicht mehr nur entlang von Hauptverkehrsachsen Läden bis spät abends oder sonntags geöffnet.
In Rapperswil (SG) zum Beispiel öffnete die Migros die Pforten einer Filiale auch am Sonntag, um Touristen bedienen zu können. Die Gewerkschaft Unia klagte dagegen durch alle Instanzen. Der Fall liegt jetzt beim Bundesgericht. Ein riskantes Unterfangen: Stützt das höchste Gericht die se kantonale Ausnahmebewilligung, dürfte ähnlichen Bewilligungen Tür und Tor geöffnet sein. Denn so viele Touristen wie am Zürichsee gibts schliesslich noch vielerorts.
Artikelgeschichte
Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 30.08.13