Der Duttweiler-Kessel

Ein Stadion ohne Fans – was die Zürcher Polizei als grossen Erfolg gegen Zürcher und Basler Anhänger feiert, ist in Wahrheit ein Tiefschlag für die Bemühungen um friedliche Fussballspiele in der Schweiz. Und wirft Fragen nach der Verhältnismässigkeit auf.

06.Mai.2012; Zuerich; Fussball Super League - FC Zuerich - FC Basel; FCB Fans sind auf der Duttweiler Bruecke eingekesselt (Andreas Meier/freshfocus) (Bild: freshfocus)

Ein Stadion ohne Fans – was die Zürcher Polizei als grossen Erfolg gegen Zürcher und Basler Anhänger feiert, ist in Wahrheit ein Tiefschlag für die Bemühungen um friedliche Fussballspiele in der Schweiz. Und wirft Fragen nach der Verhältnismässigkeit auf.

Vermummte Fans, alkoholisierte Fans, eingekesselte Anhänger, Ultimatum, Hinderung einer Amtshandlung  – Formulierungen aus einer Mitteilung der Stadtpolizei Zürich, in Umlauf gesetzt, da war das Fussballspiel im Letzigrund am Sonntagnachmittag noch im Gange. Ein Spiel, das in den Hintergrund trat, obwohl das Geschehen auf dem Platz bemerkenswert genug gewesen wäre.

Auch wenn die Zürcher Sicherheitsbehörde der Ansicht ist, dass «dank dem schnellen und konsequenten Eingreifen der Stadt- und Kantonspolizei die beiden Fanmärsche kurz vor dem Aufeinandertreffen angehalten werden konnten», so war das eigentlich Spektakuläre etwas, was weder Polizei noch Politik in den Kram passen dürfte: eine bisher noch nicht erlebte Solidarisierung zweier Fangruppen.

Widerstand gegen Konkordats-Verschärfung

Dass es sich dabei um zwei der klassischen Rivalen im Schweizer Fussball handelt, deutet darauf hin, wie ernst es den Fans ist in einem Umfeld von zunehmender Hysterie und Repression bei Spielen im Schweizer Fussball, aber auch im Eishockey. Zur Zeit liegt bei den Kantonsparlamenten eine erhebliche Verschärfung des so genannten «Konkordats über Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen» zur Verabschiedung. Sankt Gallen hat bereits zugestimmt. Dort geriert sich Ständerätin Karin Keller-Sutter seit geraumer Zeit als eiserne Lady und Hardlinerin im Umgang speziell mit Fussballfans. In Basel-Stadt hat sich dagegen politischer Widerstand gebildet.

Die Liste von Ausschreitungen, hässlichen, auch und gerade in Zürich (oder Basel) ist beträchtlich. In Erinnerung sind etwa zehn Jahre zurückliegende Saubannerzüge durch die Limmatstadt, sind Fackelwürfe Zürcher-Fans in den Sektor von Basler Fans im St.Jakob-Park genauso wie besonders brutale Zusammenstösse von Basler Fans im Zürcher Gästeblock mit Sicherheitsleuten der Firma Delta im Mai vergangenen Jahres. Bilder, die niemand sehen will, Bilder jedoch, die Auswüchse von Gewalt, Vandalismus und auch von Auflehnung Jugendlicher und junger Erwachsener zeigen.

Der Basler Protest-Konvoi nach Zürich

Das Problem am Sonntag: Die Zürcher Polizei will verhindern, dass Basler Fans, von 300 bis 400 ist die Rede, zu Fuss ans Stadion gelangen. Diese FCB-Fans haben nicht den Extrazug gewählt, sondern haben einen Korso von rund 120 Privatfahrzeugen von Basel nach Zürich organisiert, haben jenseits der Bahnlinie parkiert, und werden bei ihrem Marsch über die Duttweilerbrücke von der Polizei angehalten. Oder «eingekesselt», wie es im Jargon der Polizei heisst. Ein Zurück gibt es nicht mehr. Die Polizei will die Identität feststellen, die Fans weigern sich, die Polizei stellt ein Ultimatum. Keine Rede im Polizeibericht davon, was mit den erhobenen und wie Augenzeugen berichten, mit der Hooligandatei abgeglichen Daten passiert.

Auch diese Erinnerung kommt hoch: An jenen Dezembertag 2004, als die Zürcher Polizei aus einem mit 650 Basler Fans besetzten Extrazug zum Auswärtsspiel im Hardturm-Stadion gegen die Grasshoppers 427 Personen festnahm. Als «Kessel von Altstetten» ging diese Aktion in die Annalen ein, andere, rechtsstaatlich sensible Menschen sprechen von der «Schande von Altstetten». Fragen nach der Legalität und der Verhältnismässigkeit des polizeilichen Vorgehens wurden damals zwar gestellt, versandeten jedoch. Die Zürcher Staatsanwaltschaft stellte zwei Jahre später ein Strafverfahren wegen Freiheitsberaubung und Amtsmissbrauch gegen Funktionäre der Stadtpolizei Zürich ein.

