Das Windkraft-Fiasko auf dem Chall

Seit sieben Jahren ist der Windpark nahe von Röschenz in Planung. Ob und wann gebaut wird, ist völlig offen. Der Streit um Windräder auf dem Chall zeigt, was bei der Energiewende schiefläuft.

Die hoechstgelegene Windkraftanlage Europas auf dem Nufenenpass neben dem Griessee, aufgenommen am 5. Oktober 2012.. (KEYSTONE/BRANKO DE LANG)

(Bild: Keystone)

Seit sieben Jahren ist der Windpark nahe von Röschenz in Planung. Ob und wann gebaut wird, ist völlig offen. Der Streit um Windräder auf dem Chall zeigt, was bei der Energiewende schiefläuft.

Ob ich mir das wirklich antun möchte, hat Remo Oser mich gefragt. «Klar», habe ich gesagt und sollte es später bereuen.

Es ist ein Tag Ende April, auf dem Chall nahe Röschenz liegt Schnee. Hier will ich herausfinden, warum die Schweiz bei der Energiewende nicht mitzieht. Zumindest nicht bei der Windkraft, die den Wechsel zu sauberem Strom am sichtbarsten zeigt. 

Deutschland und China pumpen Milliarden in den Bau von Windanlagen. In den meisten europäischen Ländern boomt die Windenergie. Selbst Bulgarien und Rumänien investieren ein Vielfaches mehr in Windräder als die reiche Schweiz (mehr dazu hier). 

Erkenntnisse auf dem Challhöhenweg

Warum ist das so? Eine Antwort weiss der Gemeindepräsident von Röschenz, Remo Oser. Es liege an der Mitwirkung der Bevölkerung, sagt er, während er sein Hybrid-Auto auf die Hauptstrasse gen Chall steuert. «In Frankreich stellst du ein Windrad in zwei Jahren auf, in der Schweiz können die Bürger mitentscheiden. Das dauert seine Zeit, aber es ist bestimmt besser so.»

Der 47-Jährige ist nicht nur Gemeindepräsident. Er ist Energiewende-Enthusiast. Als Mitbegründer des Forums Erneuerbare Energien Laufental setzt er sich seit sieben Jahren dafür ein, dass auf der Anhöhe neben seinem Dorf Windräder gebaut werden. Als Gemeindepräsident sei es ihm wichtig, dass die Röschenzer Einwohner «sachlich fundiert über das Projekt abstimmen können».

Er und die Gemeinde profitieren vom Windpark nicht direkt. Die Burgerkorporation – der Zusammenschluss einiger Röschenzer Ureinwohner – besitzt das Land, auf dem eines Tages Windräder stehen sollen. Sie würde einen Pachtzins dafür erhalten.



Remo Oser auf dem Challhöhenweg.

Remo Oser auf dem Challhöhenweg. (Bild: Jeremias Schulthess)

Oser fährt von der Strasse ab und hält den Wagen auf einem Schotterweglein. Von hier aus stapfen wir zu Fuss durch den Schnee. Um uns gibt es nichts als Wald, ein paar geschlagene Bäume, Vogelgezwitscher.

Früher Atommüll, heute Windkraft

Der Widerstand war gross, als die Windkraftpläne 2010 bekannt wurden. Es ist nicht das erste Mal, dass sich die Röschenzer für ihren Chall einsetzen. In den 1980er-Jahren gab es bereits Widerstand – damals gegen ein Atommüll-Endlager.

Früher gegen Atommüll, heute gegen Windkraft – so will es die Ironie der Röschenzer Geschichte.

Das Gesicht der Windkraft-Gegner ist der 74-jährige Hobbypilot Marx Mamie. Als er erfuhr, dass der Basler Stromerzeuger IWB Windräder auf dem Chall bauen will, sei er dreimal in der Woche mit dem Velo hochgefahren und habe geschaut, ob da überhaupt Wind weht. Dann habe er gefunden: «Spinnen die eigentlich? Dort zieht es gar nicht!» 

Mamie gründete daraufhin den Verein «wind-still» und bekämpfte die Windräder – «bis aufs Blut», wie er einmal zur «Solothurner Zeitung» sagte.

Windmessung und absurde Beschwerden

Für seinen Verein fand er bald über 100 Mitglieder, die sich wo immer möglich gegen die Windräder engagierten. Zum Beispiel indem sie 23 gleichlautende Beschwerden  einreichten gegen eine Anlage, mit der die Windverhältnisse auf dem Chall gemessen werden sollten.

«Absurd», findet das Remo Oser. Eine Beschwerde sei aus Roggenburg bekommen, das zehn Kilometer Luftlinie vom Chall entfernt liegt. «Zuerst sagen die Gegner: Messt doch, es gibt sowieso keinen Wind! Und dann wollen sie verhindern, dass gemessen wird.»

Die Messanlage durfte trotz Beschwerden für ein Jahr auf dem Chall stehen. Die IWB sprachen danach von guten Windbedingungen auf dem Chall. Mamie wetterte trotzdem weiter. Oser fand, «wind-still» müsse jetzt seinen Namen ändern.

20 tote Vögel pro Jahr

Eines der gängigen Argumente gegen Windkraft lautet: Wo Windräder stehen, sterben Vögel – etwa 20 pro Turbine und Jahr, das ergab eine Studie des Bundes, die kürzlich erschien.

Oser sagt, man müsse die Relationen sehen: «Jede durchschnittlich trainierte Hauskatze vertilgt etwa so viele Vögel wie eine Windturbine!» Wer die Vogelwelt schützen wolle, der müsse sich für Wind- und Solarenergie einsetzen, weil fossile Brennstoffe einen Grossteil der Vogelarten bedrohe.

