Mit WikiHouse können Internetnutzer ihr eigenes Zuhause designen. Do-it-yourself-Bauen soll Wohnen für jedermann ermöglichen. Ist das die Zukunft der Bauwirtschaft?
Ein Haus zu bauen ist der Traum vieler Familien. Doch das Eigenheim bedarf langer Planung und Finanzierung. Warum nicht online gehen, ein Haus designen und ausdrucken? Das ist die Idee von WikiHouse, ein Open-Source-Projekt, mit dem jeder sein eigenes Haus planen und bauen können soll.
Im Internet kann der Interessent die Baupläne kostenlos herunterladen – als ob es sich um ein Kochrezept handelt. Die Bauteile werden dann von einer CNC-Maschine fabriziert und in einem Paket geliefert. Wie ein Ikea-Möbelstück enthält das Kit alle nötigen Werkzeuge, sodass man das Haus in Do-it-yourself-Manier selbst zusammenzimmern kann.
Die gelieferten Einzelteile gilt es nur noch zusammenzubauen – oder eher zu stecken. (Bild: MargauxCarron (www.margauxcarron.com) / CC)
Billige Fertighäuser gibt es ja schon lang, und sie haben sich nicht richtig durchgesetzt. Doch was WikiHouse anstrebt, ist nicht weniger als die Revolutionierung der Bauwirtschaft. Die Organisation hat vor kurzem auf dem London Design Festival einen Prototyp des WikiHouse 4.0 präsentiert – ein zweistöckiges Haus, das mit CNC-Maschinen und 3D-Druckern gefertigt wurde. Kostenpunkt: 50’000 Pfund.
Die Leichtbauweise ermöglichte ein Zusammenbauen ohne Beton und Mörtel, die einzelnen Bauteile wurden lediglich verschraubt. Im Zeitraffer ist zu sehen, wie eine Handvoll Bauarbeiter das Haus zusammenzimmert. Das smarte Haus ist mit Sensoren ausgestattet, von der Heizung bis zur Beleuchtung lässt sich alles mit dem Smartphone regulieren. Statt HomeKit oder Nest werden jedoch Linux-Computer und OpenHAB, eine Open-Source-Automationssoftware, verwendet.
Die Offenheit soll nicht nur in der Transparenz der Baupläne ihren Ausdruck finden, sondern auch in der Steuerung des Gebäudes. Das WikiHouse 4.0 will eine Antwort auf den angespannten Immobilienmarkt in Londons City liefern, wo Hinterhofgaragen für eine Million Pfund versteigert werden.
Fix fertig: Das Internet-Haus, WikiHouse 4.0. (Bild: Cullinans)
Alastair Parvin, Mitbegründer von WikiHouse, sagte gegenüber der Zeitung «The Independent»: «Was wir mit dieser Installation zu tun versuchen, ist, die Imagination der Menschen zu entfachen, wie Technologie fast jedem ermöglichen kann, sich sein eigenes massgeschneidertes Haus zu leisten, ohne Rückgriff auf konventionelle Baukenntnisse.» Die Stossrichtung des Projekts ist klar: Jeder ist ein Architekt. «Seit der industriellen Revolution ist die vorherrschende Idee der Industrie die Annahme, dass, wenn wir Häuser bauen wollen, diese von grossen Institutionen gebaut werden müssen», sagt Parvin. WikiHouse sei nicht die Lösung der gegenwärtigen Immobilienkrise, aber mit dem Projekt solle eine «Unruhe stiftende Debatte» mit Grundstücksbesitzern, Stadtplanern und Politikern geführt werden.
Dem Projekt wohnt die Hoffnung inne, dass der Häuserbau demokratisiert und die Wohnungsnot gelindert werde.
Als Open-Source-Projekt hat sich WikiHouse auf der ganzen Welt verbreitet. In den Niederlanden gibt es eine ganze WikiHouse-Community mit regelmässigen Veranstaltungen und Diskussionsforen. Im neuseeländischen Christchurch wurden WikiHouses als Reaktion auf die verheerenden Erdbeben 2011 gebaut. Und in den Favelas von Brasilien werden in Pilotprojekten die ersten Häuser aus dem Baukasten konstruiert.
Dem Projekt wohnt die Hoffnung inne, dass der Häuserbau demokratisiert und die Wohnungsnot gelindert werde. So wie der Namensvetter Wikipedia Wissen jedermann zugänglich macht und Kulturbastionen einreisst, will WikiHouse Autoritäten umgehen und Wohnen für alle bezahlbar machen.