Eingepfercht im Kessel

An diesem verregneten Sonntag im Mai 2012 ist es wieder eine unangenehme Szenerie, die sich eine Stunde vor Spielbeginn von der Ecke Hohlstrasse/Herdernstrasse aus bietet. Ein massives Aufgebot an Polizeikräften hat sich formiert, mit Wasserwerfern und Absperrfahrzeugen ist die Brücke abgeriegelt. Vermummte Fussballfans sind generell kein schöner Anblick, und Vermummung ist unter Umständen verboten. Aber ein Aufgebot von bis an die Zähne bewaffneten Polizisten ergibt kein schöneres Bild. Man hatte den Eindruck, in Zürich wird geputscht.

Vereinzelt kommen FCB-Fans die Brücke herunter, die meisten schwarz gekleidet, die Farbe des Mobs. Wie sich herausstellt, haben sie die Identitätskontrolle über sich ergehen lassen und sind dabei nicht auffällig geworden. Andere werden laut Polizeibericht weggewiesen, weil sie ein Stadionverbot haben. Als im Letzigrund die Super-League-Partie angepfiffen wird, stehen viele FCB-Fans noch eingepfercht im Kessel auf der Duttweilerbrücke, vor dem Eingang zum Stadion haben sich die meisten versammelt und einige wenige befinden sich im Gästesektor.

FCZ-Fans verlassen aus Protest ihre Kurve

Schon die ersten Momente des Spiels wirken gespenstisch: Aus dem Basler Fan-Block kann keine Anfeuerung für das Gästeteam kommen, weil fast niemand da ist, und die vollbesetzte Südkurve schweigt. Und das ist kein stummer Protest gegen die pitoyable Saison des FCZ, das stellt sich rasch heraus. Der Jubel über das frühe Zürcher Führungstor erstirbt umgehend. Man merkt: Hier geht es um mehr.

Die meisten der weniger Basler Fans verlassen den Gästesektor. Plötzlich kommt auch Bewegung in die Zürcher Kurve. Mehr und mehr leert sie sich. Eine Durchsage speziell auf die Lautsprecher im Sektor der Heimfans ertönt. «Zeichen setzen» ist zu hören, wer sich das Spiel dennoch anschauen wolle, solle dies tun. Das riesige Transparent, dass die Südkurve als solche kennzeichnet, wird abgehängt, eine, wenn man so will, Reliquie. Das Unvorstellbare geschieht im Letzigrund: Zürcher Fans solidarisieren sich mit Basler Fans.

Es ist eine surreale Atmosphäre, die anschliessend herrscht. Die restlichen der offiziell 12‘500  Zuschauer sorgen noch für den Geräuschpegel auf einem gut besuchten Amateurplatz. Die Formulierung der Zürcher Polizei, «das Spiel fand fast vor leeren Rängen statt», ist allerdings übertrieben wie manches andere an diesem Sonntag.

«Ohne Fans sind wir nicht vollständig»

Im Bauch des Letzigrund suchen die Spieler hinterher nach Worten. «Was ausserhalb des Platzes passiert, daran können wir nichts ändern», sagt FCB-Mittelfeldspieler Granit Xhaka und schaut enttäuscht. Marco Streller hat von der abgesperrten Brücke gehört, meint, dass es heikel sei, sich zu äussern über Vorfälle, die er nicht beurteilen kann: «Es wird seine Gründe haben.» Was der Captain aber auch sagt: «Wenn unsere Fans nicht da sind, sind wir nicht vollständig. Wir haben auch für sie gewonnen.»

Sowieso restlos bedient von dem, was seine Mannschaft fussballerisch abgeliefert hat, sagt Fredy Bickel: «Das passt zu diesem Tag.» Der Sportchef des FCZ ist unmittelbar nach dem Spiel noch rudimentär orientiert über das, was jenseits der Stadiongemarkung vor sich gegangen ist, er sagt aber vorsichtig: «Nach meinen Informationen ging es friedlich zu.» Die Solidarisierung der Fans nennt er «vernünftig». Nach vielen Scharmützeln der Vergangenheit, auch nach vielen, anstrengenden thematischen Auseinandersetzungen mit der Südkurve findet Bickel: «Das ist auch mal ein Ansatz.»

Und Bickel hält – mit dem Vorbehalt, die genaueren Hintergründe noch nicht zu kennen – nicht mit Kritik an die Politik hinter dem Berg: «Da muss sich die Stadt Zürich was überlegen. Wenn es eigentlich friedlich zuging, dann ist der Einsatz eine Frechheit.»

Das Katz-und-Maus-Spiel

Die Verhältnismässigkeit der Polizeiaktion wird zu reden geben, die rechtsstaatlichen Konsequenzen einer Verschärfung des Konkordats in der entscheidenden politischennoch einmal in den Blick Phase geraten. Der Protest der Fans findet mittlerweile auch auf kleineren Schauplätzen der Super League statt. Jüngst haben Anhänger des FC Thun nach einem Eingangskontrollen-Testlauf befunden: «Nicht mit uns!»

