Als die Fernsehnächte noch ein offizielles Ende hatten, hatte auch der Tag danach eine Chance.
Wem ist das noch nicht passiert? Man angelt sich spätabends durchs Fernsehprogramm, bleibt an etwas Interessantem hängen und verpasst es, am Ende abzuschalten oder weiter zu zappen.
Es folgen dümmliche Werbespots, man steckt sie weg, die schlecht moderierte Nachrichtensendung ebenso. Und schon stolpert man um ein Uhr nachts in einen dieser Filme. Könnte womöglich schon auch noch spannend sein. Und ist das nicht der, den ich schon seit einer Ewigkeit endlich einmal schauen wollte?
Irgendwo zwischen Halbschlaf und Nirwana gerät die Ausschalttaste nun komplett aus dem Bereich des Erreichbaren. Zu müde, um die Glotze auszuschalten, zu schlaff, um die Zähne zu putzen, aber doch wach genug für die schmerzende Gewissheit: Ei, was wird das morgen für ein miserabler Tag.
Vor dreissig Jahren wurde man vor solchen nächtlichen Unglücken programmgemäss verschont. Die Fernsehanstalten machten mitternachts zu, am Wochenende um zwei. Fertig Programm. Aus und Ende. Nur noch eine Kalibrierungstafel mit Senderkürzel. Obendrein ein penetranter Sinuston in Mono, der einen zum sofortigen Abschalten summte. Oder zum Umschalten, nur, um auf einem anderen Sender noch rasch die Landeshymne zu erwischen, bevor auch dieser Kanal in einem Testbild erstarrte.
Gewiss, die Nachteulen unter den Fernsehkonsumenten wussten sich schon damals ins Elend zu stürzen. Sie spulten sich mit Videokassetten durch die Nacht. In jedem Quartier gab es eine Videothek, wo man für eine Handvoll Fränkli ein paar Filme ausleihen konnte. Oder sie schauten Sendungen, die sie aufgenommen hatten, nicht selten inklusive Sendeschluss. Und so findet sich heute auf Youtube so manches Nachtprogramm vergangener Tage.
Mit dem Aufkommen des Privatfernsehens Mitte der Achtzigerjahre hatte aber auch der Sendeschluss langsam sein Ende erreicht. Das Nachtprogramm war geboren. Selbst die öffentlich-rechtlichen Sender experimentierten jetzt mit der Zeit bis zum Frühstücks-TV: Im Schweizer Farbfernsehen fliegt man endlos im Kampfjet über die Alpen oder kurvt als Lokführer kreuz und quer durch die Eidgenossenschaft. Im Bayerischen Rundfunk läuft die «Space Night», wo Weltraumaufnahmen aus Nasa- und ESA-Beständen zu elektronischer Musik dahinflimmern. Und auf einem anderen deutschen Sender darf sogar ein dummes Brot mit einer eigenen Sendung Nacht und Nerven töten.
Inzwischen steht längst wieder eine technische Revolution auf dem Programm. Das klassische Fernsehen ereilt das Schicksal der Quartiervideotheken Jeder schaut nur noch, was er will und wann er will. Die Konserven, mit welchen die Fernsehsender die Zeitlücken zwischen ihren Live-Sendungen füllten, sucht und findet der Zuschauer im sozialen Netzwerk seiner Wahl, auf Netflix und artverwandten Internetplattformen. Und somit dürfte bald wirklich Sendeschluss sein für die Sender. Eben, Senderschluss.