Seine schonungslosen Rollenspiele haben ihn zum Helden einer neuen Britcom-Generation gemacht. Doch nach seinen Erfolgen als Ali G und Borat gehen Sacha Baron Cohen die Ideen aus. Er gibt sich mit dumpfem Fäkalhumor zufrieden. Sein neuer Film «Grimsby» markiert den vorläufigen Tiefpunkt.
Waren Sie am Wochenende im Kino, um sich «Grimsby», die neue Komödie des britischen Verkleidungsspezialisten Sacha Baron Cohen, anzuschauen? Nein? Nichts verpasst. Denn der Brite suhlt sich darin primär im fäkalen Humorbereich und watet mit seinen Witzen knietief in der … nun, Sie ahnen schon, worin. Schade.
Seine Figur, ein fussballverrückter Proll mit Liam-Gallagher-Frisur, ist vordergründig durchaus witzig anzusehen. Und Unterschichtenhumor könnte ja auch lustig sein, als Parodie auf die Arbeiterklasse, die in englischen Komödien ansonsten oft warmherzig gespiegelt wird («The Full Monty»).
Humor, so feinfühlig wie ein Elefantentritt
Doch Baron Cohen packt in «Grimsby» den Schwengel Vorschlaghammer aus und haut tiefer rein, als mancher volltrunkene britische Tourist in der Partyzone von Mallorca: «Grimsby» ist eine spritzige Komödie mit hohem Igitt-Faktor, eine vernachlässigbare Mischung aus Agentenfilm, Rührstück und Dumpfbackenhumor: Zwei höchst unterschiedliche Brüder, die als Waisenkinder getrennt wurden, finden wieder zueinander und retten gemeinsam die Welt.
Der Film ist dermassen hanebüchen, dass am Ende eine in einem Elefanten-Uterus spielende Szene kleben und die Erkenntnis haften bleibt, dass Sacha Baron Cohen zwar einmal mehr provoziert und Tabus bricht. Aber noch stärker als seine dümmliche Hauptfigur Nobby Butcher scheint auch er selber in der Entwicklung blockiert zu sein.
Ein cleverer Bursche verspielt sein Talent
Das ist eine Tragödie, denn Cohen hätte so viel mehr auf dem Kasten: Er studierte in Cambridge Geschichte und untersuchte dabei die Schwierigkeiten, mit denen ethnische Minderheiten in der Gesellschaft konfrontiert werden. Seine Dissertation drehte sich um die Koalition von Schwarzen und Juden in der Bürgerrechtsbewegung.
Ein kluger Kopf also, der zu Beginn seiner Komiker-Karriere mit Provokationen zum Denken anregen wollte. Der Durchbruch gelang ihm 1999, als er, damals 28-jährig, in der «Eleven O’Clock Show» auf Channel 4 den Charakter Ali G mimte: einen Vorstadt-Hip-Hopper, Möchtegernschwarzen und -Gangstarappa mit weissen Tommy-Hilfiger-Unterhosen und Cannabis-Goldkettchen um den Hals.
Super subversiv: «Ali G» und «Borat»
Mit Ali G brachte Baron Cohen frischen Wind in den damals leicht verstaubten britischen TV-Humor. Er erhielt im Jahr 2000 eine Sendung und trat in der «Ali G Show» Politikern, Beamten und Prominenten auf die Füsse. Cohens Vorgehensweise war auf den ersten Blick genial einfach, auf den zweiten einfach genial. Er lud Experten zu einer Gesprächsrunde ins Studio und konfrontierte sie mit kindlich-direkten Fragen. Oder aber er zog hinaus, in die Oper, ins Parlament, in die Kirche, nach Wales oder Irland, mit der vorgetäuschten Absicht, seinem Publikum eine fremde Kultur näherzubringen. Zum Beispiel die Kunst. Die IRA. Oder die Weltraumforschung.
Als Ali G zu populär wurde, sah Baron Cohen die Zeit für Borat Sagdiyev gekommen. Vermehrt kam dieser fiktive Fernsehmoderator zum Einsatz und erklärte uns «seine» und die westliche Welt. Borat besuchte unwissende Durchschnittsamerikaner und sorgte mit dem Vorwand, fürs kasachische Fernsehen eine Reportage zu drehen, für Unruhe, Irritation und politisch inkorrekte Komik. Sein subversives Spiel mit den Klischees war erfrischend und frech: Als Borat führte er «Opfern» und Publikum eindrücklich Alltagsrassismus, Chauvinismus oder Homophobie vor Augen. Das erforderte auch immer wieder Mut, etwa als er in einem Rodeo-Stadion voller Rednecks den «Versprecher» machte «we support your war of terror» und danach die US-Hymne sabotierte.
Auch mit seiner dritten Figur liess Baron Cohen Fiktion auf Realität prallen: Brüno, schwul, stylish und Moderator einer österreichischen Jugendsendung. In dieser Gestalt besucht er Fashion-Events und entlarvt die Oberflächlichkeit und Falschheit dieser Branche. Etwa als er im Gespräch mit einer amerikanischen Designerin sagte, dass «man alle Mode-Ignoranten in einen Zug stecken und in ein Lager schicken sollte» und ihm diese tatsächlich zustimmte. Nicht hinterfragend, welches historische Bild Brüno gerade bemüht hatte…
Nachdem er diese Figuren aus dem Episodenkontext seiner TV-Serie herausgelöst hatte und sie in Spielfilmlänge auf der Leinwand präsentierte, fragte man sich: Wie weiter? «Borat» war Cohens Glanzstück, was Filme über 90 Minuten Länge anging.
Vergebliche Annäherungsversuche an Freddie Mercury
Jahrelang war er im Gespräch als Hauptdarsteller in einem Biopic über Freddie Mercury, machte dann aber einen Rückzieher, weil er sich mit Brian May und Roger Taylor von Queen nicht einig wurde über das Drehbuch; angeblich nahmen sich die Altrocker zu ernst und wünschten sich ernsthaft, dass ihr weiteres Schaffen nach Mercurys Ableben grossen Raum erhalte. Man versteht Cohen, dass er sich von diesem Projekt abwandte.
Untätig blieb er in den letzten Jahren trotzdem nicht: 2012 brachte er die Komödie «The Dictator» in die Kinos. Eine pure Enttäuschung, flache Handlung, flacher Humor. Dass man sich über Diktatoren auf schlaue Weise lustig machen kann, hatte Charlie Chaplin einst brillant bewiesen. Sacha Baron Cohens Film war hingegen zum Vergessen.
Ein Feuerwerk … für’n Arsch
Potenz statt Potenzial, lautet das Fazit 15 Jahre, nachdem er mit «Ali G» erstmals Aufsehen erregte und als Hoffnungsträger des jüngeren britischen Humors galt. Doch statt sein Talent zu perfektionieren und weiterzuentwickeln – so wie das zeitgleich Ricky Gervais vormacht («The Office», «Extras», «Life’s Too Short», «Derek») –, lässt sich Sacha Baron Cohen zunehmend von der unteren Hälfte seines Körpers leiten. So bleibt er mit «Grimsby» weit unter seinen intellektuellen Möglichkeiten.
Es sei denn, man hält Feuerwerkskörper im Anus für zündende Gags.
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«Grimsby» (deutsch: «Der Spion und sein Bruder») läuft u.a. im Basler Kino Pathé Küchlin.