Die FCB-Fans haben erst jüngst, zum Auswärtsspiel gegen die Grasshoppers, ihren eigenen Weg ins Stadion gewählt. Es ist nichts anderes als ein Katz- und Maus-Spiel, das mit der Polizei veranstaltet wird, um auf die Schwächen der geplanten, repressiveren Massnahmen aufmerksam zu machen. Dabei geht es unter anderem um so genannte Kombi-Tickets, mit denen den Fans der Weg zum Auswärtsspiel vorgeschrieben werden soll. Von Prävention ist im Umgang mit Fans keine Rede mehr.

Den bis vor geraumer Zeit noch üblichen Fanmarsch der Basler vom Bahnhof Altstetten in den Letzigrund gibt die Zürcher Polizei zwar vor zu tolerieren, doch die Art und Weise, wie dieser Fussmarsch von der Polizei begleitet wird – mit Wasserwerfern vor und hinter der Gruppe, mit Polizisten, die fast Schulter an den Schulter mit den Fans laufen –, wird von den Fans nicht goutiert.

Mit Blaulicht und Sirene zum Parkhaus

Am Sonntag deutet einiges darauf hin, dass die Fans beider Clubs eben nicht auf eine von der Zürcher Polizei an die Wand gemalte Auseinandersetzung aus sind. Fans des FCZ setzen sich just um 14.12 Uhr, als die Ankunft des mit nur rund 200 FCB-Fans besetzten Extrazuges in Altstetten avisiert war, vom Helvetiaplatz aus in Richtung Stadion in Bewegung. Mit dem Hinweis im Polizeibericht: «Nach reichlich Alkoholkonsum und teilweise vermummt». Der Zug wird angehalten, woraufhin die FCZ-Fans vorübergehend in einen Sitzstreik treten.

Gleich nach Ende der Partie, die die FCB-Fans mehrheitlich draussen vor dem Stadion auf der Basler(!)strasse akustisch verfolgt haben, begeben sich die Anhänger bereitwillig in bereitgestellte Busse und werden über die Gleise zurück zu ihren Autos gefahren. Begleitet von Polizeifahrzeugen mit Blaulicht und Sirenen. Es ist ein letztes Ausrufezeichen hinter diese monströse Polizeiaktion.

Im Parkhaus kommt es zu Wartezeiten, eine Schranke wird beschädigt und mit Spraydosen werden Erinnerungen hinterlassen. Die Polizei spricht von «grossen Sachschäden» in Höhe von mehreren zehntausend Franken. Ihre Bilanz des Tages: «Sechs junge Männer aus beiden Fangruppierungen wurden wegen Landfriedensbruch oder Sachbeschädigungen vorläufig festgenommen.» Keine Rede ist im Bericht, was der Einsatz den Zürcher Steuerzahler kostet.

Das Recht auf Bewegungsfreiheit

Am Montag haben Basler Fans der Muttenzerkurve und Zürcher Fans der Südkurve mit einer gemeinsamen Erklärung auf den massiven Einsatz der Zürcher Polizei am Tag zuvor reagiert. Sie wehren sich dagegen, dass zur Zeit bei jeder Begegnung des FC Zürich mit dem FC Basel «sämtliche Fans der Gästemannschaft unter Generalverdacht» gestellt würden. Ausserdem pochen die Basler Fans auf dem «verfassungsmässig garantierten Recht auf Bewegungsfreiheit».

Die Zürcher Südkurve schloss sich deshalb am Sonntag im Stadion mit stillem Protest den FCB-Anhängern an: Sie verliessen spontan ihre Kurve und liessen, wie sie es formulieren, «an Stelle der Rivalität Solidarität mit den Baslern treten». Damit sollte ein Zeichen gegen die zunehmend repressive und unverhältnismässige Sicherheitspolitik der Stadtpolizei Zürich gesetzt werden. So heisst es in einem Communiqué, das in Anlehnung an die Medienmitteilung der Polizei («Konsequenter Polizeieinsatz verhindert ein Aufeinandertreffen von rivalisierenden FCZ und FCB Fans») mit «Konsequenter Polizeieinsatz ermöglicht ein Aufeinandertreffen von solidarisierenden FCZ- und FCB-Fans» überschrieben ist. Die Anreise der Basler Fans per Auto von Basel nach Zürich und den Fussmarsch von FCZ-Fans vom Helvetiaplatz zum Stadion Letzigrund bezeichnen die beiden Fanorganisationen als «gewaltlose Gegenaktion».

Weiter kritisieren sie die Polizeitaktik: «Wäre es einzig um die Trennung der Fanlager gegangen, hätte die Polizei die FCB-Fans auf der Duttweilerbrücke kurz aufhalten und den Marsch der FCZ-Fans zum Stadion leiten können. Eine Einkesselung und Fichierung der Fans des FC Basels und die damit verbundene Konsequenz, dass diese nicht rechtzeitig zum Anpfiff ins Stadion gelangen konnten, war nicht erforderlich und damit auch nicht verhältnismässig.»

 

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