Das neue Verkehrsregime könnte eine Chance sein

Beim Basler Gewerbe geht die grosse Angst um wegen der autofreien Innenstadt: Die Fussgängerfreundlichkeit ist allerdings ein Qualitätsmerkmal des Shoppens. Wer die Entwicklungen in den Innenstädten der Schweiz anschaut, könnte sich freuen auf das neue Verkehrsregime.

Das geplante Verkehrskonzept: Tempolimite für die gesamte Innenstadt, Fussgängerzonen im Kern und für die Velos müssen über drei Routen durch die Stadt. (Bild: / Karte: Carla Secci)

Beim Basler Gewerbe geht die grosse Angst um wegen der autofreien Innenstadt: Die Fussgängerfreundlichkeit ist allerdings ein Qualitätsmerkmal des Shoppens. Wer die Entwicklungen in den Innenstädten der Schweiz anschaut, könnte sich freuen auf das neue Verkehrsregime.

Der Zeitpunkt rückt näher, da die Basler Innenstadt zur autofreien Zone wird. Ab dem 1. Januar heisst es für den motorisierten Verkehr: Hier kommst du nicht rein. Die Entwicklung macht einigen Geschäftstreibenden Sorgen. Kaum ein Tag ist in den vergangenen Monaten vergangen, an dem nicht Gewerbetreibende auf die Probleme aufmerksam gemacht haben. Sie fürchten nach dem Einkaufstourismus, den steigenden Mieten und dem allgemeinen Preisdruck im Detailhandel auch noch ein Fernbleiben von Kunden wegen des neuen Verkehrsregimes.

Dass sich Blumenläden und Handwerker über das neue Konzept beklagen, liegt nahe: Sie sind auf Anlieferungen und Abholungen in der Innenstadt während des gesamten Tages angewiesen. Erstaunlich hingegen ist, dass sich Ladenbetreiber vor dem neuen Konzept fürchten. Die wenigsten Geschäfte in der Innenstadt haben eigene Parkplätze, dank denen Kunden direkt vor den Laden fahren könnten. Wer einen Ring für die Verlobte beim Goldschmied holt, neue Schuhe sucht oder eine Winterjacke kaufen möchte, ist bereits jetzt gezwungen, das Auto ausserhalb der Einkaufsstrassen zu parkieren.

Der Spalenberg als Vorzeigestrasse für die Zukunft

Dem Umsatz muss autofreies Einkaufen keinen Abbruch tun, wie die Vorzeigestrasse für das Shoppen von Morgen zeigt: der Spalenberg. Er ist nicht nur der Traum des Geschäftsführers von Pro Innerstadt Basel, Matthias F. Böhm, sondern gilt auch als Prototyp, wie sich das Baudepartement die Innenstadt vorstellt: Die Trottoir-Erhöhungen sind weg, die Passanten haben die gesamte Fläche fürs Schlendern, Kopfsteinpflaster-Ränder machen das historische Ambiente aus und ein neues Beleuchtungskonzept sorgt dafür, dass der Spalenberg auch nachts im richtigen Licht erstrahlt.

Die beste Nachricht ist aber, dass der Umsatz bei den Läden am Spalenberg nicht eingebrochen ist, seit er autofrei ist. Die Baustelle während über zweieinhalb Jahren habe da mehr Mühe gemacht, sagt Aurel Schwarz von Schwarz Mode. Und auch der obere Teil der Gerbergasse, in dem ausser Handwerkerbussen kaum ein Auto fährt, gilt als Jackpot unter Geschäftsführern, sofern man sich die Mieten leisten kann.

Analog zum Spalenberg sollen die Strassen in der gesamten autofreien Zone nicht mehr von Trottoirs begrenzt werden, sondern eine Ebene bilden. In Zusammenarbeit mit den IWB gibt es ein neues Beleuchtungskonzept, welches die Gebäude und Gassen auch in der Nacht interessant und «erlebbar» machen solle (einen Vorher-nachher-Vergleich sehen Sie in der Slideshow). Überflüssige Verkehrsschilder sollen verschwinden, dafür sollen Grünpunkte entstehen.

Das Verschwinden der Trottoir-Absätze macht einen Boulevardbetrieb der Restaurants möglich, weil sie mehr Fläche zur Verfügung haben. Der Fokus liege aber nicht nur bei der Nutzung durch das Gewerbe, sagt Martina Münch, Abteilungsleiterin Gestaltung Stadtraum Verkehr, bei der Vorstellung des ersten Verkehrskonzeptes vor rund zwölf Monaten. Es sollen auch Flächen für die Anwohner entstehen. «Die Anwohner sollen den öffentlichen Raum in Beschlag nehmen – etwa für Quartierfeste.»