Für Mamie ist der Vogelschlag nicht der zentrale Kritikpunkt. Er meint, die Turbinen würden Vibrationen erzeugen, die Mensch und Tier schaden würden. Es gebe Kühe, die aufgrund dieses Infraschalls weniger Milch gäben. Und Menschen, die davon Depressionen kriegten.

Verunsichern und verhindern

In Internetforen wie windwahn.de wimmelt es von solchen Theorien. Wissenschaftlich belegt ist keine davon. Bei den Leuten, die wenig über Windräder wissen, würden die Theorien aber verfangen, sagt Oser. «Die Strategie der Gegner ist es, die Leute zu verunsichern und diffuse Ängste zu schüren.»

Das Thema Windkraft weckt Emotionen. Dabei sind die Windräder, dort wo sie bereits stehen, gar kein Problem. Im Gegenteil: Die Anwohner von Windparks sind eher dafür, die Windenergie auszubauen. Das ergab eine Befragung der Universität St. Gallen.

Eine weitere Studie aus dem Jahr 2013 besagt, dass Anwohner, die im Umkreis von fünf Kilometern zu einer Windanlage wohnen, kaum Einwände gegen diese haben. Annähernd 80 Prozent der Befragten äusserten sich positiv zu den Windrädern.



Der Weg ist mit Schnee bedeckt.

Der Weg zum Chall ist mit Schnee bedeckt. (Bild: Jeremias Schulthess)

Wohl meldeten 4,5 Prozent der Befragten Stresssymptome oder Schlafprobleme. Das sei meist auf «mehrere ungünstige Faktoren» wie Lärm- oder Lichtempfindlichkeiten zurückzuführen, urteilen die Studien-Autoren.

Laut der Studie setzen sich die Windkraftgegner, die eine Minderheit sind, häufiger politisch ein als die Befürworter.

Ämter-Wirrwarr

Wer verstehen will, warum ein Ende der Planung am Chall nach sieben Jahren noch nicht in Sicht ist, muss sich auch über die Ämter ein Bild machen, die das Projekt betreuen.

Weil der Chall auf der Kantonsgrenze zwischen Baselland und Solothurn liegt, sind zwei Kantone involviert. Dazu kommen drei Gemeinden, die einzeln darüber befinden müssen, sowie der Bund.

Beim Kanton Baselland ist das Projekt bereits durch. Der Kanton hat seinen Richtplan 2015 angepasst, so dass auf dem Chall gebaut werden kann. Die Genehmigung des Kantons Solothurn steht noch aus. 2011, just nachdem das IWB-Projekt spruchreif war, hat der Kanton seinen Richtplan angepasst.

Doppelspurigkeiten bei Prüfung

Mit der Energiestrategie 2050, über die am 21. Mai abgestimmt wird, sollen die Bewilligungsverfahren bei den Kantonen beschleunigt werden. Erneuerbaren Energien soll ein nationales Interesse zukommen. Windkraftgegner hätten damit schlechtere Karten, wenn ein Gericht über eine Beschwerde urteilt. Ausserdem soll der Förderfonds für erneuerbare Energien (KEV) erhöht werden. Damit können in Zukunft mehr Windräder gebaut werden. Um die Ziele der Energiestrategie zu erreichen, müssten in der Schweiz etwa 1000 Windräder gebaut werden.

Man würde den Richtplan nicht alle paar Jahre anpassen, heisst es in Solothurn auf Anfrage. Man sei im Moment jedoch daran, zu prüfen, ob die Windräder auf dem Chall gebaut werden könnten.

Die Kantonsangestellten klären ab, ob im Wald gerodet werden darf und was das Bundesamt für Zivilluftfahrt zu allfälligen Windrädern sagt – alles, was der Kanton Baselland für den Standort bereits prüfte, passiert nun in Solothurn mehrere Jahre später.

Möglich, dass Solothurn noch dieses Jahr grünes Licht gibt, möglich auch, dass sich das Verfahren noch Jahre hinzieht – keiner weiss das so genau.

Erst der Anfang

Und die Richtplananpassung ist nur der Anfang. Danach muss eine umfangreiche Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden und die Gemeinden müssen noch ihren Zonenplan anpassen. Die Röschenzer stimmen dann darüber ab, ob sie das Gebiet für Windenergie freigeben wollen oder nicht. Danach erst können die IWB ein Baugesuch einreichen, das wiederum den Verein wind-still wieder auf den Plan rufen dürfte.

Offen ist auch, ob die IWB in zwei, drei oder vier Jahren immer noch am Chall interessiert sind. Mediensprecher Erik Rummer äussert sich dazu nicht konkret. Man sei «zuversichtlich, dass die raumplanerischen Voraussetzungen im Kanton Solothurn geschaffen werden», schreibt er.

Glaube nicht verloren

Nach einer halben Stunde bin ich mit Remo Oser am Ort angelangt, wo der Windpark dereinst stehen könnte. Die Schuhe sind nass, zu sehen gibt es nichts. «Man kann noch nicht sagen, wo die einzelnen Windräder zu stehen kommen.»

Auf dem Rückweg erklärt Oser: «Es ist einfach so: Je länger man an einem Projekt plant, desto mehr Zeit hat man, das Projekt zu kritisieren.» Oser glaubt fest daran, dass die Windräder noch gebaut werden. Darum tut er sich den mühsamen Kampf für die Windenergie an.

Nächster Artikel