Das Gewehr, das aus dem Drucker kam

Die ersten «selbstgedruckten» Waffen rücken 3D-Printer in den Fokus der Medien. Doch die Technologie birgt viel mehr Zündstoff – vor allem für die Wirtschaft.

Software «Blender» runterladen, Gewehr-Dateien (nicht funktionstüchtig) herunterladen, ausdrucken. (Bild: zvg)

Nach sechs Schuss war Schluss: Das Sturmgewehr vom Typ Colt AR-15 brach auseinander. Das Echo der auf Youtube gezeigten Schiessübung einiger amerikanischer Bastler dagegen hallt seitdem durch Internet und ­Medien. Denn sie hatten wichtige Teile­ der Waffe mit einer Maschine her­gestellt, die sich alle Heimwerker unter dem Weihnachtsbaum wünschen: einen 3D-Drucker.
Jetzt wird diskutiert, ob diese Art der Multiplikation von Waffen verhindert werden kann. Dabei handelt es sich nur um die Spitze des Eisbergs. Die 3D-Printer-Technologie erweitert das Problem der Kopie auf Knopfdruck von Foto-, Film- und Musik­dateien auf Gegenstände.

Desktop-3D-Printer gleichen üblichen Bürodruckern. Allerdings «drucken» sie mit flüssigem Kunststoff statt mit Tinte. Und das nicht nur in zwei, sondern in drei Dimensionen: Der Druckkopf träufelt das flüssige Harz lagenweise und mikrometer­genau auf die vorherige Schicht. So wird ein räumliches Objekt querschnittweise aufgebaut, mit allen ­Details und Hohlräumen. Selbst komplexe mechanische geräte aus mehreren Teilen können in einem Durchgang gedruckt werden.

Der Deutsche Markus Kayser hat dieses Verfahren sogar in der Wüste und nur mit Sand und Sonnenenergie getestet: Er «druckt», indem er dünne Lagen Wüstensand mit gebündeltem Sonnenlicht zusammenbäckt.

Unter der Bezeichnung «Additive Fabrikatoren» sind ähn­liche Maschinen in der Industrie schon lange zur Herstellung von Prototypen im Einsatz. Solche 3D-Drucker können auch bereits Metall und Keramik verarbeiten. Sie sind gross, teuer und energiehungrig.

Aber das ändert sich rasch. Denn seit 2009 drei Ingenieure in New York namens MakerBot einen Desktop-3D-Drucker als Bausatz anboten, erfreuen sich die Maschinen wachsender Beliebtheit. Jetzt haben professionelle Hersteller den Markt entdeckt: Der «Cube» der US-Firma 3DSystems für knapp 1000 Franken war im Frühling die Sensation auf der Messe für Unterhaltungselektronik in Las Vegas.

Die Pioniere aus New York haben ebenfalls ein industriell gefertigtes Produkt auf den Markt gebracht, das mit dem einstigen Sperrholz-Bausatz nichts mehr gemein hat und für knapp 2000 Dollar zu haben ist. Bis Giganten wie HP mit Consumer-Geräten auf den Zug aufspringen, dürfte es nicht lange dauern.

Piraterie-Problem, 2. Akt

Denn den 3D-Printern steht ein Siegeszug bevor wie einst der Dampfmaschine, glaubt zumindest 3DSystems-CEO Abe Reichental. Er geht davon aus, dass der Markt von 500 Millionen Dollar auf 35 Milliarden in zehn Jahren explodieren und die neue Technologie für den Hausgebrauch Gesellschaft und Wirtschaft erschüttern wird. Neutralere Beobachter wie Innovationsforscher und Autor Steve Faktor geben ihm recht: «Der 3D-Druck wird eine Industrierevolution auf lokaler und persönlicher Ebene auslösen», sagt Faktor. Mit Auswirkungen, die mit jenen des Internets vergleichbar seien.

Zur Erinnerung: Unberührt vom juristischen Widerstand der Medien­industrie haben Jugendliche im Netz sofort angefangen, Dinge zu teilen – sprich zu kopieren: Musik, Filme, Bücher. Das hat ganze Industriezweige an den Rand des Abgrunds und andere – Apples iTunes, Buchhändler Amazon oder die Suchmaschine Google – an die Geldströme gebracht. Jetzt dürfte das Gleiche mit Gegenständen passieren: Wenn jeder sie erfassen, die Daten verschicken und ausdrucken kann, haben Produzenten ein Problem.

