Viele Männer wollen Teilzeit arbeiten, nur wenige tun es. Boris Waldis, Teamleiter bei den zentralen Informatikdiensten Basel-Stadt, hat es getan und sein Pensum auf 60 Prozent reduziert. Dafür muss er jetzt beim Interview auf die Uhr schauen.
Glaubt man einer Studie der Pro Familia von 2010, wollen neun von zehn Männern gerne Teilzeit arbeiten. In einer Umfrage bei der UBS gaben 78 Prozent an, über eine Teilzeitstelle nachzudenken. Umsetzen tun das aber erst wenige, die Schweiz stecke diesbezüglich noch in den Kinderschuhen, lautet unlängst eine Schlagzeile. Teilzeit, das geht nicht so einfach, so die gängige Meinung. Schon gar nicht in Führungspositionen. Und da ist noch die Angst vor dem Karriereknick.
Trotzdem steigt die Zahl der Männer, die Teilzeit arbeiten. In Basel sind es besonders viele: 22,5 Prozent hatten laut Bundesamt für Statistik in 2013 eine Teilzeitstelle, im nationalen Durchschnitt sind es nur 14 Prozent. Einer dieser Basler Männer ist Boris Waldis, Teamleiter bei den Zentralen Informatikdiensten (Zid) in Basel-Stadt. Er hat sein Pensum auf 60 Prozent reduziert. Sein Team ist unter anderem zuständig für den Internetauftritt bs.ch einschliesslich aller Dienststellen wie dem Sozialamt und der Steuerverwaltung. Unser Gespräch in der Uni-Cafeteria beginnt er mit der Frage: «Wie lange dauert das Interview? Ich muss das fragen, ich arbeite Teilzeit.»
Herr Waldis, Sie arbeiten seit acht Jahren in Führungspositionen, seit zwei Jahren bei den Zid. Vor drei Monaten haben Sie Ihr Pensum auf 60 Prozent reduziert. Wie hat Ihr Vorgesetzter reagiert?
Mein Vorgesetzter hat schon geschluckt, als ich ihm gesagt habe: Ich will auf 60 Prozent reduzieren. Danach haben wir geschaut, ob das machbar ist. In der kantonalen Verwaltung Basel wird Teilzeitarbeit grundsätzlich unterstützt. Und die Mitarbeiter wollen diese Möglichkeit nutzen. Auf eine Stelle, die mit 80 bis 100 Stellenprozenten ausgeschrieben ist, bewerben sich viel mehr Leute als auf eine Vollzeitstelle. Wir haben sehr viele Teamleiter, die freitags frei haben. Aus meinem Team ist nach meiner Entscheidung auch gleich jemand gekommen, der reduzieren will. Finde ich super. Als Teamleiter setzt man da schon ein Zeichen.
Wie haben Sie Ihre Entscheidung begründet?
Gross begründet habe ich sie nicht. «Familiäre Gründe» mussten reichen, im Detail geht das niemanden was an. Entscheidend war die Persönlichkeit, die ich mitbringe, und die Rolle, die ich im Team spiele. Ich denke, ich leiste sehr viel und ich kann meine Leistung auch aufzeigen. Ich habe auch angeboten, dass ich auf die Position als Teamleiter verzichten würde.
«Manchmal sind Entscheidungen von Mitarbeitern nicht so, wie ich sie selbst getroffen hätte. Damit muss man leben können.»
Sie führen neun Personen, in einem nach Ihren Angaben sehr heterogenen Team. Wie kann man das in Teilzeit leisten?
In der Literatur wird gesagt «der Chef soll sich entbehrlich machen». Nach meiner Meinung stimmt das nur teilweise. Bei fachlichen Themen braucht es mich nicht, obwohl ich einen technischen Hintergrund habe. Aber es braucht jemanden, der das Team führt. Die 60 Prozent, die ich arbeite, sollte ich für Leitung verwenden, nicht für Fachliches: die Richtung vorgeben, die Leute dazu befähigen, dass sie dorthin kommen. Das ist meine Aufgabe.
Wie würden Sie diese Position beschreiben?
Nennen wirs mal «Dirigent».
Was hat sich geändert, seit Sie reduziert haben?
Abrupt gar nicht so viel. Man muss sich einiges überlegen, wenn man reduziert. Der Job wird ja nicht weniger. Es gibt viel, was man vorbereiten und sich aneignen muss. Man muss Mitarbeiter zu starken Mitarbeitenden machen, indem man ihnen Verantwortung übergibt und sie dann auch laufen lässt. Das ist ein Weg und er braucht Zeit, die man investieren muss. Dann muss man strukturieren, muss aufzeigen, was man von den Mitarbeitern will und welche Möglichkeiten sie haben. Dass sie zum Beispiel, statt zu gehen, wenn nichts zu tun ist, ein Buch lesen können zu einem Thema, von dem sie wissen, dass es im nächsten Jahr wichtig wird.
