Costa Concordia-Überlebende: «Irgendwo wird gespart»

Daniel und Maya Zurfluh aus Muttenz waren an Bord der gekenterten «Costa Concordia». Sie haben nicht nur die Evakuierung mit blauen Flecken und einem kräftigen Schrecken überstanden, sondern ihre dramatische Rettung auch noch in Bildern festgehalten.

Maya und Daniel Zurfluh nach der Evakuierung von der «Costa Concordia» (Bild: Daniel Zurfluh)

Daniel und Maya Zurfluh aus Muttenz waren an Bord der gekenterten «Costa Concordia». Sie haben nicht nur die Evakuierung mit blauen Flecken und einem kräftigen Schrecken überstanden, sondern ihre dramatische Rettung auch noch in Bildern festgehalten.

An das Äffchen dachten sie beide: Daniel (50) und Maya (47) Zurfluh aus Muttenz war kurz nach dem heftigen Stoss an Bord des Kreuzfahrtschiffs «Costa Concordia» klar, dass sie sich anziehen und das Schiff verlassen mussten. Was mitzunehmen war, sagt Daniel Zurfluh in seiner sachlichen Schilderung der dramatischen Ereignisse, war schon fast instinktiv klar: Mayas Handtasche mit den Ausweisen, sein Portemonnaie mit dem Geld – und «an das Glücksbringer-Äffchen dachten wir beide.»

Das Äffchen ist eine kleine Schiessbudenfigur, welche das Paar seit Jahrzehnten auf seinen Reisen  dabei hat. Vergessen ging dafür ausgerechnet Daniels Agenda: Der Inhaber eines Sanitärbetriebs wundert sich im Rückblick, wie ihm die Bedeutung dieses Büchleins entgehen konnte. «Ich hoffe auf das Verständnis jener Kunden, deren Termine ich in den kommenden Tagen schlicht vergesse», sagt Zurfluh. Für Hinweise aus der Kundschaft selber wäre er durchaus dankbar.

Dabei kann man sich wundern, dass Zurfluh überhaupt ans Arbeiten denkt, angesichts der dramatischen Stunden, die das Paar auf einem Zwischen-Urlaub vergangene Woche durchgemacht hat. Es war der letzte Abend an Bord des gigantischen Kreuzfahrtsschiffs «Costa Concordia»; Zurfluhs hatten sich zum Nachtessen in eines der Restaurants mit Zweiertischen zurückgezogen, das Essen genossen und einen Spaziergang auf dem Schiff angehängt. Dann waren sie relativ früh in ihre Kabine auf Deck 9 gegangen und wollten zu Bett gehen.

«Es war ein fürchterlicher Ruck, der durchs Schiff ging. Wir hörten das Metall kreischen, das Schiff geriet sofort in Schieflage.» Der Strom sei ausgefallen, die Gläser auf dem Tisch und in der Kabine heruntergefallen. Die Tür zum Balkon der Kabine hatte sich geöffnet. «Meine Frau trat kurz auf den Balkon hinaus und stiess einen Schrei aus», schildert Daniel Zurfluh: Ein Blick hinaus zeigte ihm, dass das Schiff der Küste extrem nah war. «Das geht nicht, das kann ja nicht sein», habe er gedacht. Dann seien die Lichter wieder angegangen, über die Lautsprecheranlage sei in rund einem halben Dutzend Sprachen eine Durchsage über technische Probleme erschallt.

Die Helfer der Crew waren verängstigt

«Daran konnte ich zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr glauben. Das Schiff hatte bereits Schlagseite, im Gang irrten Menschen herum, einige in Panik, andere auf der Suche nach Angehörigen.» Ein Stewart versuchte, die Menschen zu beruhigen und behauptete, es sei alles in Ordnung. Endgültige Gewissheit, dass sie sich anziehen und die Evakuierung – wie eine Woche zuvor an einer kurzen Einweisung gelernt – einleiten mussten, sei ihm gekommen, als jemand mit gepresster Stimme auf der Lautsprecheranlage wiederholt durchgab «Tango India shot closed … Tango India Shot closed». Er wisse, was ein Schott sei, und die Durchsage sei ihm durch Mark und Bein gegangen.