Vorboten des Heimgerätebooms sind gewiefte Dienstleister. Der US-Bürobedarf-Gigant Staples wird ab 2013 zunächst in Belgien und den Niederlanden Kunden via Internet ihre 3D-Objekte auf industrielle 3D-Drucker in den Filialen hochladen lassen. Stunden später können sie das fertige Objekt abholen oder es sich nach Hause schicken lassen.

Die dazu eingesetzten Geräte der Firma MCor drucken nicht mit Kunststoff, sondern verkleben handelsübliches Druckerpapier Blatt für Blatt, schneiden es den Objekt-Umrissen entlang aus und färben die Schnittkanten mit einem Tintenstrahl-Verfahren ein. Das erlaubt fotorealistische Resultate und soll Gegenstände aus der Festigkeit etwa von Holz ergeben.

Morgen kopieren wir Gegenstände wie heute Musik und Filme.

Der Revolution steht nur noch ein Hindernis im Weg: die Datenerfassung. Zwar findet sich in jedem Haushalt ein Dutzend defekter Kleinteile, die findige Heimwerker lieber nachdrucken statt als teures Ersatzteil besorgen würden. Aber die Druckobjekte müssen als dreidimensionale Computerdateien verfügbar sein. Mit kostenloser Software wie dem CAD-Programm «Blender» lassen sie sich wohl konstruieren. Aber die Bedienung solcher Programme ist Experten mit entsprechender Ausbildung vorbehalten.

Vorerst behelfen sich die Pioniere des Heimwerker-3D-Drucks mit den Tauschbörsen fixfertiger 3D-Objektdateien aus dem Internet. Allein das «Thingiverse» der MakerBot-Her­steller umfasst zigtausend kostenlose «Dinge», von der einfachen Spielfigur bis zu funktionierenden Uhrwerken und Modellen für Autogetriebe. Und eben: die Einzelteile für den Abzugsmechanismus eines Colt AR-15 Sturmgewehrs. In anderen Samm­lungen von 3D-Dateien sind ganze Waffen­arsenale zu finden – von detaillierten Geschützen über abenteuerliche Schwerter aus Fantasy-Spielen bis hin zu Faustfeuerwaffen in allen Details. Aber das sind noch grobe Kopien, die nicht funktionieren.

Bessere und viel mehr Dateien sind zu erwarten, wenn Verfahren zum Erfassen von Gegenständen verfügbar werden: Scanner, die nicht Dokumente in 2D, sondern in räumlichen Dimensionen erfassen und sogleich in CAD-Dateien für den Drucker umsetzen. Die kanadische Firma Creaform hat im Oktober dieses Jahres mit dem Hand-Scanner GoScan genau das vorgestellt. Der einzige Nachteil der Maschine von der ungefähren Form eines altertümlichen Telefon­hörers ist ihr Preis: Nach Auskunft der Marketingverantwortlichen Annicka Beckers wird es für 20 000 bis 25 000 Euro verkauft. Billig-Scansysteme für den Hobbygebrauch gibt es aber auch schon für 500 Dollar.

Kombi-Gerät als Objekt-Fax

Der Schritt, solche Vorrichtungen in die Desktop-3D-Drucker einzubauen, liegt so nahe, wie einen Tintenstrahldrucker mit einem Dokumenten­scanner und einem Faxmodul zu kombinieren. In wenigen Jahren können Gegenstände vielleicht bereits in einem Gerät gescannt, auf Knopfdruck kopiert und «gefaxt» werden. «Guten Morgen Mutti, weil dir unser Alessi-Designer-Besteck so gefallen hat, faxe ich dir hier ein Set.»

Den eingangs erwähnten amerikanischen Bastlern ist das «Recht auf Waffen» allerdings wichtiger als das Urheberrecht. Ihre Gruppe Defense Distribu­ted will mit einer Webplattform die Waffenherstellung zu Hause fördern. Ihr geleaster Profi-3D-Drucker wurde allerdings nach Bekanntgabe der Pläne vom Hersteller postwendend zurückbeordert: Mit Waffenproduktion wolle man nichts zu tun haben.

Quellen

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 14.12.12

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