Das Cover des ersten deutschen «Charlie Hebdo»

Das terrorversehrte Satiremagazin «Charlie Hebdo» erscheint ab diesem Donnerstag auch auf Deutsch. Politiker und Würdenträger dürfen sich auf etwas gefasst machen.

Das Cover der ersten deutschen Ausgabe des «Charlie Hebdo».

Das terrorversehrte Satiremagazin «Charlie Hebdo» erscheint ab diesem Donnerstag auch auf Deutsch. Politiker und Würdenträger dürfen sich auf etwas gefasst machen.

Kann man, ja muss man sich Angela Merkel bald in zweideutiger Stellung mit Recep Tayyip Erdogan vorstellen? «Warum nicht?», sagt Chefredaktor Gérard Biard schmunzelnd. Dem Credo von «Charlie Hebdo» treu, will er «nichts ausschliessen», wenn er diesen Donnerstag – 1. Dezember – eine deutschsprachige Ausgabe lanciert.

Auf einem Plakat wird Merkel immerhin schon bei der «Charlie»-Lektüre auf dem stillen Örtchen abgebildet – was gleich die Grundfrage aufwirft, ob die gleiche Satire durch ein in- oder durch ein ausländisches Medium bei den Lesern auch gleich ankommt.

Die Startauflage des deutschen «Charlie» beträgt 200’000 und wird in Deutschland, der Deutschschweiz und Österreich vertrieben. Im Wesentlichen handelt es sich um eine Übersetzung der französischen Stammausgabe, die durch die Mohammed-Karikaturen und den Terroranschlag von 2015 in die Weltschlagzeilen geraten war.



Das Cover der ersten deutschen Ausgabe des «Charlie Hebdo».

Das Cover der ersten deutschen Ausgabe des «Charlie Hebdo».

Die zentrale Karikatur auf der Titelseite werde für die deutsche Ausgabe allerdings speziell hergestellt, sagt Biard. Zwei weitere Seiten der Erstausgabe ändern sich, weil zu stark auf die französische Innenpolitik bezogen. «Einige Zeichnungen» im Blattinnern werden aus dem gleichen Grund ersetzt.

Der ganze Rest der Ausgabe ist in beiden Sprachen identisch – was unterstreicht, wie gross das Gewicht der bekannten «Charlie»-Karikaturen in jeder Ausgabe ist. Aus diesem Grund war die Übersetzung auch relativ einfach zu bewerkstelligen.

Ist gallischer Humor einfach exportierbar?

Der deutsche «Charlie» ist auf keine deutsche Redaktion angewiesen. Vorerst sind auch keine deutschen Zeichner vorgesehen, doch das kann sich gemäss Biard schon bald ändern. Vorerst gehe es darum, Erfahrungen zu sammeln: «Die Lancierung ist ein Sprung ins Leere, ein Abenteuer. Wir wissen nicht, wie sich das Ganze entwickeln wird und ob wir verstanden werden.»

Biard erklärt deshalb gerne das Markenzeichen seiner Redaktion: politische Satire, gewürzt mit einem bewusst provokativen bis obszönen Ansatz – weil Obszönität im provokativen oder subversiven Sinn auch politisch sei. Bloss, ist diese sehr gallische Auffassung von Humor exportierbar? «Das ist schon eine Herausforderung», sagt Biard freimütig, «aber das Lachen ist schliesslich universell.»

Es sei nicht anzunehmen, dass sich alle Deutschen sofort auf «Charlie» stürzen würden, räumt Biard ein. «Aber man darf auch nicht glauben, dass alle Franzosen unseren Humor schätzen.» Auf seinen eigenen Reisen in Deutschland – etwa zu einer Preisverleihung in Berlin – stellte Biard nach eigenen Worten mehrfach fest, dass sich die Medien und das Publikum sehr für «Charlie Hebdo» interessiert hätten, viel stärker jedenfalls als in Grossbritannien oder den USA.

«Aber man darf auch nicht glauben, dass alle Franzosen unseren Humor schätzen.»


Der «Charlie»-Chef glaubt auch nicht, dass die antiklerikale Tradition des 1970 gegründeten Blattes eine französische Exklusivität sei: Einzelne deutsche Comic-Zeichner wie Ralf König widmeten sich dem Thema mit ähnlicher Verve, meint Biard. Über die Mohammed-Karikaturen spricht er weniger gern.

Nach dem Terroranschlag des 7. Januar 2015 (zwölf Todesopfer) hatte die Redaktion noch eine Titelseite veröffentlicht, auf welcher der mutmassliche Prophet ein Schild mit der Aufschrift «Je suis Charlie» hält. Seither hat das Blatt aber auf Mohammed-Zeichnungen verzichtet. Biard erklärt seit Langem, «Charlie» habe in zehn Jahren gerade mal drei solcher Karikaturen gebracht – um ein Vielfaches weniger als etwa Jesus. Die Redaktion wolle sich nicht auf dieses Thema fokussieren, das nur den – absolut falschen – Eindruck von Islamophobie erwecke.

«Wer sich nicht für Satire exponieren will, sollte kein öffentliches Amt annehmen.»

Geistige Müdigkeit oder gar Kuschen vor den Islamisten ist jedenfalls nicht der Grund, dass «Charlie» heute andere Themen in den Vordergrund rückt. Das – an geheimer Adresse in Paris gemachte – Blatt verkauft sich heute mit einer Auflage von 110’000 viermal besser als vor dem Anschlag. Nach dem Erdbeben in Italien wurde es zwar für eine unflätige Zeichnung über Erdbebenopfer in Spaghetti-Sauce gerüffelt; dafür erhielt es Applaus für die Karikatur von Steuerflüchtlingen mit der Solidaritätstafel «Je suis Panama».

Was eine allfällige Merkel-Satire anbelangt, will Biard die gleichen «Charlie»-Kriterien anlegen wie in Frankreich: «Wir gehen davon aus, dass eine Person, die im öffentlichen Leben eine Rolle sucht, sich selber für die Möglichkeit öffentlicher Satire exponiert. Wer das nicht will, sollte kein öffentliches Amt annehmen.» Oder nicht «Charlie Hebdo» lesen.

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