Vor 1200 Jahren starb der König der Franken. Eine Frage beschäftigt bis heute: mit oder ohne.
In der «Zeitmaschine» zum Allegro-Rasierklingenschleifapparat habe ich etwas vorschnell den am 25. Dezember 800 als Kaiser gekrönten Karl den Grossen zum Bartträger gemacht. Nachdem ich mich in der Zwischenzeit eingehender mit Kinn und Wangen des Kaisers befasst habe, muss ich zur Kenntnisnehmen: das war offensichtlich falsch.
Zwar gibt es zahlreiche Bilder Karls des Grossen, die ihn mit Bart zeigen. Zu ihnen gehört auch ein Gemälde Albrecht Dürers aus dem Jahre 1513, das mich auf die falsche Spur brachte. Da dieses Bild lange nach Karls Tod gemalt wurde, hätte mir eigentlich klar sein müssen, dass es sich dabei nicht um ein realistisches Porträt des Kaisers handeln kann. Allerdings stellen auch Bildnisse, die viel älter sind als Dürrers Gemälde, Karl den Grossen mit Bart dar.
Anders ein Porträt, das zu Lebzeiten des Herrschers entstanden ist: Münzen mit seinem Konterfei zeigen ihn ohne Bart. Bartlos hatte auch sein Gefolge zu sein; die Beneventer Langobarden, die ihn um eine Gunst baten, wies er an, sich das Kinn zu rasieren.
Münzen Karls des Grossen zeigen den Kaiser ohne Bart. (Bild: Commons)
Spätere Herrscher nahmen punkto Bart unterschiedliche Haltungen ein. Otto I. (912–973) soll gemäss dem sächsischen Chronisten und Mönch Widukind von Corvey als erster Kaiser «einen reichlich niederwallenden Bart» getragen haben, «und dies gegen jede überlieferte Sitte». Otto III. (980–1002) regierte römisch-bartlos und unterstrich damit seinen Anspruch, in der Tradition des Römischen Reiches zu stehen.
Bart oder Rasur?
Nicht nur Königen und Kaisern stellte sich diese Frage. Auch Priester und Mönche sahen sich mit ihr konfrontiert. Wie in anderen Glaubensdingen fiel auch in der Bartfrage das Credo unterschiedlich aus. «Während der Klerus des Ostens», so Frank Gnegel in seiner «Geschichte der Selbstrasur», «nach vorchristlicher orientalischer Tradition stets einen Bart trug, waren die abendländischen Priester seit der Spätantike nach dem Vorbild der freien Römer bartlos.» Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass Mönche und Priester es als Grenzüberschreitung und als sittenwidrig empfanden, wenn sich Laien ebenfalls rasierten.
Dies wird etwa im Lamento des burgundischen Mönchs und Historikers Raoul Glaber (der «Kahle») im 11. Jahrhundert überdeutlich: «Als König Robert ums Jahr 1000 Königin Konstanze aus Aquitanien zur Frau nahm, wurden Frankreich und Burgund überflutet von Männern aus der Auvergne und aus Aquitanien, die im Gefolge der Prinzessin gekommen waren. Diese waren voller Leichtfertigkeit und Eitelkeit. Ihre Gewohnheiten waren ebenso hässlich wie ihre Kleider. An ihren Waffen und am Zaumzeug ihrer Reittiere stellten sie einen zügellosen Luxus zur Schau. Die Haare in Ohrhöhe abgeschnitten, den Bart rasiert wie Gaukler und mit unanständigen Schuhen und Beinkleidern bekleidet, waren sie bar allen guten Glaubens und respektierten den Frieden nicht. Ach Schmerz! Alle Franzosen und Burgunder, einst die edelsten Völker, bemächtigten sich gierig ihres schändlichen Beispiels und werden ihnen bald ganz ähnlich sein hinsichtlich Ehrlosigkeit und Schändlichkeit.»
Bald schon folgten auch deutsche Adlige dem französischen Beispiel und griffen zum Rasiermesser. Im Jahre 1043 klagte Abt Siegfried von Gorze einem Kollegen: «Was uns am meisten bedrückt und worüber wir nicht schweigen dürfen, ist, dass die Ehre des Reiches (…) vernachlässigt wird und die schändliche Mode französischer Albernheit eingeführt wird, nämlich das Scheren der Bärte, die überaus anstössige, schamhafte Blicke verletzende Kürze und Hässlichkeit der Kleider und viele andere Neuerungen.»
Bart-Renaissance im 19. Jahrhundert
Abt Siegfried hätte sich nicht derart grämen müssen. Wie bei anderen Modeerscheinungen lässt sich auch im Umgang mit dem Barthaar ein steter Wandel beobachten. 800 Jahre später standen in Deutschland die Bärte einmal mehr hoch im Kurs. Ihr wildes Wuchern wurde von Seiten des Obrigkeitsstaates allerdings ungern gesehen. So wurde beispielsweise 1846 für preussische Referendare und Postbeamte ein Bartverbot erlassen.
Mit staatlicher Regulierung war dem Bart allerdings nicht beizukommen. «Während es sonst zur guten Sitte gehörte», so das Fazit einer Publikation von 1875, «dass ein Deutscher, welcher nicht Militär war, und eben seiner civilisirten Sitten wegen, sich Civilist nannte, sauber rasirt in gesellschaftlichen Verkehr, namentlich mit Damen trat, ist es jetzt, durch die Errungenschaften des Jahres 1848 und die Erhebung des Bartes zum Attribut eines Volksfreundes und Freiheitsmannes, ein allgemeiner Brauch geworden, den Bart ganz, oder grösstentheils, oder als Mundbart wachsen zu lassen, wozu die Bequemlichkeit weit mehr als die Kosmetik mithalf.»
Das letzte Wort in Sachen Bart war damit allerdings noch lange nicht gesprochen. Mit der Erfindung von billigen Wegwerf-Rasierklingen und elektrischen Rasierapparaten gewann das Rasieren erneut an Attraktivität und Beliebtheit. Und in welche Richtung sich der derzeit modische Dreitagebart künftig entwickelt, bleibt abzuwarten.
Zu den vielen barttragenden Freiheitsmännern des 19. Jahrhunderts gehörte auch Georg Herwegh, an den ein Denkmal in Liestal erinnert. Foto: Martin Stohler (Bild: Martin Stohler)