Der Strommarkt ist gescheitert. Die Korrekturen der Politik führ(t)en in ein Regulierungswirrwarr. Der Nationalrat blieb jetzt darin stecken.
Der europäische Markt begünstigt die Produktion von billigem Strom aus unrentablen Atom- und klimaschädlichen Kohlekraftwerken. Dies, weil er die Umwelt- und Risikokosten ausklammert. Die Politik in der EU und in der Schweiz hingegen strebt eine sparsame Stromversorgung mit möglichst hohem Anteil aus erneuerbarer Energie an.
Um diesen Konflikt zwischen Markt und Politik zu glätten, regulieren Regierungen und Parlamente den Strommarkt. Sie korrigieren die Fehlentwicklungen mit ständig neuen Regulierungen und Subventionen.
Was daraus entstanden ist, ist ein bürokratisches Monster. Die vermeintlichen Vorteile der partiellen Marktöffnung hat dieses ins Gegenteil verkehrt. Kaum jemand ist heute noch in der Lage, das komplizierte Regelwerk zu durchschauen, geschweige denn seine Folgen. Das verdeutlichte die Debatte im Nationalrat zum «Gesetz über den Um- und Ausbau der Stromnetze» vom Dienstag, die sich vorwiegend um das sachfremde Thema «Stützung der Wasserkraft» drehte.
Die Ursache für die beschriebene Fehlentwicklung aber liegt weiter zurück.
Hier Monopol, dort Markt, da Teilmarkt
Bis zum Jahr 2000 war alles einfach. Stromfirmen mit fixen Gebietsmonopolen versorgten die darin ansässige Kundschaft konkurrenzlos mit Strom. Sie kassierten dafür Tarife, die ihre Kosten voll deckten. Ebenfalls überschaubar war die Energiepolitik: Linke und Grüne forderten griffige Stromsparmassnahmen und kämpften gegen Atomkraftwerke sowie gegen Rabatte für Stromverschwendung. Rechte malten Stromlücken an die Wand und forderten mehr Produktion, bevorzugt mit Atomkraft.
Einen Markt gab es schon früher, aber nur unter grossen Stromproduzenten und Stromhändlern. Ab der Jahrtausendwende öffneten die EU-Staaten – später die Schweiz – diesen geschlossenen Strommarkt schrittweise für Verteilwerke und Endverbraucher. Dies unter dem Druck der Industrie, die vom Markt tiefere Stromkosten erwartete, und unter dem Druck von Liberalisierungs-Ideologen.
Auch einige Linke und Grüne unterstützten die Öffnung des Marktes. Sie glaubten, damit die Macht der Strommonopolisten und AKW-Besitzer brechen zu können.
Der ans Netz gebundene Stromtransport blieb jedoch als natürliches Monopol bestehen. In der Schweiz gab es zusätzlich eine Trennung zwischen grossen Endverbrauchern, die ab 2009 Zutritt zum Markt bekamen, und Kleinkonsumenten (Haushalte und Firmen mit weniger als 100’000 kWh Jahresverbrauch), die im Gebietsmonopol gefangen blieben und bis heute keinen andern Lieferanten wählen können.
Weil der Markt nicht hält, was man sich von ihm versprach, muss er reguliert und ständig re-reguliert werden.
Schon die Aufteilung zwischen Monopol und Markt erforderte viel Regulierung und Kontrollmechanismen. Zusätzliche Regulierung verlangte die Energiepolitik. Denn diese bezweckte, die Marktverzerrungen zwischen umweltbelastender und umweltschonender Stromproduktion auszugleichen. Nämlich indem sie die Stromproduktion aus erneuerbarer Energie förderte – wie sie dies auch mit der neuen Energiestrategie noch verstärkt tun wird.
Ab 2009 senkte die Finanz- und Wirtschaftskrise in Europa die Nachfrage nach Strom. Gleichzeitig nahm das Angebot weiter zu, begünstigt durch die Subvention von Kohle, Solar- und Windkraft sowie tiefe variable Kosten von Atomkraftwerken. Dieses Überangebot drückte die Marktpreise für Strom in den Keller.
Damit wurden viele – aber längst nicht alle – Kraftwerke unrentabel. Das förderte neue Regulierungen und Subventionen, in der Schweiz Investitionsbeiträge und Marktprämien, die neu auch die Wasserkraft subventionieren.
Fazit: Weil der Markt nicht hält, was man sich von ihm versprach, muss er reguliert und ständig re-reguliert werden.
Politik verirrt sich im Labyrinth
Die Konflikte zwischen energiepolitischen Zielen und versagendem Markt erschweren den politischen Durchblick. Davon zeugt etwa die umfangreiche und komplizierte Vorlage zur Energiestrategie, die das Volk am 21. Mai nach sechsjährigen Debatten befürwortete (Kommentar zum Thema vom Autor).
Den mangelnden Durchblick bestätigte aber auch die schwer verständliche Debatte diese Woche im Nationalrat über Stromnetze und Wasserkraft-Subventionen. Selbst sprachgewaltige Frauen wie Doris Leuthard und Jacqueline Badran kamen ins Stottern. Den Zuhörern, die sich nicht schon längst aus der Debatte ausgeklinkt hatten, flatterten die Ohren.
Inhaltlich ging es um die Frage, ob die im Monopol gefangenen Kleinverbraucher die unbekannten Kosten der (angeblich unrentablen) Wasserkraftwerke allein übernehmen sollen, auf die Gefahr hin, dass sie damit Atomkraftwerke quersubventionieren. Diesen Antrag hatte die Mehrheit der Energiekommission gestellt, um einen noch dümmeren Beschluss zu korrigieren, den zuvor der Ständerat gefällt hatte.
Der Trost: Die Schweiz ist mit viel hydrologischen Leistungsreserven ausgerüstetet, das Risiko eines Stromcrashs ist deshalb kleiner als im übrigen Europa.
Nachdem Bundesrätin Doris Leuthard diesen Antrag vehement bekämpft hatte, weil sie selber nicht weiss und wissen darf, wie hoch die wahren Kosten der Wasserkraftwerke sind, schickte die Mehrheit des Nationalrats diesen Antrag am Dienstag richtigerweise an die Energiekommission zurück – mit dem Auftrag, die Sache neu zu prüfen.
Damit hat der Nationalrat einen Schritt vermieden, der die Regulierung noch tiefer ins Regulierungs-Labyrinth hinein geführt hätte. Doch der Aufschub bringt noch keinen Ausweg aus dem Labyrinth. Beim Versuch, den nicht funktionierenden Strommarkt mit den Zielen einer umweltverträglicheren Stromversorgung zu vereinbaren, droht der politische Crash.
Trost bleibt: Die Elektrizität fliesst nicht nach den Regeln der Politik, sondern nach den Gesetzen der Physik. Darum ist in der gut vernetzten und mit viel hydrologischen Leistungsreserven ausgerüsteten Schweiz das Risiko eines Stromcrashs kleiner als im übrigen Europa.
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