Während Europa unter Sommerhitze und einer Dürre schon fast biblischen Ausmasses leidet, drängt sich die Frage auf: Wo bleibt die Reaktion der Gesellschaft? Wo bleiben die Demonstrationen gegen Flugverkehr, SUVs und unterkühlte Warenhäuser? Wo bleibt der Aufschrei?
Die Klimafrage scheint zu einer abstrakten Sache geworden zu sein. Der einzelne Mensch entfremdet sich mit jedem Klimagipfel und jeder verpassten Vereinbarung der Vereinten Nationen ein Stück mehr von seiner persönlichen Verantwortung. Die Folgen sind Schulterzucken und Apathie, die Schockstarre vor der Zeitenwende.
Guerilla-Klimagipfel in Pratteln
Eine Graswurzelbewegung will das ändern. Vom 3. bis 13. August finden in Pratteln die zweiten Climate Games statt, eine Art Guerilla-Klimagipfel im erweiterten Stadtgebiet. Letztes Jahr hatten die Aktivisten ihre Zelte noch in einer Nacht-und-Nebel-Aktion im Horburg-Park aufgeschlagen. Und jetzt also Pratteln. Aus Genf und Göttingen nähern sich Velokarawanen, auch aus Tschechien werden Teilnehmende erwartet.
So langsam machen wir uns auf den Weg von #Göttingen zu den @climategames_ch#aufgehtsabgehtspic.twitter.com/SZwEYs6AHW— Radanreise (@Radanreise_goe) 29. Juli 2018
Worum geht es den Aktivisten? Das deklarieren sie auf ihrer Website:
«Wir wollen auf die Dringlichkeit eines Systemwandels aufmerksam machen. Deshalb wird an den Aktionstagen 10. & 11. August eine Massenaktion zivilen Ungehorsams im Basler Ölhafen stattfinden. Hand in Hand mit eigenständigen Kleingruppenaktionen werden wir uns gemeinsam, gewaltfrei, aber bestimmt der Fossilindustrie in den Weg stellen.»
Bereits im vergangenen Jahr erlebte Basel eine Reihe kreativer, reduziert militanter Aktionen. So wurden etwa die Wasserbecken mehrerer öffentlicher Brunnen giftgrün eingefärbt als Zeichen gegen die Verschmutzung der Gewässer. Transparente prangten an öffentlichen Gebäuden und die Redaktion der «Basler Zeitung» erhielt einen Protestbesuch. Die Aktionen riefen gemischte Reaktionen hervor.
Denn das ist die Krux des neuen Klimaaktivismus: Läuft er in geordneten Bahnen, wie etwa der alljährlich stattfindende «March against Monsanto & Syngenta», wird er belächelt. Tritt er aggressiv in Erscheinung, diskutiert die Öffentlichkeit nur über die Form des Protests. So oder so: Das Thema der Proteste bleibt als der grosse Verlierer zurück. Ein Dualismus, der niemandem nützt.
«Wir sehen Aktionen des zivilen Ungehorsams als legitimes Mittel an.»
Die Aktivisten versuchen das Dilemma mit einer offensiven Informationspolitik abzufedern. Eine Website informiert transparent, der «Aktionskonsens» lautet: «Angesichts der drohenden Umweltkatastrophe sehen wir Aktionen des zivilen Ungehorsams als legitimes Mittel an, um auf die Dringlichkeit eines Systemwandels aufmerksam zu machen.»
Abgelehnt werden jede Gewalt und Gefährdung von Lebewesen. Und: «Von uns wird weder Eskalation ausgehen, noch werden wir uns auf Provokationen einlassen.»
Die Farbe Weiss für kreative Militanz
Ausdruck dieser kreativen Militanz, wie diese Form des gewaltfreien Aktionismus genannt werden kann, sind die weissen Schutzanzüge, die letztes Jahr etwa beim Besuch auf der BaZ-Redaktion und bei anderen Aktionen getragen wurden. Diese Anzüge werden in der Szene als Gegenentwurf zum schwarzen Block getragen, der seine Anliegen nötigenfalls mit Gewalt vertritt. Die Farbe Weiss soll fröhlich wirken und damit deeskalieren, heisst es im Video eines Climate Camps in Wien.
