Dem Strand geht der Sand aus

Von Mexiko bis Australien gehen überall auf der Welt die Strände zurück. Die Ursachen sind menschengemacht. Sand wird zu einem kostbaren Gut.

A woman sits on a heavily eroded beach in the resort city of Cancun, Mexico, Tuesday, July 21, 2009. The Mexican government announced they will resume maintenance and bring more sand to the beaches of Cancun, Cozumel and Playa del Carmen which have been affected by erosion caused by hurricanes and tropical storms in the past years. (AP Photo/Israel Leal)

(Bild: Keystone/Israel Leal)

Von Mexiko bis Australien gehen überall auf der Welt die Strände zurück. Die Ursachen sind menschengemacht. Sand wird zu einem kostbaren Gut.

Weisser Sand, türkisblaues Meer, Palmen – die Strände von Cancún in Mexiko gehören zu einem der beliebtesten Urlaubsorte. Die Beach-Resorts locken jährlich drei Millionen Touristen an. Doch die Schönheit ist vergänglich. Jahr für Jahr schrumpft der Strand, die Existenzgrundlage des Tourismus.

Bis in die 1970er-Jahre war Cancún noch ein verschlafenes Fischerdorf. Dann kamen die Touristen und mit ihnen die Hotels und Nachtklubs. Investoren bauten immer grössere Bettenburgen und nahmen dabei keine Rücksicht auf die Natur. Der Massentourismus hat das Landschaftsbild dramatisch verändert. Laut Greenpeace hat Mexiko bereits 65 Prozent seiner Mangroven verloren.

Das könnte sich nun rächen. Mangroven bieten einen natürlichen Schutz gegen Küstenerosion und Hurrikane. Mit jedem Wirbelsturm wird mehr Strand abgetragen – das Meer holt sich seinen Lebensraum zurück. 

Zahn der Zeit

Cancún ist kein Einzelfall. Auf der ganzen Welt verschwinden Strände – von Florida bis Australien. Erst im Juni spülte ein Sturm mit hohen Wellen am Collaroy Beach nahe Sydney 50 Meter Strand weg. Strandvillen fielen wie Kartenhäuser in sich zusammen, das Meer schwemmte ganze Garagen und Pools weg. Bilder zeigen das ganze Ausmass der Katastrophe.

Der weisse Sandstrand von Hellshire Beach auf Jamaika ist in den letzten sieben Jahren wie von Geisterhand komplett verschluckt worden. Wo 2009 noch Strandverkäufer kühle Getränke und Kokosnüsse feilboten, waten Strandurlauber nun im knietiefen Wasser oder hangeln sich an den Stufen von Strandcafés entlang, die den letzten Halt bieten.

Der Zahn der Zeit nagt an den Stränden. Für die Tourismusgebiete ist die Stranderosion eine wirtschaftliche Katastrophe. Experten sehen die Ursachen vor allem im Ansteigen des Meeresspiegels und dem Wegfall natürlicher Barrieren wie Sandbänken oder Felsvorsprüngen, die beim Bau von Luxusvillen oder Hotels weichen müssen.

Endliche Ressource

Sand entsteht durch die Erosion und Verwitterung von Gesteinsmaterial in Gebirgen, das über Flüsse transportiert und zu Körnern zerkleinert wird und sich als Sediment am Ende auf dem Boden der Ozeane ablagert. Doch der Mensch greift immer stärker in diesen natürlichen Sedimenttransport ein: durch Staudämme, Flussbegradigungen und Betonmauern, die als Schutzwälle vor Küsten gebaut werden. Gut die Hälfte des Sandnachschubs, der in Flüssen mitgeführt wird, kommt gar nicht im Meer an.

Die Behörden stemmen sich mit aller Macht gegen den Erosionsprozess. In einem aufwendigen Verfahren, der sogenannten «Sandvorspülung», wird Sand mit Schiffen aus dem Meeresboden gegraben und zurück an die Küste gepumpt. Allein auf der Nordseeinsel Sylt, wo die Wellen Jahr für Jahr eine Million Kubikmeter Sand abtragen, kostet dies rund sechs Millionen Euro im Jahr, bei Sturmfluten auch mal mehr. Es gleicht einer Sisyphusarbeit. 