Zurfluhs nahmen ihre Schwimmwesten und versuchten, die Evakuierungsanweisungen einzuhalten und sich auf Deck 4 zu begeben. Im Innern des schwankenden Schiffs suchten sie sich den Weg zu den Booten. «Dort herrschte bereits ein gehöriges Gedränge. Wir gingen zur tiefer liegenden Seite des Schiffs, weil wir erwarteten, dass die Boote dort einfacher zu Wasser gelassen werden könnten.»

Doch dann passierte stundenlang nichts – ausser, dass sich das Schiff immer stärker neigte. Von den uniformierten Besatzungsmitgliedern, welche am ersten Tag der Reise die Rettungsübung durchgeführt hatten, habe sich niemand gezeigt. Am nächstgelegenen Rettungsboot seien zwei Hilfsarbeiter aus der Kombüse gestanden, beide sichtbar selber verängstigt, die aber die drängenden, teils schreienden, teils gefassten Passagiere noch nicht in die Boote lassen wollten.

Zweifel am Sicherheitsdispositiv

«Nein, ich glaube nicht mehr, dass sich auf einem Schiff dieser Grösse eine Evakuierung von so vielen Menschen planen, geschweige denn reibungslos abwickeln lässt», sagt Zurfluh, gefasst und ohne Vorwurf in der Stimme. Die beiden Angestellten am Boot hätten ihre Sache, so weit er es beurteilen könne, pflichtbewusst erfüllt. Aber die Desorganisation insgesamt zeige, dass so ein Notfall nicht perfekt vorbereitet werden könne – und dass nicht alles so laufe, wie man sich nach den Übungen, die von vielen Gästen als lästige Pflicht empfunden werde, wenigstens erhoffen könne.

«Ich sehe das inzwischen recht selbstkritisch. Wir alle wollen immer günstiger in die Ferien – und irgendwo wird dann eben gespart.» Zurfluh hatte die Kreuzfahrt recht spontan gebucht, weil er das Angebot äusserst attraktiv fand und – nach einer früheren solchen Reise, die beiden gefallen hatte – seine Frau überraschen wollte. «Aber heute kosten diese Kreuzfahrten die Hälfte dessen, was sie früher kosteten, als wir alle noch weniger verdienten.» Und selbst wenn das, was er bezahlt habe, einigermassen plausibel sei, habe er von anderen Gästen an Bord Preise gehört, die er für unmöglich hielt.

«Für mich hat sich gezeigt, dass es eben nicht möglich ist, viertausend Menschen effizient von so einem Schiff zu retten», sagt Zurfluh. «Diese Kreuzfahrtschiffe sind alle ungefähr gleich gross, zählen aber heute gegen 1000 Personen mehr an Bord, was wohl die tieferen Preise ermöglicht.» Dabei aber noch ein funktionierendes Sicherheitsdispositiv zu erwarten, sei offenbar zu viel.

Ein Rettungsboot kracht aufs andere

Im Gedränge vor dem Rettungsboot stehend, hörten Zurfluhs schliesslich das Signal zur Aufgabe des Schiffs – eine Folge von Horntönen, welche die verängstigten Helfer selber gewissenhaft mitgezählt hätten, bevor sie sofort das Verdeck vom Rettungsboot zerrten. «Wir sind dann sozusagen in das Boot hineingefallen – so stark neigte sich das Schiff bereits», schildert Zurfluh, der sich erst am Montag der Schmerzen im Rücken und der vielen blauen Flecken bewusst wurde und, daheim in Muttenz, den Arzt aufsuchte. «Menschen drängten ins Boot, stürzten, Kinder schrien, die ruhigeren halfen jenen, die Panik oder Mühe beim Einstiegen hatten».