Anna und Thobias haben die Klimatage mit ungefähr 30 weiteren Aktivisten organisiert. Sie beschreiben das Camp als dezentrale Plattform, die alle willkommen heisst. Der Aktionskonsens ist das oberste Credo, darüber hinaus gibt es aber keine Kontrollinstanz zur Absegnung der Aktionen.
Dass der Grat zwischen Effekthascherei und konstruktiver Provokation ein schmaler ist, sei den Aktivisten bewusst, sagen sie. «Unsere Grossaktion ist dieses Jahr so angelegt, dass sie nicht nur nach medialer Aufmerksamkeit heischt, sondern konkret auf die Problemzonen hinweist.» Gemeint ist der Hafen. «Der Verbrauch von fossilen Brennstoffen muss sich radikal reduzieren, über die ‹Ports of Switzerland› gelangt mehr als ein Drittel unseres gesamten Bedarfs an Mineralöl in die Schweiz.»
Die Organisatoren beschreiben die Initiative als Teil einer übergeordneten Idee: «Wir sind nicht naiv, uns ist klar, dass die geplante Aktion ein symbolhafter Akt ist. Die Ausbeutung von Rohstoffen wird nach der Aktion nicht unmittelbar aufhören. Wir glauben aber, dass Alternativen nur kollektiv und demokratisch entstehen. Darum braucht es Bewegungen wie unsere.»
Basel ist Teil einer weltweiten Bewegung
Das Camp knüpft die Stadt Basel als weiteren Knotenpunkt in ein weltweites Geflecht neuer Umweltbewegungen ein – wie die Initiative «Keep it in the Ground», die im Anschluss an das Pariser Klimaabkommen über 400 Organisationen hinter der Forderung für saubere Energien versammelt. Oder «Break free», eine weitere globale Klima-Allianz aus NGOs und Privaten.
Die Bewegungen haben in den vergangenen Jahren unzählige Aktionen ins Leben gerufen. Für weltweite Aufmerksamkeit sorgte etwa der Protest gegen die South Dakota Pipeline und die Solidarität mit den Sioux Standing Rock.
Diese Aktionen relativieren die oft wiederholte Kritik, Protest rege sich erst im Extremfall. So wies kürzlich der Schweizer Klimaforscher Thomas Stocker in einem Interview mit SRF darauf hin, die Wissenschaft werde erst dann gehört, «wenn es wehtut, wenn einzelne Menschen und Regionen stark betroffen sind und es Todesfälle gibt».
Die Aktivisten betonen, das sei eine ausgesprochen westlich geprägte Perspektive. Global gesehen steht vielen Menschen das Wasser schon längst bis zum Hals. Das Engagement ist da, hinschauen hilft. Was weniger nützt, ist der verbreitete Reflex, Klimaaktivisten als Tagträumer oder Störenfriede zu desavouieren.
Grünen-Grossrat Grossenbacher begrüsst die Aktion
Thomas Grossenbacher, der seit 2005 für das Grüne Bündnis politisiert, hat das Interview mit Klimaforscher Stocker auf Twitter geteilt. Der Grossrat hat Kenntnis vom Klimacamp und begrüsst die Aktion: «Es kann nicht genug solcher Aktionen geben, die Lage hat sich seit der Jahrtausendwende dramatisch zugespitzt.»
Dass mit den Klimatagen eine Reihe von Guerilla-Aktionen verbunden ist, entging Grossenbacher im vergangenen Jahr nicht: «Aufgrund der Dringlichkeit und Wichtigkeit halte ich konstruktive Provokationen für absolut notwendig, um die Leute wachzurütteln. Den Aktionismus der Camper halte ich darum für unbedingt angebracht.»
Das erklärte Ziel der Aktivisten, unmittelbar Druck auf die Politik ausüben zu wollen, kommentiert Grossenbacher so: «Eine einzelne Grossaktion wird keine unmittelbare politische Reaktion erzeugen. Aber ich hoffe auf eine Art Schneeballeffekt und darauf, dass die Aktion zu weiteren Aktionen anregt.»
Den Appell der Aktivisten nimmt der Grossrat vorweg: «Auch wir Grünen sollten vielleicht provokativer politisieren, um den Klimaschutz noch vehementer voranzutreiben. Auf dem Papier mangelt es nicht an Initiativen. Bei der Umsetzung stossen wir allerdings jeweils rasch auf Widerstand – aus der Politik und aus der Wirtschaft.»