Der Wissenschaftler Andrew S. Coburn von der Western Carolina University, der die Küstenerosion seit Jahren erforscht, sagt: «Man kann gegen das Verschwinden der Strände nicht viel tun. Die am häufigsten angewandte Strategie ist die der Sandvorspülung oder die Stabilisierung der Küste durch Mauern und Wälle.» Sand von Baggerschiffen in den Kreislauf zu pumpen, sei jedoch «keine nachhaltige Strategie».



epa05349203 Damaged beach front homes along Pittwater Road sustained further damage overnight following the king tide and large waves at Collaroy on the northern beaches in Sydney, New South Wales (NSW) Australia, 07 June 2016. The mop up continues across NSW after powerful storms smashed the state's coast, leaving three men dead and many homes significantly damaged. EPA/DEAN LEWINS AUSTRALIA AND NEW ZEALAND OUT

Im Juni spülte ein Sturm am Collaroy Beach nahe Sydney 50 Meter Strand weg. (Bild: Keystone/DEAN LEWINS)

Doch nicht nur die Natur ist am Werk – auch der Mensch trägt seinen Teil zur Küstenerosion bei. Auf der Sandinsel North Stradbroke Island an der australischen Ostküste werden jährlich 50 Millionen Tonnen Sand abgebaut. Die Abbaustätte sieht aus wie ein gigantischer Krater, vergleichbar mit einer Braunkohlestätte. Schaufelbagger graben sich bis zu hundert Meter tief durch die Küste.

Eigentlich sollte man meinen, dass Sand eine endlose Ressource sei. Wenn es etwas wie «Sand am Meer» gibt, bedeutet das sprichwörtlich, dass etwas im Überfluss vorhanden ist. Doch der Sand ist knapp und zu einem begehrten Rohstoff geworden. Sand ist ein unverzichtbarer Bestandteil für Beton, Glas, Computerchips, Zahnpasta und Kosmetika. In jedem iPad und Smartphone steckt Sand drin. Für ein Haus benötigt man zwischen 100 und 200 Tonnen Sand, für einen Kilometer Autobahn sogar bis zu 30’000 Tonnen. Der weltweite Bauboom hat die Nachfrage nach Sand in die Höhe getrieben. 

Das Wüstenemirat Dubai, das für die künstlichen Inselwelten «The Palm Jebel Ali» vor seiner Küste 450 Millionen Tonnen Sand aufschütten liess, importiert tonnenweise Sand aus Australien. Zwar gibt es in Dubai Sand en masse, doch der Wüstensand würde rasch verwehen. Hinzu kommt, dass die Körnung des Wüstensands für Stahlbeton, den die Scheichs für ihre megalomanen Hochhausprojekte benötigen, zu gering ist. Also muss das Emirat Sand aus dem 12’000 Kilometer entfernten Australien verschiffen. Ein globaler Irrsinn. 

Raubbau an der Natur

Die weltweit wachsende Nachfrage für Bausand hat längst auch Kriminelle auf den Plan gerufen. Auf der ganzen Welt blüht der illegale Sandabbau. An der Nordküste von Marokko tragen Arbeiter mit Schaufelbaggern und Lastwägen Sand ab und verkaufen ihn für läppische zwei Dollar pro Tonne an Baufirmen. Die Strukturen kontrolliert die «Sandmafia».

Einst ein unberührtes Naturidyll, sind die Strände um die marokkanische Küstenstadt Larache inzwischen zu einer hässlichen Baugrube verkommen. Damit schaufeln sich die Arbeiter ihr eigenes Grab, wenn die Strände in Marokko, das vom Tourismus abhängig ist, mehr und mehr zurückgehen.

Die Mineure betreiben Raubbau an der Natur. Doch die schlägt irgendwann zurück.

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