Chillen und Coins schürfen: Sieht so die Zukunft der Arbeit aus?

Ein Start-up aus Den Haag nutzt im Rahmen eines Kunstprojekts Körper-Energie, um einen Kryptowährungsserver am Laufen zu halten. Der Körper wird damit zur Fabrik.

Gewinnbringendes Kunstprojekt: Die Körper dieser Menschen schaffen Kapital.

Die Kryptowährung Ethereum ist ein veritabler Stromfresser. Der Betrieb des dezentralen Rechnerverbunds, bei dem auf jedem Rechner eine Kopie der Zahlungshistorie gespeichert wird, verbraucht rund 4,5 Terawattstunden Strom. Das entspricht dem gesamten Energieverbrauch Zyperns.

Um die eigene Kryptowährung mit Strom zu versorgen, haben sich der belgische Aktionskünstler Manuel Beltrán und sein Team vom Institute of Human Obsolescence (IoHO) in Den Haag eine besonders pfiffige Idee einfallen lassen: Im Rahmen eines Kunstprojekts zogen sie «Arbeitern» einen Körperanzug an, der mit Hilfe thermoelektrischer Generatoren die Körperhitze speichert und in verwertbare Energie umwandelt. Diese Energie wird dann dazu verwendet, um Krypto-Mining zu betreiben.

Die Idee dahinter: Energie ist ein Gut, das Roboter brauchen, aber kaum selbst herstellen können. Der Mensch «produziert» es – wenn auch eher passiv – und kann es verkaufen. Wenn Maschinen künftig unsere Jobs übernehmen und mechanische Arbeit überflüssig wird, verkauft der Mensch seine körperliche Wärme als Arbeitskraft.

Kapitalisierte Körperfunktionen

Die ersten Ergebnisse des Kunstprojekts klingen allerdings nicht gerade vielversprechend: 37 freiwillige Arbeiter haben in einem ersten Testlauf 127’210 Milliwatt Strom erzeugt – gerade einmal so viel, um zwei Glühbirnen am Laufen zu halten – und damit 16’954 Coins «geschürft».

Die klinisch wirkende Installation eines biologischen Labors, in dem verkabelte Körperarbeiter wie auf OP-Tischen liegen, wirkt eher dystopisch. Das Setting erinnert an den Science-Fiction-Streifen «Minority Report», in dem sedierte menschliche Geschöpfe in Thermalanzügen in einer Wasserlösung an den Computer einer Polizeieinheit angeschlossen sind.

Das Kunstprojekt will eine Debatte darüber anstossen, wie schon heute Körperfunktionen kapitalisiert werden. Jeder Swipe am Handy, jedes Scrollen mit der Maus, jeder Klick und jeder Tastaturanschlag generiert Daten, die von Konzernen monetarisiert werden. Gesundheit-Start-ups sammeln via Fitness-Tracker Daten über Herzfrequenz und Blutdruck und verkaufen diese an Versicherungen. Selbst im blossen Erfasstwerden steckt ein Mehrwert: Wer körperlich arbeitet, spart bei der Police.

Wenn selbst arbeitslose Arbeiter Kapital generieren, indem sie Daten produzieren, sind wir dann wirklich unbeschäftigt?

Tech-Konzerne bedienen sich unseres Körpers wie in einem Steinbruch. Google hat vor Kurzem mit dem Bekleidungshersteller Levi Strauss eine High-Tech-Jacke auf den Markt gebracht, in die elektrisch leitende Fasern eingewoben sind, die auf Touch-Eingaben wie ein Smartphone-Display reagieren. Über einen am Ärmel befestigten Bluetooth-Sender in Form eines Manschettenknopfs werden Wischbewegungen oder Berührungen erkannt und damit Befehle ans Smartphone weitergeleitet.

Der Wunsch, Gefühle, Empfindungen und den Körper als Informationspool zu nutzen, ist alt und wird über das Management der Masse und das Erfassen von «Big Body Data» am Einzelnen fortgesetzt. Der kognitive Kapitalismus, wie ihn der italienische Postkommunist Franco Berardi konzeptualisiert, wandelt unsere Gedanken, Gefühle und Körperfunktionen in Zeichen, beziehungsweise Zahlen um und raffiniert diese Daten zu Informationen.

Unser Körper, im Speziellen unser Gehirn, ist zur verlängerten Werkbank des Neurokapitalismus geworden. Facebook- oder Google-Nutzer sind Rohstofflieferanten einer gigantischen Datenmaschinerie. «Wenn selbst arbeitslose Arbeiter Kapital generieren, indem sie Daten produzieren, sind wir dann wirklich unbeschäftigt?», fragt das IoHO-Projekt.

Ein Kollektiv, das die Bezeichnung Körperschaft verdient

Dabei sollte man meinen, dass man mit der Generierung von Daten deren Eigentümer wird. Doch die Datenarbeiter werden in dem feudalen System für ihre Arbeit nicht entlohnt. Im Glauben, uns selbst zu optimieren und mit körperlicher Ertüchtigung unseren persönlichen Aktienkurs in die Höhe zu treiben, liefern wir Konzernen Daten frei Haus.

Das Perfide an der Selbstoptimierung ist, dass gemeinschaftlicher Protest gar nicht möglich ist. Jeder Streik oder Maschinensturm würde bedingen, die eigene Produktionsstätte abzuschalten. Man kann sich nur selbst schaden. Ein Triumph des hyperindividualisierenden Kapitalismus, der jedem einschärft: Du bist deine eigene Maschine!

Datenextraktivismus ist Raubbau am biologischen System.

Die Aktionskünstler des Institute of Human Obsolescence wollen dem etwas entgegensetzen. Sie postulieren: Der Körper ist unser Kapital! Dabei spielen sie das kapitalistische Spiel insofern mit, als sie die über die Körperwärme geschürften Coins am Markt handeln, die Gewinne aber untereinander teilen. Das Kollektiv der Körper wird so zu einer Art Kooperative.

Das Prinzip des Datenextraktivismus, also der Raubbau am biologischen System, den unter anderen der Internetkritiker Evgeny Morozov geisselt, wird hier radikal umgekehrt: Der Körper wird zum Kraftwerk, der das gemeinschaftliche Projekt antreibt.

Beltrán präsentierte sein interaktives Kunstprojekt letzten März am Elevate Festival in Graz:

Warum ausgerechnet die Kunst den Weg in die Zukunft unserer Arbeit weisen könnte, sagte Manuel Beltrán dem Portal «The Next Web»:

«Ich habe viele Leute getroffen, die pessimistische Gefühle über die Zukunft haben. Die Politik ist ausser Kontrolle, wir haben nichts zu sagen. Wir werden von Algorithmen regiert, die wir nicht verstehen. Wir wissen nicht, wen wir bekämpfen sollen und wie wir uns fühlen. Vielleicht kann Kunst helfen, uns zu imaginieren und den Kampf zu beginnen.»

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