«Es passiert wieder.» Mehr als dieser Tweet mit dem Hashtag #damngoodcoffee im Oktober 2014 war nicht nötig, um Fans des Kino-Düsterfürsten David Lynch in einen Koffein- und Kirschkuchenrausch zu versetzen: Die Rückkehr nach Twin Peaks, in die dunkelste Provinz unserer heimlichen Ängste und Sehnsüchte, sollte endlich wahr werden.
Lange genug hatte es mit der Fortsetzung der suchtgefährdenden TV-Serie ja gedauert. Im Frühjahr 1990 war der blaugraue Leichnam von Laura Palmer an einem Flussufer im nordwestlichsten Winkel der USA angespült worden, nackt und in Plastik gewickelt: Die globale Fernseh-Agglo erschauderte genüsslich.
In der Stagnation der beginnenden Neunzigerjahre schlug «Twin Peaks» mit seiner Mischung aus Gewalt, Sex und surrealem Slapstick ein wie eine Bombe. Die Serie bot das süsse Gegengift zur Langeweile, die das Ende des Kalten Krieges verbreitete, indem es die Selbstgefälligkeit der westlichen Welt von innen zersetzte: Wer braucht schon Russen, wenn die eigenen Gedanken rot sind – blutrot.
Der Verlust der Unschuld, der durch «Twin Peaks» spukte, war auch der Zweifel an der eigenen Redlichkeit. So hinterwäldlerisch und nostalgisch entrückt der Tatort scheinen mochte – der Mord an Laura Palmer hatte sozusagen im eigenen Hinterhof stattgefundne. Und die Fernsehwelt wollte wissen, wer dafür verantwortlich war.
Waghalsiger Cliffhanger
Dabei war das Verbrechen nur ein Trick, ein Handlungstreiber, der es Lynch erlaubte, ein Labyrinth von Figuren und Motiven zu spinnen. Nicht die Aufklärung des Falls stand im Vordergrund – Lynch wollte das Rätsel nach eigenem Bekunden nie lösen –, sondern das Erzeugen von Stimmungen: Staunen, Heiterkeit, Furcht.
Gemeinsam mit dem Fernsehproduzenten Mark Frost entwarf Lynch ein Ensemble von Charakteren, die in wechselnde Beziehungen zueinander traten: ein überforderter Sheriff, ein durchtriebener Hotelbesitzer, weltmüde Teenager; eine Frau, die mit einem Holzscheit spricht, tanzende Zwerge, gutmütige Riesen. Und mittendrin FBI-Agent Dale «Coop» Cooper (Kyle McLachlan), der sich seinen Weg durch den verworrenen Fall träumt.
So etwas hatte das Fernsehpublikum noch nicht erlebt, und Lynch stellte sicher, dass das Gesehene in den Köpfen seiner Zuschauer hängen blieb: Lange bevor es für Hollywood-Regisseure schick wurde, für Netflix oder Amazon Serien zu drehen, sorgte Lynch dafür, dass es der kleine Bildschirm mit der grossen Leinwand aufnehmen konnte.
Die Gratwanderung zwischen Überwältigung und Überforderung war dabei schmal, und mit den Traumquoten stieg der Druck auf die Produzenten: Zu Beginn der zweiten Staffel sahen sie sich genötigt, die Identität des Killers zu lüften. Geklärt war damit allerdings noch gar nichts.
In der Folge vernachlässigte Lynch seine Serie, deren Qualität merklich einbrach und die Geduld des Publikums mit UFOs, indianischem Schamanismus und anderen New-Age-Sperenzchen prüfte. Eine Brief-Kampagne verhinderte zwar, dass der Sender ABC die zweite Staffel vorzeitig abklemmte, doch nach 30 Folgen war 1991 Schluss: Trotz eines waghalsigen Cliffhangers (Cooper bleibt in einem bizarren Zwischenreich hängen) wurde die Serie auf Eis gelegt. Die Prophezeiung von Laura Palmers Phantom, man werde sich in 25 Jahren wiedersehen, schien nicht mehr als ein leeres Versprechen.
Verdammt guter Kaffee
Zwar legte Lynch mit «Twin Peaks – Fire Walk With Me» (1992) noch ein Kino-Prequel nach, das Laura Palmers letzte Tage vor dem Mord schilderte. In Cannes aber, wo der Regisseur zwei Jahre zuvor die Goldene Palme für «Wild at Heart» gewonnen hatte, wurde der Film ausgebuht. Der Zeitgeist hatte sich gewendet, der reale Schrecken des Golfkriegs und die Massaker in Jugoslawien fegten die Fiktion von der Mattscheibe.
Aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden ist die Serie allerdings nie, sie fand im Gegenteil immer wieder neue begeisterte Anhänger, die insgeheim hofften – und sich 2014 am Ziel ihrer Träume sahen: «Es passiert wieder.» Allerdings passierte zunächst etwas, womit niemand gerechnet hatte. Wegen eines zu knapp bemessenen Budgets vermeldete der Regisseur nur ein halbes Jahr später, dass er auf eine Fortsetzung verzichte. Ein empörter Aufschrei von Fans und Cast war die Folge, worauf der produzierende Sender einlenkte.
Jetzt kehrt Lynch nach 25 Jahren also tatsächlich nach Twin Peaks zurück und mit ihm Co-Autor Mark Frost, Komponist Angelo Badalamenti sowie eine überwältigende Mehrheit der früheren Darstellerinnen und Darsteller. Und weil sich die Welt im vergangenen Vierteljahrhundert weiter gedreht hat, sind auch zahlreiche neue Gesichter dabei.
Dazu zählen unter anderen Laura Dern («Inland Empire»), Naomi Watts («Mulholland Drive»), Monica Bellucci, Jim Belushi, Industrial-Rocker Trent Reznor sowie Grunge-Urgestein Eddi Vedder von Pearl Jam. Für ein Cameo von David Bowie, der 2016 an Krebs verstarb, hat es nicht mehr gereicht. Auch der Sheriff Harry S. Truman ist nicht mehr original besetzt
Alle anderen hingegen werden ab Sonntag für 18 neue Folgen in die Kleinstadt ziehen, sich vor dem dunklen Wald fürchten, verdammt guten Kaffee trinken und Kirschkuchen essen, der bekanntlich so amerikanisch ist wie Gewalt. Und sie werden versuchen, die offenen Fragen zu klären.
Nur: Wollen wir das wirklich?
«Was ich will und was ich brauche, sind zwei verschiedene Dinge», ist eine mögliche Antwort darauf. Sie stammt von Agent Cooper, und schöner könnte das auch ein David Lynch nicht sagen.