Der Chemiemüll-Pakt

Im Umgang mit Chemiemülldeponien setzten die Baselbieter Behörden auf eine enge Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie. Nun droht ein Prozess.

Möglichst billig soll es sein: die Deponie Feldreben und ihre Sanierung.

Im Umgang mit Chemiemülldeponien setzten die Baselbieter Behörden auf eine enge Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie. Nun droht ein Prozess.

Die Gemeinde Muttenz hat ein Problem. Und mit ihr die ganze Region Basel, das zumindest ist unbestritten. Tausende von Tonnen Chemiemüll liegen in den Muttenzer Deponien, ganz in der Nähe der Brunnen, in denen das Trinkwasser für 230 000 Menschen in der Region ­Basel gepumpt wird. Damit das Wasser vor dem Gift sicher ist, muss die Deponie Feldreben in den nächsten Jahren für einen dreistelligen Millionenbetrag saniert werden. Auch darüber sind sich alle einig, Behörden, Pharmavertreter, Politiker, Umweltschützer. Alles Weitere ist jedoch hochumstritten.

Anfang dieser Woche stellten die Baselbieter Behörden ihr Sanierungsprojekt vor, das sie mit Vertretern von Muttenz, Basel und der Pharmaindustrie ausgearbeitet haben. Volkswirtschafts­direktor Thomas Weber (SVP) und Projektleiter Bernhard Matter sprachen stolz «von einem Meilenstein». Umgehend folgte die Antwort der Allianz Deponien Muttenz (ADM), in der sich Umweltorganisationen, linke und grüne Politiker versammelt haben. Webers angeblicher Wurf sei nicht mehr als eine «Billiglösung», ein «Flickwerk», sagen sie. Die Kritiker befürchten, dass in einigen Jahren ­bereits die nächste, noch wesentlich teurere Sanierung nötig sein wird, «um die Deponie richtig aufzuräumen».

Ein Fall für die Gerichte?

«Es gibt eben immer irgendwelche Leute, die ungeachtet der Kosten Maximalforderungen stellen», entgegnet Regierungsrat Weber. Und auch Projektleiter Matter versucht zu beruhigen. Die geplante Teilsanierung reiche, um die heiklen Stoffe aus der Deponie zu entfernen, sagt er. Weitergehende Massnahmen seien nicht ­angezeigt.

Ist das tatsächlich so? Kann man den Baselbieter Behörden in dieser Sache noch trauen, nachdem sie jahrelang versucht haben, die Probleme mit dem Trinkwasser totzuschweigen? Drängende Fragen, mit denen sich möglicherweise bald die Gerichte auseinandersetzen müssen. Die ADM hat jedenfalls eine klare Forderung gestellt: Der ganze Chemiemüll soll aus der Feldrebengrube entfernt werden – und zwar auf Kosten der Verursacher BASF, Novartis und Syngenta. Doch das wird für die Bewilligungsbehörde, das Kantonale Amt für Umweltschutz und Energie (AUE), aller Voraussicht nach ebenso wenig in­frage kommen wie für Weber und Matter. Darum spricht ADM-Co-­Präsident Hanspeter Meier auch ­heute schon von einer Beschwerde. «Notfalls ziehen wir den Fall weiter bis vors Bundesgericht», sagt er.

Hauptsache einfach – zu welchem Preis?

Damit droht ein längerer Rechtsstreit – und monate- oder sogar jahrelange Verzögerungen, was die ­Baselbieter Regierung unbedingt verhindern wollte. Darum war sie auch schon früh zu Konzessionen bereit, vor allem gegenüber der mächtigen Pharma. «Eine einvernehmliche Lösung macht alles sehr viel einfacher», hatte der frühere Baudirektor Jörg Krähenbühl (SVP) einmal gesagt.

Und so unternahmen die Behörden vieles, um das Einvernehmen zu ­fördern: Sie stellten der Pharma-industrie von Anfang an eine Kostenbeteiligung in Aussicht, bekämpften später, bei der Volksabstimmung vom Juni 2010, erfolgreich die Forderung der Grünen nach einer Totalsanierung aller drei Muttenzer Deponien und kauften im Frühjahr 2010 sogar die grösste Parzelle auf dem Feldreben-Gelände. Damit waren die Besitzverhältnisse dort bereinigt – doch zu welchem Preis? Mit dem Land hat der Kanton auch das finanzielle Risiko übernommen, das ein verseuchtes Grundstück mit sich bringt.

Diener zweier Herren

Eine Überlegung, die zu diesem Zeitpunkt aber noch keine Rolle spielte. Damals ging es nur um die rasche ­Lösung, die auch tatsächlich einvernehmlich gefunden werden konnte – in den Gesprächen am Runden Tisch mit Vertretern der beiden Basel, der Chemie- und Pharmaunternehmen und der Standortgemeinde Muttenz.

