Das erste Eigentor der EM ist bereits gefallen! Geschossen hats der Hauseigentümer-Verband

Feiern Sie die Euro 2016 friedlich, empfiehlt der Hauseigentümerverband Schweiz. Er liefert detaillierte Spielregeln dazu. Aber versteht der HEV überhaupt etwas von Fussball?

Auch das gibt es: Eine Anleitung zum friedlichen EM-Feiern vom Hauseigentümerverband.

(Bild: Hans-Jörg Walter)

Feiern Sie die Euro 2016 friedlich, empfiehlt der Hauseigentümerverband Schweiz. Er liefert detaillierte Spielregeln dazu. Aber versteht der HEV überhaupt etwas von Fussball?

«Fussball EM 2016: Auf ein friedliches Miteinander». Was für ein Knaller von einem Betreff! Die Mitteilung des Hauseigentümerverbands Schweiz (HEV) landet am Donnerstag genau im Lattenkreuz der TagesWoche-Inbox.

Eine Fussball-EM mit friedlichem Miteinander – endlich versöhnliche Voten von den mächtigen politischen Vertretern der Hausbesitzer. Es muss sich um eine Art Fussballwunder handeln. Vom Club, der sein 100-Jähriges unlängst auf dem Rütli feierte, ist man anderes gewohnt – schreckt die Sturmspitze beim Angriff über Rechtsaussen bekanntlich vor nichts zurück. Man erinnere sich an Szenen wie etwa das hammerharte Einsteigen gegen die Erbschaftssteuer, die Blutgrätschen in die Beine der Befürworter bezahlbarer Wohnungen auf SBB-Grundstücken oder das Anrennen mit der Brechstange gegen das neue Asylgesetz.

So feiern Sie richtig

Aber nun soll Freude herrschen. Jedenfalls beginnen die HEV-Spielregeln zum friedlichen Fussball-Fest vielversprechend. Die EM erfüllt «die einen mit Freude», heisst es. Doch Achtung, ein erstes Tackling – die gute Stimmung ist nicht von langer Dauer. Schon stösst man beim Lesen aufs erste «Aber»:

Andere seien «mit Sorge erfüllt, weil nächtliche Fussball-Partys, häufig über das Spielende hinaus andauern und mit deftigen Lärmimmissionen verbunden sind. Im Zusammenhang mit der EM stellt sich auch die Frage: Wie ist mit dem Aushang von Nationalfahnen an Liegenschaften umzugehen?»

Hier vereinen sich so ziemlich alle Grundsorgen eines Bilderbuch-Bünzli-Bällelers in einem Satz: Mögliche Partys, welche – neiaberau! – unerwartet in die Verlängerung gehen oder gar Schall produzieren könnten. Es empfiehlt sich, diverse Massnahmen im Voraus zu planen. Gar mit dem Ortsbild und dem Haus des Nachbarn könnte es Probleme geben: Womöglich hängt der sich eine Fahne ans Haus. Und vielleicht erst noch die falsche!

Schonungslos klärt der HEV auf: Bei einem «derartigen Grossanlass» wie der Euro gelten etwas andere Regeln. Zumindest «während den von den örtlichen Behörden bewilligten Festzeiten» und in der Nähe von «Public-Viewing-Plätzen» sei es wohl so, dass sich «nichts machen lässt». Brutal.

Aber so sind die Regeln bei diesem Spiel. Auf die Ruhezeiten («in der Regel von 22.00 Uhr bis 06.00 Uhr bzw. 07.00 Uhr») könne in diesem Fall nicht «gepocht» werden. Trotzdem bestehe selbstverständlich kein Recht darauf, «unbegrenzt Lärm zu produzieren». Und: «Je weiter weg von öffentlichen Festplätzen private EM-Festanlässe durchgeführt werden, desto stärker können Nachbarn auf ihr Recht der nächtlichen Ruhe pochen.» Merke: Dem Nachbarn mit der falschen Fahne kann man den Fussballabend vermiesen, wenn die geografische Lage passt.

Freuen, aber Pssssst!

Nirgends im HEV-Text vermerkt ist, wie man sich genau verhalten soll, wenn die eigene Mannschaft das tut, worauf jeder Fan hofft: vor Abermillionen live das Runde im Eckigen versenken. Als ungeschriebene Regel steht zwischen den Zeilen: Freuen darf man sich vielleicht schon, aber zeigen sollte man es lieber nicht zu sehr. Eine Fahne schwingen liegt drin, aber …

… «laute Musik, Gejohle, Gekreische, Motorengeheul und ständiges Hupen müsste jedoch an sich grundsätzlich nicht hingenommen werden.»

Fahnen beschäftigen den HEV generell sehr. So sehr, dass er ihnen gleich die ganze zweite Hälfte des Mails widmet. Zwar hält der HEV am Anfang fest, dass «das Aufhängen von Nationalfahnen während der Dauer der EM in aller Regel problemlos sein dürfte». Doch wer jetzt denkt: «Olé! Dann können wir jetzt endlich friedlich mit unseren Fahnen feiern!» – der hat sich verdribbelt. Auch hier kennt der HEV jedes mögliche Foul.

Denn (und es ist natürlich eine wichtige Dienstleistung des HEV, all seine Mitglieder gebührend darauf vorzubereiten, dass sie ihren Mieterinnen und Mietern Verbotsbriefe an die Türe kleben können):

«Mieter und Stockwerkeigentümer müssen sich (…) bewusst sein, dass die Aussenfläche einer Liegenschaft (Hausfassade, Balkonaussenbrüstung) im Gegensatz zum Innenbereich eines Balkons nicht zur Mietsache bzw. nicht zum Sonderrecht gehören und in diesem Bereich für den Aushang von Fahnen an sich eine Bewilligung des Vermieters/der Stockwerkeigentümergemeinschaft notwendig wäre.»

Schlusspfiff

O weh. Der HEV kann einem aber auch jeden Anlass vermiesen. Immerhin weist er darauf hin, dass es vielleicht empfehlenswert wäre, den Aushang von Nationalfahnen während der EM «zu tolerieren, sofern dadurch nicht der Sichtbereich der Mieter / Eigentümer der darunter liegenden Wohnungen beeinträchtigt wird». Wobei, wer weiss: Einer, der sich an EM-Fahnen am Haus gegenüber stört, hat vielleicht gerne einen Gratis-Vorhang vom Balkon der oberen Wohnung vor dem eigenen Balkon hängen. Jedenfalls während der EM. Aber nur während der EM, wirft der HEV ein:

«Es kann allerdings erwartet werden, dass die Fahnen nach Abschluss der EM wieder entfernt werden.»

Was auch erwartet werden könnte, jedenfalls in einer halbwegs normalen Umgebung: Ein friedliches Beisammensein beim Fussballspiel ohne sorgenvolle Anleitungen und Verbotsformulierungen, dafür mit viel Torjubel und der einen oder anderen Bierfahne. Mit Gesprächen statt gelben und roten Karten.

Gratulation: Mit dem EM-Regelwerk des Friedens hat der HEV das erste EM-Tor geschossen. Ein Eigentor. Überhaupt: Hausbesitzer, die ernsthaft ein EM-Balkon-Fahnen-Verbot auszusprechen gedenken, die stehen längst so weit im Abseits, dass ihnen kein einziger Mitspieler mehr den Ball zuspielen will.

_
«Auch das noch»: Die TagesWoche-Rubrik fürs Schöne, Schräge und Fiese. Immer mit einem 😉 zu verstehen.
 

Nächster Artikel