Dann habe die Besatzung versucht, das Boot zu Wasser zu lassen – aber nach ein paar Metern habe es sich an einer Kette am Schiffsrumpf verhakt. Mit einer Axt drosch einer der beiden Crewmitglieder auf das Boot und die Kette ein – bis es sich löste und ins Wasser hinunter krachte.

«Als dann noch das nachfolgende Rettungsboot auf unsere Kunststoff-Überdachung drauffiel, war ich mir sicher, dass es das war» – aber es sei nichts weiter passiert, niemand an Bord habe sich schwerer verletzt.

Vom gekenterten Kreuzfahrtschiff wegfahrend, hätten die rund 100 Personen an Bord und die zwei Crewmitglieder die Hafeneinfahrt auf der kleinen Insel Giglio angesteuert – inmitten zahlreicher anderer Boote und Rettungsinseln. Später habe er erfahren, dass einzelne Kreuzfahrtgäste auch gesprungen und im eiskalten Wasser an Land geschwommen seien.

Im kleinen Hafen der Insel seien die Schiffbrüchigen von der lokalen Bevölkerung empfangen, mit Decken und Brot ausgerüstet und in der Kirche und im Schulhaus untergebracht worden, bevor einige Stunden später mit zwei Fährschiffen die Überfahrt ans Festland nach Porto Santo Stefano durchgeführt wurde – «wofür sich jeder Passagier auf einer Namensliste eintragen musste». Am Festland sei die Betreuung bereits organisiert, Mitarbeiter der Kreuzfahrtgesellschaft Costa zugegen gewesen.

Weil er wusste, wie weit sie noch vom Zielhafen Savona entfernt waren – aus zwischenzeitlich mit seinem Reiseversicherer durchgeführten Telefonaten – bat Zurfluh darum, nicht dorthin, sondern an den römischen Flughafen Fiumicino gebracht zu werden. Dort lagen die Flugtickets, von der Versicherungsgesellschaft organisiert, für die Zurfluhs schon bereit.

Kein Andenken

Vor dem Abflug sei es noch zu einer rührenden Szene gekommen, als Daniel Zurfluh die beiden Schwimmwesten des Paars – das sonst ausser den Kleidern am Leib, der Handtasche mit einem kleinen Fotoapparat und dem Glücksäffchen nichts dabei hatte – diese mit an Bord nehmen wollte: Die Zöllner hätten sich nach dem Grund erkundigt und er habe gesagt, die Weste habe sie in der kalten Nacht warmgehalten und ihnen so das Leben gerettet, sie wollten sie als Andenken. «Einer der Zöllner nahm mich in den Arm, der andere ging telefonisch nachfragen. Am Ende mussten wir die Westen aber da lassen.»

Immerhin kamen Zurfluhs am Tag nach der Havarie der Costa Concordia um 12.55 Uhr am Basler Euroairport an, wo gute Freunde und Nachbarn sie abholten. Und am Montag sei seine Frau zur Arbeit gefahren, wo sie allerdings der Betriebsarzt kurz behandelt und mit einem Beruhigungsmittel nach Hause geschickt habe. Er selbst, sagt Daniel Zurfluh, erlebt nicht nur die anfangs kaum zu spürenden Schmerzen, sondern jetzt auch den Schock der Vorfälle verstärkt, nachdem er die Fotos angesehen habe, die das Paar auf der Flucht noch geschossen hat.

Er werde arbeiten die kommenden Tage, sagt Zurfluh. Und hofft, wie eingangs erwähnt, auf das Verständnis seiner Kunden für verpasste Termine. Falls er seine Agenda nicht doch noch kriegt. Ganz hat er die Hoffnung noch nicht aufgegeben, weil ihre Kabine noch über der Wasseroberfläche liege. Dem Reisebüro hat er mitgeteilt, dass er das Gepäck noch gerne hätte, falls es noch zu retten sei. «Zunächst sind wir aber erleichtert, davon gekommen zu sein, und nach Reisen ist mir derzeit gerade nicht zumute», sagt Zurfluh.

Das Glücksäffchen jedenfalls dürfte auch auf der nächsten Reise des Muttenzer Paars dabei sein.

 

Quellen

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