In Lörrach wirkte sich das Auto-Verbot positiv aus

Dass eine autofreie Innenstadt nicht unbedingt den Weltuntergang bedeutet, zeigt auch ein Blick über die Grenze nach Lörrach. Noch vor 25 Jahren war die Gemeinde von einer zweispurigen Einbahnstrasse zerschnitten, an bester Lage befand sich ein dauernd überfüllter Parkplatz, der historische Marktplatz war eine einzige grosse Kreuzung. Die Trottoirs waren gerade breit genug für einen Kinderwagen. Inzwischen ist der Platz von einer Reihe von Strassencafés gesäumt, die Fussgängerzone wurde eben erst wieder an zwei Stellen erweitert.

Seit die Fussgängerzone Ende der 1980er-Jahre eingerichtet wurde, hat sich die Stadt radikal verändert. Der Handel boomt, die Umsätze erklimmen immer wieder neue Rekordmarken, die Unternehmen investieren und erweitern. 80 Prozent der Arbeitsplätze in Lörrach fallen inzwischen auf den Dienstleistungsbereich. Es gibt in zentraler Lage kein einziges leer stehendes Geschäft, und wird ein Verkaufsraum frei, stehen die Interessenten Schlange.

Dieser Erfolg hat auch eine Kehrseite – steigende Mieten. Nun kann man sich auf die negativen Folgen beschränken und sagen: In Basel zeichnet sich dieser Trend bereits jetzt ab, auch ohne autofreie Zone. Folglich wird das neue Verkehrskonzept die Mieten nochmals steigern. Oder man geht davon aus, dass auch bisher weniger attraktive Orte plötzlich interessant für Läden und Geschäfte werden, gerade weil sie autofrei sind und aufgewertet werden.

86 Prozent der Einkäufe in der Innenstadt werden zu Fuss getätigt.

Die Credit Suisse hat 2012 die Innenstädte der sechs grössten Städte der Schweiz auf ihre Attraktivität fürs Einkaufen untersucht. Basel zeichnet sich bei allen Attraktivitätskriterien der Studie (auf der Rückseite des Artikels zu finden) durch Durchschnittlichkeit aus. Spannend sind im Hinblick auf das neue Verkehrsregime aber vor allem zwei Kriterien: «Fussgängerfreundlichkeit» und die «räumliche Erreichbarkeit». 

Das Kriterium der Fussgängerfreundlichkeit ist deshalb wichtig, weil 86 Prozent aller Einkäufe in der Innenstadt zu Fuss getätigt werden, wie die CS schreibt. Fussgängerzonen erhöhen die Attraktivität für die Fussgänger, die angesichts dieses Anteils das wichtigste Kundensegment sind. In Basel ist es gar so, dass gemäss der Studie mehr Leute mit Velo, Motorrad oder zu Fuss in die Stadt kommen (19 Prozent) als mit dem Auto (15 Prozent). Die überwiegende Mehrheit (66 Prozent) reist mit dem öffentlichen Verkehr zum Shoppen an.

Basel ist bereits sehr gut vom Verkehr erschlossen

Die CS kommt in der Studie zum Schluss, dass angesichts dieser Zahlen eine gute Erreichbarkeit mit dem öffentlichen Verkehr und ausreichend Parkplätze «zentral für die Attraktivität einer Innenstadt» sind. Während Basel bei der durchschnittlichen Distanz zur nächsten ÖV-Haltestelle noch im Mittelfeld steht (etwas weniger als 150 Meter sind es), ist die durchschnittliche Distanz zum nächsten Parkhaus mit knapp weniger als 250 Metern nur in Genf grösser.

Wenn Befürchtungen angebracht sind wegen des neuen Verkehrsregimes, dann höchstens, weil Basel im Vergleich mit den lateinischen und autoaffinen Städten wie Genf, Lausanne und Lugano über wenig Parkplätze verfügt. Verlässt man sich allerdings auf die Entwicklung, wie sie die CS für die Innenstäde zeichnet, ist dieser Nachteil bald Geschichte: «Der Anteil der Kunden, die mit dem öffentlichen Verkehr statt mit dem Auto in die Innenstadt gelangen, nimmt in allen Städten der Schweiz zu.»

Ein anderer Schluss aus der Studie ist in der Debatte um den Verkehr in der Innenstadt noch entscheidender. Die CS schreibt: «Selbst wenn sämtliche Innenstadtstrassen befahrbar und mit Parkplätzen versehen wären, könnten die Zentren nicht mit der automobilen Erreichbarkeit von Einkaufszentren mithalten.» Die Studienleiter raten deshalb, aus der vermeintlichen Schwäche eine Stärke zu machen. «Eine autobefreite Innenstadt schafft gerade jene einzigartige Ambiance, mit der sich eine Innenstadt gegenüber der Konkurrenz aus den Aussenquartieren und Einkaufszentren abgrenzen kann.» Basel scheint zumindest in dieser Entwicklung auf gutem Weg.

Lesen Sie mehr zum Lädelisterben und den Problemen der Geschäfte in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 20. Dezember, auf Papier oder in der App der TagesWoche.

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