Mit der Koordination der Verhandlungen wurde Franziska Ritter betraut, mit der Projektleitung Bernhard Matter. Sie beide arbeiten schon seit Jahren in dem Bereich – in Bonfol (JU) zum Beispiel, wo beide an der ­Sanierung der Deponie mitwirkten. Dort allerdings nicht im Dienste des Kantons, sondern im Auftrag der Pharmaunternehmen BASF, Syngenta und Novartis. Das macht die Personalie heikel, die ADM spricht von einem «offensichtlichen Interessenkonflikt». Kein Problem sieht dagegen die Regierung: Die Tätigkeit der beiden in Bonfol sei kein Nachteil, teilte sie mit, sondern ganz im Gegenteil ein Vorteil. Muttenz brauche Leute mit «spezifischer Erfahrung im Management von komplexen Umweltprojekten».

Auch der Bund drängt auf eine Minimallösung

Eine Doppelrolle hat auch das Bundesamt für Umwelt (Bafu): Einerseits sollte es die Sanierungspläne kon­trollieren; andererseits hat sich der Bund – ähnlich wie der Kanton Baselland – schon früh bereit erklärt, die Umsetzung finanziell zu unterstützen. 40 Prozent der Gesamtausgaben sollen mit Beiträgen aus dem Altlastenfonds gedeckt werden. Dort liegen derzeit 140 Millionen Franken – viel Geld zwar, aber kaum genug für alle 1600 Sanierungsprojekte in der Schweiz. Das Bafu hat die Baselbieter Baudirektion darum schon im April 2009 angewiesen, die Massnahmen «auf das fachlich begründete Minimum» zu beschränken.

Behörden, die sich weniger wegen des Trinkwassers als wegen der Kosten Sorgen machen; Behörden, die sich von der Gegenseite auch schon beschäftigen und zahlen liessen; Behörden, die unbedingt eine einvernehmliche Lösung wollen: Für die Pharma hätte es kaum besser laufen können. In der Öffentlichkeit mussten die Firmen nicht einmal in Erscheinung treten, um ihre Interessen durchzusetzen. Die Entscheide fielen in vertraulichen Gesprächen, am Runden Tisch zum Beispiel. Wie erfolgreich die Firmen dort waren, zeigt eine pharmainterne Mail von 2002, welche die ADM publik gemacht hat. «Wichtig ist die (finanzielle) Kantonsbeteiligung für die weiterführenden Abklärungen; dann überlegt sich der Kanton wirklich auch zweimal, was er fordert», schrieb der Lobbyist Conrad Engler damals seinen Kollegen. Im Nachhinein liest sich das fast wie der Plot der Verhandlungen, die seither stattgefunden haben.

Das ändert aber nichts an der ­Zufriedenheit der Behörden. Warum auch? Immerhin haben sie ihr Ziel ­erreicht – eine einvernehmliche Lösung. Dachten sie zumindest.
So wie es jetzt aussieht, ist es allerdings gut möglich, dass das Geschäft nach der Prüfung durch das AUE nochmals ganz neu beurteilt wird. Öffentlich, durch einen Richter. Gut möglich auch, dass dieser etwas andere Schlüsse zieht als die Behörden, die von Anfang an die Nähe zur Chemie gesucht haben.

So wird in Muttenz saniert
Die geplante Sanierung der Deponie Feld­reben kostet 165 Millionen Franken, plus/minus 30 Prozent. Das sagte Volkswirtschaftsdirektor Thomas Weber (SVP) Anfang dieser Woche bei der Präsentation. Vorgesehen ist die Behandlung des Grundwassers im zentralen Bereich der Deponie. Dort ­werden 24 Brunnen bis zu 70 Meter tief abgesenkt, damit der Fels gespült und so von den giftigen Rückständen gereinigt werden kann. Danach ist ein Teilaushub von 115 000 Kubikmetern ­verschmutzten Materials geplant.
Die gesamte Deponie beinhaltet rund 500 000 Kubikmeter. Welche Substanzen wo genau liegen, ist schwierig zu eruieren im Durcheinander aus Chemiemüll, Kehricht und Bauschutt. Darum drängen die Kritiker auf einen deutlich umfangreicheren Aushub. Problematisch ist die Muttenzer Deponie vor allem aufgrund der Nähe zur Trink­wasserproduktion. Geschützt wird diese durch einen ­sogenannten Grundwasserberg: Rheinwasser, das man in dem Gebiet versickern lässt. Dieses hält die Abströme aus den Deponien und sonstige Rück­stände von den Brunnen fern. Ein System, das fast so etwas wie eine Lebensversicherung für die Region ist. Ein Ausfall kann allerdings nicht ganz ­ausgeschlossen werden.

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 29.11.13

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