Und das sehen Ihre Mitarbeitenden ein?
Ein paar finden es gar nicht cool. Ihre Kompetenzen erkennen und auch wahrnehmen, das können nicht alle. Da kann ich als Vorgesetzter nicht sagen: Such dir einen anderen Job. Ich muss Alternativen finden, wo der Mitarbeiter selbstständig agieren kann. Bei mir muss man das, man hat keine Wahl. Manchmal sind die Entscheidungen der Mitarbeiter dann nicht so, wie ich sie selbst getroffen hätte. Damit muss man leben können, das braucht Mut.
Wie sieht Ihr Arbeitsalltag jetzt aus?
Mittwochs und freitags arbeite ich nicht. Vorübergehend habe ich einen Assistenten, der Teilzeit arbeitet. Zusätzlich bin ich auf der Suche nach einem «Teamleiterstellvertreter». Tolle Bezeichnung, oder? Wenn ich nicht da bin, ist er der Ansprechpartner für das Team.
Wie hat Ihr Team die Veränderung aufgenommen?
Gelassen eigentlich. Es sind aber schnell Fragen aufgekommen wie: «Was bedeutet das, wenn du jetzt weniger da bist? Dass du gewisse Sachen nicht mehr machst?» Da hat es Erklärungen gebraucht. Ich musste aufzeigen, was das bedeutet: weniger Präsenzzeit. Und wir mussten Massnahmen in die Wege leiten, damit das überhaupt funktioniert, wie eben die Suche nach einer Assistenz. Wie gesagt, ich habe ja auch Vorbildfunktion.
«Ich brauche keine Führungsposition, um zufrieden zu sein und keine Mitarbeiter, die zu mir aufschauen.»
Können Sie eine Voraussetzung nennen, von der Sie sagen: Die ist für eine Führungsposition in Teilzeit massgeblich?
Es ist wichtig, dass man priorisieren kann, also entscheiden: Diese Dinge erledige ich, andere Themen bearbeite ich erst gar nicht. Zuerst muss man beantworten können «Was mache ich eigentlich?», wenn man sich vor Augen führt, was man den ganzen Tag tut. Dann die Frage «Was wird verlangt von mir? Was ist wichtig, was kann ich beitragen, damit man sagt: Das ist der Waldis, der macht das und das und das macht er gut.» Man muss sich abgrenzen können, aufzeigen können, dass etwas keinen Mehrwert bietet. Sonst hat man nie ein Potenzial, aufgrund dessen man reduzieren kann. Priorisieren kann man an vielen Stellen. Das fängt bei E-Mails an. Beispielsweise, indem ich meinen Mitarbeitern sage: «Ich will keine E-Mails mehr bekommen.» CCs habe ich im Leben noch nie gelesen. Man muss überall wissen, wie man sich organisieren muss.
Drei Monate sind nicht lange. Können Sie trotzdem bereits ein Resümee ziehen?
Für das Team kann ich noch nichts sagen. Mittel- und langfristig werden meine Mitarbeiter gewinnen, denke ich. Es wird weniger Zeit dafür da sein, mit jemandem in einen Disput zu gehen, da kann ich einfach weniger beitragen. Aber das ist okay. Persönlich und familiär ist es ein Gewinn. Meine Frau und ich haben jetzt etwa das gleiche Pensum, sodass wir uns gut ergänzen können. Das ist super so. Ich verliere mich auch nicht mehr so in der Arbeit, weil ich mehr Abwechslung habe.
Haben Sie keine Angst, dass es Ihrer Karriere schadet, dass Sie reduziert haben?
Was ist eine Karriere? Ist Karriere nach innen gerichtet oder nach aussen? Ich brauche keine Führungsposition, um zufrieden zu sein, und keine Mitarbeiter, die zu mir aufschauen. Das ist mir völlig egal, wenn ich ehrlich bin. Nein, es schadet mir nicht, solange ich ausweisen kann, was ich in meinen Projekten gemacht habe. Ich bin jetzt einfach fokussierter, das hängt auch mit Prioritäten zusammen. Und wenn ich wieder mal 100 Prozent arbeiten will, kann ich mich auch selbstständig machen. Ich habe eigentlich keine Angst.
Was bedeutet für Sie der Begriff «Teilzeitkultur»?
Eine Kultur, in der Mitarbeitende unterschiedliche Pensen haben, die – ganz wichtig – auch von allen akzeptiert werden. Nicht nur von Vorgesetzten, sondern auch von Mitarbeitern beiderlei Geschlechts. Dann ist das ein kulturelles Element.