Peter Blundell Jones, Professor für Architektur an der Universität Sheffield und ein international sehr geschätzter Architekturtheoretiker, sagt im Gespräch mit der TagesWoche: «Wir werden schrittweise enteignet durch eine Spezialisierung, durch technische und bürokratische Systeme, sowie von Landbesitz, was nicht leicht zu überwinden ist. Selbst wenn man Land und Geld hat, kann man nicht einfach so bauen, wie man will, zumindest in den meisten Teilen Europas, weil man Baugenehmigungen braucht, die die Meinung anderer über das Aussehen des Gebäudes einschliesst. Für sich selbst zu bauen gibt Kraft und Zuversicht, eine Möglichkeit, die Welt zu kontrollieren.» Freilich wird sich durch die neue Technik an verwaltungsrechtlichen Genehmigungsverfahren nichts ändern. Nicht jeder kann nach Belieben ein Haus errichten. Doch Bauen wird schneller und billiger – nicht zuletzt durch den 3D-Druck und die digitale Fabrikation. Das stellt die Gesellschaft vor Herausforderungen.
Freilich wird sich durch die neue Technik an verwaltungsrechtlichen Genehmigungsverfahren nichts ändern. Doch Bauen wird schneller und billiger.
Was bedeutet es, wenn jeder sein eigener Bauherr ist? Braucht es überhaupt noch Architekten?
Die Wissenschaftlerin Barret Havens, die an der Woodbury University in den USA Architektur lehrt, glaubt nicht, dass die Profession ausstirbt. «Nur weil ich weiss, wie man Gitarre spielt, höre ich ja auch nicht auf, Musik von Könnern anzuhören», sagt die Professorin auf Anfrage. Die Open-Source-Baupläne eröffneten neue Chancen für Architekten, ihre Vorschläge einzubringen. «Indem man an jeder Stufe des kreativen Bauprozesses teilnimmt, lernt man die Architekten als virtuose Designer schätzen.»
Für Havens verkörpert die Open-Source-Architektur eine neue Form der Ästhetik. «Es gibt etwas organisch Gefallendes am WikiHouse-Design. Die Rippen in den Strukturen suggerieren Kreaturen.» Wenn WikiHouses in Städten gebaut würden, würden wir einen höheren Grad der Uniformität sehen, so Havens. Doch dieses Design könne wiederum als Komponenten einer grösseren Struktur betrachtet werden. Uniformität gibt es ja schon: in Favelas oder anderen Elendsvierteln, oder in den «Cookie-Cutter-Communities» der Vorstädte, wo die Häuser wie aus einem Plätzchenausstecher geformt aussehen.
«Obwohl Open-Source-Design nicht einzigartig ist, kann es in einzigartigen Wegen arrangiert werden», sagt die Architekturprofessorin. Man denke nur an Moshe Safdies gestapelte Wohnsiedlung Habitat 67, die zum Wahrzeichen der Expo 1967 in Montreal wurde. Für die Weltausstellung wurden 85 vorfabrizierte Betonboxen so aufeinandergestapelt, dass die Wohneinheiten als individuelle Häuser funktionieren.
Habitat 67: Den Wohnkomplex hat Architekt Moshe Safdie in den Jahren 1966 bis 1967 in Montreal erschaffen. (Bild: Photo: Nora Vass, Stitch: Gergely Vass / CC / Wikipedia)
Die von den Hügeldörfern Israels inspirierte Struktur steht für günstigen Wohnraum und gemeinschaftlich genutzten Raum, der eine Antwort auf das Verwachsen und die Verdichtung von Städten liefert. «Habitat 67 zeigt, dass Uniformität auch ästhetisch sein kann», sagt Havens. Man könnte es als Renaissance des Bauhauses begreifen, durch das seriell gefertigte Produkte fast schon wieder individuell werden.
Im WikiHouse-Projekt spiegeln sich mehrere Strömungen des Zeitgeists, nicht zuletzt der Gedanke der Null-Grenz-Kosten-Gesellschaft von US-Ökonom Jeremy Rifkin. Die Bewohner werden zu ihren eigenen Baumeistern und Citymanagern einer kollaborativ organisierten Gemeinde. Der Traum vom Eigenheim könnte damit ein Stück weit realer werden.
Ab 15’000 Pfund gibts das Studio von WikiHouse.
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Und so funktioniert WikiHouse: Die Erklärung auf der Website