Das Milliardengeschäft mit den seltenen Krankheiten

Das neue Heilmittelgesetz gewährt der Pharmaindustrie langjährige Monopole in der Behandlung seltener Krankheiten. Die Änderung kommt nicht nur den Patienten zugute. Novartis und Roche sind Weltmarktführer auf dem Gebiet der Orphan Drugs – einem Geschäft, das astronomische Renditen verspricht.

«Personalisierte Medizin» wird als Geschäftsmodell immer wichtiger.

Das neue Heilmittelgesetz gewährt der Pharmaindustrie langjährige Monopole in der Behandlung seltener Krankheiten. Die Änderung kommt nicht nur den Patienten zugute. Novartis und Roche sind Weltmarktführer auf dem Gebiet der Orphan Drugs – einem Geschäft, das astronomische Renditen verspricht.

Die nächste grosse ethische Debatte erwartet der Basler FDP-Nationalrat Daniel Stolz mit Sorge: «Die Frage, wie viel ein menschliches Leben kosten darf, wird kommen.» Angestossen hat die Debatte 2010 das Bundesgericht, als es in einem Grundsatzurteil verfügte, dass ein gerettetes Lebensjahr in bestimmten Fällen nicht mehr als 100 000 Franken kosten darf. Einer damals 70-jährigen Patientin, die an der äussert seltenen Stoffwechselerkrankung Morbus Pompe litt, verweigerte das Gericht die weitere Vergütung des Arzneimittels Myozyme aus Kostengründen. Die jährliche Behandlung kostete 300’000 Franken.

Das Urteil wurde mittlerweile aufgeweicht, die Behandlung von Morbus Pompe wird von der Krankenkasse übernommen. Doch das gesellschaftliche Abwägen, wie viel eine einzelne Therapie das Gesundheitssystem kosten darf, wird weitergehen. Das revidierte Heilmittelgesetz wird die Debatte, so es dann verabschiedet ist, weiter anheizen. Es fördert die Entwicklung von meist sehr kostspieligen Wirkstoffen (Orphan Drugs) gegen seltene Krankheiten.

Sind von einer Krankheit in der Schweiz weniger als eine von 2000 Personen betroffen, wird sie als seltene Krankheit eingestuft, Heilmittel dagegen sollen künftig ­einen Sonderschutz geniessen. Während zehn Jahren darf gegen dasselbe Leiden kein weiteres Medikament auf den Markt kommen, ausser es ist nachweislich besser.

Kritisches Anreizsystem

Von bürgerlichen Politikern und der Pharmaindustrie wurde die Marktexklusivität verlangt, um Anreize für die Investition in Neuentwicklungen zu schaffen, von denen nur wenige Patienten profitieren. Bislang ist nur ein kleiner Teil der weltweit bekannten 7000 seltenen Krankheiten behandelbar. Das neue Gesetz entspricht mehr oder weniger ähnlichen Regelungen in der EU und in den USA, wo der Sonderschutz tatsächlich die Forschung angetrieben hat.

Doch der Erfolg ist teuer erkauft, weshalb auch der Bundesrat der Marktexklusivität kritisch gegenübersteht: Sie erlaubt den Herstellern, astronomische Preise für ihre Produkte zu verlangen – und sorgte so in den USA dafür, dass sich viele die Therapie nicht leisten konnten. Studien kritisieren das Anreizsystem deswegen.

Für die Pharmaindustrie ist die Entwicklung von Orphan Drugs dank dem Sonderschutz zu einem äusserst einträglichen Geschäft geworden. Eine aktuelle Marktstudie der Firma Evaluate Pharma zeigt, dass sich mit Orphan Drugs im Durchschnitt 1,7-mal mehr Geld verdienen lässt als mit normalen rezeptpflichtigen Medikamenten. Neben den hohen Preisen fallen günstigere Entwicklungskosten ins Gewicht, weil für die kostspieligen Phase-3-Studien bei seltenen Krankheiten nur ein Bruchteil der Patienten notwendig ist.

Branche im Goldrausch

Die Wachstumsprognosen sind stattlich: Der Umsatz mit Orphan Drugs wächst doppelt so schnell wie der Gesamtmarkt der verschreibungspflichtigen Medikamente. Die Branche hat ein Goldrausch erfasst, der durch die hiesige Gesetzesanpassung weiter angetrieben wird.

Gerade Roche wird von der Marktexklusivität profitieren, «personalisierte Medizin» heisst das Schlagwort, mit dem man am Konzernsitz an der Grenzacherstrasse neue Wege bestreiten will. Je enger eine Krankheit definiert wird, desto kleiner ist die Anzahl an Patienten, die dasselbe Krankheitsmuster teilen. Weshalb die künftigen Roche-Pillen gute Chancen haben, als Orphan Drugs in den Genuss regulatorischer Sonderbehandlung zu kommen.

Lange Jahre waren Orphan Drugs ein Nischengeschäft für kleine Biotechfirmen.

Bereits heute besetzen Roche und Novartis die globale Spitze in diesem Segment, auf sie fällt fast ein Viertel des Kuchens. Doch auch andere grosse Player drängen in den Markt. Lange Jahre waren Orphan Drugs ein Nischengeschäft für kleine Biotechfirmen. Das Risiko, die Forschungskosten mit der geringen Patientenanzahl wieder einzuspielen, galt als hoch.

Als diese die ersten Blockbuster erzeugten, begannen grössere Konkurrenten in den Bereich zu investieren. Roche profitierte vor allem über den Zukauf der US-Biotech-Firma Genentech. Die Kalifornier entwickelten das derzeit erfolgreichste Medikament mit Orphan-Drug-Status: das Krebsmittel Rituximab. Roche hat den Einsatz von Rituximab in regelmässigen Abständen auf weitere Leiden ausgedehnt, das Heilmittel ist mittlerweile ein Kassenschlager. Mit Rituximab, das die Ausbreitung bestimmter Krebsarten verlangsamt, spielt Roche jährlich 7 Milliarden Dollar ein.

Monopol zulasten der Patienten

Mit jeder neuen Anwendung von Rituximab verlängert sich die Profitdauer des Wirkstoffs. Denn dann greift die zweite Änderung im Heilmittelgesetz, welche die Pharmaindustrie im Nationalrat durchbrachte: der Unterlagenschutz. Dieser soll auf zehn Jahre ausgedehnt werden, gleichgültig wie sinnvoll eine weitere Anwendung eines Wirkstoffs ist. Während dieser Zeit darf kein günstigeres Generikum auf den Markt kommen. Eine Folge davon: Eine Pharmafirma kann einen geeigneten Wirkstoff gestaffelt auf den Markt bringen, ohne von Generika bedrängt zu werden. Kritiker nennen diese Vorgehensweise Salamitaktik oder auch Evergreening.

Die Zürcher Fachjuristin Mirjam Teitler kritisiert den ausgebauten Unterlagenschutz scharf. Teitler hat die Heilmittelgesetzrevision für interessierte Kreise ausgewertet. Sie hält den zehnjährigen Unterlagenschutz für nicht gerechtfertigt, da der Forschungsaufwand für neue Anwendungen bekannter Wirkstoffe vergleichsweise bescheiden sei: «Die Kosten für die Monopolrente geht allein zulasten der Patienten und der Krankenkassen, welche die Margen der Pharmakonzerne finanzieren.»

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